Das Altpapier am 28. September 2017 Alles Medien-Zwergerl

In Österreich beschweren sich die ORF-Zwergerl über die ProSiebenSat.1-Zwergerl und die RTL-Zwergerl. Was auf gewisse Art und Weise aber auch versöhnlich ist. Von den Zeitungen wehen Jamaika-Flaggen in allen Variationen und Twitter sorgt kurzzeitig dafür, dass die Welt sich nicht mehr dreht. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Um vorweg mal eins klarzustellen: Nein, Alexander Wrabetz hat keine anti-deutschen Ressentiments. Sagt er jedenfalls bei Deutschlandfunks @mediasres. Warum der ORF-Generaldirektor überhaupt befürchtet, dass die Annahme aufkommen könnte? In seinen "12 Thesen zum Medienstandort Österreich" kritisiert Wrabetz einen negativen Einfluss deutscher TV-Sender auf den österreichischen Werbe-Markt.

Gab es gestern an dieser Stelle noch etwas unerwartetes Lob von Mathias Döpfner, aber auch ein bisschen Schelte für die Öffentlich-Rechtlichen (kleines Update weiter unten), bekommen nun also die Privaten eins übergezogen – und zwar aus Österreich.

Die ORF-Kritik: Deutsche Sender zögen "sehr erfolgreich Gelder aus dem österreichischen Werbemarkt ab", indem sie ihre Werbefenster dort "zu sehr, sehr niedrigen Preisen" verkauften. Diese niedrigen Preise zögen auch Werbung aus dem Printbereich ab, was zum Problem für die österreichischen Zeitungen werde. Vor allem ProSiebenSat.1 versuche seit der Übernahme der österreichischen ATV-Gruppe, seine "Marktmacht auszubauen". 

Klingt erstmal nach dramatischen Blutsauger-Vorwürfen, vor allem gegen ProSiebenSat.1, aber auch gegen die RTL-Gruppe. Aber Unrecht hat Wrabetz mit seiner Kritik nicht. Unter Punkt 4 der Thesen werden Zahlen aufgeführt:

"Die Pro7Sat1-Gruppe, die RTL-Gruppe u.a. kontrollieren schon rd. 68% des TV-Werbemarktes über ihre mittlerweile 16 Werbefenster. Seit dem Jahr 2000 hat sich das Volumen deutscher TV-Werbefenster in Österreich vervielfacht: Diese TV-Werbefenster zogen 2016 schon rund 600 Mio. Euro brutto (Quelle: Focus Media) aus Österreich ab, ohne entsprechende Programmleistung für den heimischen Markt."

Wäre das in Deutschland der Fall, würde sicher der VPRT sicher auch ziemlich laut bemerkbar machen.

Allerdings will man beim ORF jetzt keinen Knoblauch aufhängen oder Ähnliches. Letztendlich richtet Wrabetz die Kritik scheinbar gar nicht direkt gegen die deutschen Medienunternehmen, sondern gegen die zusätzlichen Werbebeschränkungen, die dem ORF auferlegt wurden.

Die Werbeauflagen hätten "nie dazu geführt, dass österreichische Medienunternehmen davon profitiert haben, sondern es hat immer nur den Abfluss von Geldern nach Deutschland in dem Fall erhöht."

Um nun auch ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass seine Kritik vielleicht doch anti-deutsch sei, gibt es zum Schluss im Deutschlandfunk-Interview noch ein versöhnliches und vereinendes:

"Und wir sind alle Zwergerl - wie man so sagt - mit unseren Bemühungen im Vergleich zu fünf, sechs großen amerikanischen Konzernen."

Google, Facebook und Konsorten halten ja immer gerne her, um die deutschsprachigen Medienmacher zu vereinen – und sei es nur in Angst und Schrecken.

Grün-gelb-schwarz sind alle meine Zeitungen

Weil wir ja noch nicht genug gesprochen haben über die Bundestagswahl, ist auch heute wieder ein Bisschen Wahlberichterstattung, oder eher Wahlberichterstattungsamüsement, im Altpapier. Wer in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen zu den Koalitionsverhandlungen gescannt hat, merkt sofort: Jamaika ist allgegenwärtig. Großartige Vorlage für reichlich ressentimentbeladene Fotomontagen (wie hier im Juni vom Bildblog zusammengestellt) und für alle wortspielbegeisterten Redakteure der Republik. Übermedien hat einige Schlagzeilen zusammengestellt:

"Die CDU nimmt Kurs auf Jamaika (Kölnische Rundschau), Jamaika-Koalition? Das könnte stürmisch werden! (augsburger-allgemeine.de), SPD schickt Merkel nach Jamaika (tagesschau.de), Keiner will nach Jamaika (faz.net), No woman, no cry (salto.bz), Jameika oder Neinmeika? (Bild)"

