Das Altpapier am 19. Oktober 2017 Der Hass von beiden Seiten

Applaus gibt es immer – egal, von welcher Seite man auf die Medien draufhaut. Aber wo liegen eigentlich die Wurzeln dieses Misstrauens? Was haben die Journalisten falsch gemacht? Und was können sie tun? Ein Altpapier von Ralf Heimann.

Nach fast auf den Tag genau neun Monaten Donald Trump ist bei vielen die Verwunderung darüber noch immer nicht verflogen, wie unterschiedlich die Vorstellungen von Wahrheit und Wirklichkeit sein können. In der Berichterstattung ging es darum fast jeden Tag. Zuletzt bestritt Trump via Twitter, in einem Telefongespräch mit der Witwe eines im Niger gefallenen US-Soldaten gesagt zu haben, ihr Mann habe "gewusst, worauf er sich einließ, als er sich verpflichtete" – um dann noch hinterherzuschieben: "Aber ich nehme an, es tut trotzdem weh." So hatte die demokratische Abgeordnete Frederica Wilson es geschildert. Die Welt hat den Fall hier dokumentiert.

Einem anderen Hinterbliebenen soll Trump einen Scheck über 25.000 Dollar versprochen haben, der bislang aber nicht ankam – wie so viele andere von Trump in Aussicht gestellte Geldgeschenke. Darüber berichtet die Washington Post.

Und das sind nur die aktuellen Fälle. Immer wieder lässt sich belegen, dass Trump nicht die Wahrheit gesagt hat. Und doch ändert das kaum etwas an seinen weiterhin stabilen Zustimmungswerten, wie Daniel Bier hier für Medium.com erklärt.

"No matter how good an idea removing a president might be from the standpoint of protecting the Constitution (or keeping nukes in their silos), impeachment is a political decision, and Trump is doing okay politically. Despite the chaos, incompetence, and infighting of his first 9 months, he has basically maintained the level of support that carried him through the election, and he doesn’t even have the advantage of an opponent to vilify, demonize, and contrast himself with."

Sebastian Moll hat für Zeit Online mit dem amerikanischen Kulturjournalisten Kurt Anderson darüber gesprochen, wie es passieren konnte, dass Fakten für viele Amerikaner offenbar keine relevante Größe mehr sind. Auf die Frage, wie viele Menschen in den USA noch an Fakten glauben, sagt er:

"Ich schätze, dass es weniger als die Hälfte sind."

Die Ursachen für diese Entwicklung sind seiner Einschätzung nach sehr tief in der Vergangenheit verwurzelt.

"Die Tatsache, dass dieses Land von Leuten gegründet wurde, die an das Unwahrscheinliche glaubten, spielt eine enorme Rolle – gleich, ob das die Puritaner waren oder andere Kult-Anhänger oder einfach nur Leute, die über Nacht reich werden wollten. (…) Das ist vielleicht der zentrale Aspekt der amerikanischen Identität. Leute, die nach Amerika kamen, waren von Anfang an Träumer und Fantasten."

Den entscheidenden Wendepunkt sieht er jedoch in den 1980er-Jahren.

"Das Misstrauen begann damit, dass die Rechte in den Achtzigerjahren die Medien pauschal einer liberalen Voreingenommenheit bezichtigte. So richtig zum Tragen kam dieses Misstrauen dann allerdings erst in den Neunzigerjahren, als das deregulierte Radio und die immer stärker polarisierten Kabelsender den Menschen 24 Stunden lang eintrichterten, dass sie der Presse nicht trauen dürfen."

Vertrauen entsteht heute anders

Und an dieser Stelle tut sich nun eben der Graben auf, der – wenn auch nicht ganz so deutlich – doch ebenso in Deutschland zu erkennen ist. Misstrauen von rechts und links. Einigen können beide Seiten sich im Grunde nur auf den Satz: Die Medien sind schuld.

Mit dieser Entwicklung beschäftigt sich Sascha Lobo in seiner Spiegel-Online-Kolumne.

"Das 21. Jahrhundert hat sich in anderthalb Dekaden zur Epoche des Mediennihilismus entwickelt: nichts glauben, nichts von Wert sehen, die Verneinung aller Erkenntnismöglichkeit. Mediennihilismus ist so sehr Gebot der Stunde, dass sogar Medienmenschen mitnihilieren."

Lobo hat noch eine andere Erklärung für das um sich greifende Misstrauen.