Auch bei der neuen Ausgabe der Zeit wird voll in die Jamaika-Kerbe gehauen: Merkel, Özdemir, Lindner und Seehofer im vollen Piraten-Ornat. Dazu gibt’s die Schlagzeile: "Fluch der Karibik"

Was täten wir Mendienmenschen bloß heute, hätte der Inselstaat nicht 1962 eine grün-gelb-schwarze Flagge eingeführt? Welche Bilder würden wir dann strapazieren? Vor 2005 wurde die Koalition von Union, Grünen und FDP ja noch eher unsexy als "Schwampel" bezeichnet. Ampel, nur halt in Schwarz.

Dass es nun Jamaika getroffen hat, liegt einer AFP-Meldung beim Merkur zufolge an dem Zahlen-Jongleur und WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn. Der habe 2005 einen griffigen Ausdruck für eine schwarz-gelb-grüne Koalition gesucht:

"Wir haben einfach eine Flaggendatenbank durchgesucht, und Jamaika ist das einzige, was wir gefunden haben‘, erzählte Schönenborn damals."

Der Postillon meldet übrigens eine Änderung der Jamaikanischen Flagge, um nicht mehr mit der deutschen Koalition in Verbindung gebracht zu werden. Die Komplementärfarben zur aktuellen Flagge sollen künftig auf Jamaika wehen: Weiß-Blau-Magenta.

Übermedien schlägt direkt eine neue Bezeichnung für das Bündnis vor: "Salamander-auf-Moos-Koalition".

Ja, und was sagen die Jamaikaner überhaupt zu ihrer ungewöhnlich großen Medienpräsenz in der Bundesrepublik, fragen nun auch noch verschiedene Zeitungen (z.B. hier und hier). Heraus kommt: "Jamaika ignoriert Jamaika-Debatte", wie die Hannoversche Allgemeine schreibt.

Fanfare für Döpfner

Matthias Döpfners neuerliche Öffentlichkeits-Offensive in der FAZ (gestern hier im Altpapier) verhallt natürlich nicht im Nirvana. Der Springer-Chef mache "den BDZV zum tonangebenden Meinungsmacher", schreibt Georg Altrogge sichtlich begeistert bei Meedia. Und legt gleich nach mit einer Lobeshymne zum Thema Digitalisierung, die Über-Döpfner schon fast einen Heiligenschein aufsetzt:

"Döpfner weiß, worauf es beim überlebenswichtigen Changemanagement ankommt – und auch um die Gefahren. Entschlossen und wortgewaltig tritt der ehemalige Chefredakteur für seine Überzeugungen ein und findet damit in der Branche wie in der Politik Widerhall."

Timo Niemeier von dwdl sieht das alles etwas weniger euphorisch und ordnet ein:

"Sowohl die Öffentlich-Rechtlichen als auch die Privatsender und die Verlage lobbyieren kräftig bei den Politikern und wollen möglichst viele eigene Interessen durchdrücken." 

Auch @mediasres singt die Hymne erwartungsgemäß nicht mit. Klar, die Interessenslage beim Thema Online-Angebot sieht bei den öffentlich-rechtlichen etwas anders aus. Döpfner hatte ein generelles Verbot von presseähnlichen Angeboten der Öffentlich-Rechtlichen gefordert.

Statt Fanfaren gibt es im Deutschlandfunk ein Gespräch mit Heike Raab, umständlich-öffentlich formuliert also mit der der Staatssekretärin und Bevollmächtigte beim Bund und in Europa, für Medien und Digitales. Mit Bezug auf die Bundesländer, die ja aktuell an einem neuen Konzept für den Rundfunkstaatsvertrag basteln, der wiederum auch den Online-Auftrag (um ganz korrekt zu sein: der Telemedienauftrag) der Öffentlich-Rechtlichen neu definieren wird, sagte Raab:

Für sie sei es "fraglich", "ob ein Telemedienauftrag die wettbewerbliche Situation der Verlage tatsächlich so tangiert, dass diese wirtschaftliche Beeinträchtigungen erfahren". Angesichts der Entwicklung von Zeitungsverlage hin zu "fernsehähnlichen Angebote" sehe sie beispielsweise eine Lösung darin, "in einem System des Gebens und Nehmens allen Wettbewerbern Entwicklungsmöglichkeiten" zu eröffnen.

Sturm im Twitter-Glas

Ob sich die Welt so überhaupt noch weiterdrehen kann? Twitter schmeißt das Konzept der kurzen Kurznachrichten (140 Zeichen) eventuell bald über den Haufen und testet aktuell mittelkurze Kurznachrichten (280 Zeichen). Nutzer sehen bereits die Abendländische Kultur bedroht und wenden sich gegen eine Islamisierung, ach ne. Nochmal von vorne: Nutzer sehen die Tweetkultur bedroht und wenden sich gegen eine 280isierung des Twitterlandes.

280 Zeichen "gehören einfach nicht zu unserer Identität und Kultur hier auf Twitter", heißt es da. Und überhaupt, 280 Zeichen, da kann man doch auch gleich ein Buch lesen, heißt es hier.

Der Widerhall der Empörung bei dem Kurznachrichtendienst ist in etwa so groß wie die Aufregung über den Einzug der AfD in den Bundestag oder einen von Trump verursachten Atomkrieg. Ok, die 140 Zeichen sind natürlich charakteristisch Twitter. Aber ist der ganze Wirbel nicht auch ein bisschen viel mimimimimi?

Twitter selbst schreibt, die Begrenzung auf 140 Zeichen sei willkürlich festgelegt worden und häufig eine "Quelle der Frustration".

Die SZ analysiert: "Unklar ist, ob die 280 Zeichen die Debatten auf Twitter nuancierter machen würden oder der Dienst an Reiz verliert, weil die Beiträge nicht mehr auf einen Blick begreifbar sind."

Fun-Fact: Scheinbar wurde der Account der neuen AfD-Fraktion im Bundestag direkt für den Test der mittelkurzen Kurznachrichten ausgewählt. Klar, die Partei braucht vor allen nach dem Wahlkampf natürlich besonders viel Platz um weiter ihre vielbeschworenen Stöckchen auszuwerfen, über die wir Medienmenschen dann springen sollen.

Altpapierkorb:

+++ Die taz wird zum Accessoire, schreibt horizont.net. Die Werbung für das neue Layout, mit dem die Zeitung ab Montag erscheint, wirkt auf den ersten Blick wie eine Modeanzeige. Den vergangenen Relaunch gab es, als der Innenteil noch schwarz-weiß gedruckt wurde: 2009. Die Rubrik „Flimmern und Rauschen“ wird übrigens umbenannt und heißt künftig schlicht „Medien“.

+++ Die Macher des öffentlich-rechtlichen Jugendkanals Funk hätten eigentlich auf ihre Formate „fett ihr Logo pappen müssen“, schreibt Hans Hoff auf der Medienseite der Süddeutschen. Stattdessen hätten sie „einfach gemacht, still und leise, dafür aber umso effektiver.“ Dabei wollten die Funk-Macher „nicht durch die Logokleberei“ die Marke nach vorne bringen wollen, „sondern durch die Themen“, sagt Funk-Geschhäftsfüherer Florian Hager im Gespräch mit der Süddeutschen.

+++ Playboy-Gründer Hugh Hefner ist tot. Einen Nachruf auf sein „Leben im Seidenpyjama“ gibt’s bei der Süddeutschen.

+++ Warum jubeln eigentlich auf einmal alle über eine Nachricht aus Saudi-Arabien? Auf der Medienseite der FAZ wird die Begeisterung über die Entscheidung, dass Frauen in dem Königreich am Golf bald selbst am Steuer sitzen dürfen, gebremst. (Seite 13 und bei Blendle für 45 Cent)

+++ Alles Mist! Jeff Jarvis hat bei einer ORF-Veranstaltung die digitalen Strategien der Medienhäuser kritisiert: „Das Internet hat das Geschäftsmodell der Massenmedien gekillt. Wenn wir versuchen, dieses alte Modell in die neue Situation zu pressen, bekommen wir Mist", wird der Journalist und Wissenschaftler beim Standard zitiert.

+++ Die Süddeutsche hat Neuigkeiten über den Kriminalfall um entgangene Patenterlöse beim Münchner Institut für Rundfunktechnik (IRT). Der Beschuldigte wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.

+++ Achtung, Achtung, eine letzte wichtige Information noch zum Schluss: Der Deutsche Marketingpreis geht in diesem Jahr an den Themilindner, äh, an den Thermomix. Was die FDP oder gar die Huldigungen des Küchenporsches durch den deutschen Zeitschriftenmarkt (essen & trinken mit dem Thermomix, MIXX – Küchenspaß mit dem Thermomix, mein ZauberTopf – Lieblingsrezepte für Thermomix, Liste lässt sich endlos fortschreiben…) damit zu tun haben, hat die Jury des Deutschen Marketing Verbands leider nicht verraten.

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.