"Das geschwundene Vertrauen in Medien liegt auch daran, dass in Zeiten der digitalen Vernetzung Vertrauen anders hergestellt wird, kleinteiliger, prozessualer, transparenter."

Das zeigt sich Lobos Deutung nach darin, dass aus der Möglichkeit, Transparenz herzustellen, inzwischen eine Pflicht geworden ist.

"In analogen Medienzeiten brauchte man einen Grund, um etwas zu veröffentlichen. Seit Veröffentlichung so einfach und billig ist, braucht man einen Grund, es nicht zu tun."

Der einzige Effekt der Berichterstattung: Beruhigung

Und das hängt wohl auch damit zusammen, dass immer mehr Menschen in der Lage sind, Medieninszenierungen zu durchschauen und wissen wollen, aus welchen Grund Dinge passieren, also um wessen Interessen es da gehtwie zuletzt nach dem Kniefall der Fußballmannschaft Hertha BSC Berlin, der abhängig davon, ob er eine Idee der Spieler war oder ein Einfall der Werbeagentur (was Spieler bestritten) eine ganz andere Wirkung hätte.

In dem Zusammenhang vielleicht auch ganz interessant: eine Studie zur Wirkung von Berichterstattung überhaupt. Darüber berichtet Ulrich Schnabel in der Zeit.

Wissenschaftler haben untersucht, welchen Einfluss Medienberichte über die Weltklimakonferenz 2015 in Paris hatten. Das Ergebnis war:

"Wenn die Berichterstattung überhaupt einen Effekt hatte, dann eher den der Beruhigung. So stieg das Vertrauen, dass die Weltgemeinschaft den Klimawandel in den Griff bekomme, von 25 auf 30 Prozent."

Immerhin.

"Mehr BBC für ARD und ZDF"

In Saarbrücken beginnt heute die Konferenz der Ministerpräsidenten, bei der es unter anderem wie in den vergangenen Tagen auch schon im Altpapier um die Zukunft des öffentlich rechtlichen Rundfunks gehen wird.

Auch dazu gibt es einige neue Wortmeldungen. Der Chef der Staatskanzlei in Thüringen, Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke), wirft Sachsen-Anhalts Medienminister Rainer Robra in einem Beitrag für den Freitag vor, sich mit seinem ARD-Beschneidungsvorschlag lediglich bei Gegnern des von ihnen unterstellten öffentlich-rechtlichen Wildwuchses beliebt machen zu wollen.

Hoff selbst schlägt vor, Folgendes deutlich zu machen:

"Wir haben die Kritik am Rundfunkbeitrag verstanden und müssen im Lichte der jüngsten und auch der zu erwartenden Rechtsprechung transparent über Änderungen am Rundfunkbeitragssystem sprechen, um dessen Legitimation im öffentlichen Bewusstsein herzustellen."

Wobei das natürlich auch in den vergangenen Jahren schon passiert ist. Eine andere Anregung ist noch etwas konkreter. Hoff bringt sie auf die Kurzformel:

"Mehr BBC für ARD und ZDF. Denn bislang haben die Anstalten keine gute Antwort auf die Frage gegeben, wie es ihnen gelingen soll, gemeinsam mit Deutsche Welle und Deutschlandfunk in gleichem Maße an Exzellenz hervorzustechen, ohne insgesamt fast um die Hälfte teurer zu sein als die BBC."

Inzwischen hat sich auch der Deutsche Kulturrat geäußert. Die Welt hat weitere Stimmen zu Rainer Robras Vorschlag eingeholt. Kai Feldhaus bringt in seinem Kommentar für Bild.de noch ein emotional sicher starkes, aber inhaltlich doch nicht so ganz überzeugendes Argument in die Diskussion ein: Nostalgie.

Und Kurt Sagatz schätzt die Aussichten des Treffens heute und morgen in seinem Kommentar für den Tagesspiegel abschließend ein:

"Dass die von ARD, ZDF und Deutschlandradio eingebrachten Vorschläge für eine öffentlich-rechtliche Strukturreform in Verwaltung, Betrieb und Technik von den Ministerpräsidenten in ihrer Sitzung am Donnerstag und Freitag in Saarbrücken als ausreichend akzeptiert werden, ist indes zweifelhaft."

Beginn der Bewältigung

Kommen wir nun einmal zur #MeToo-Kampagne (Altpapier gestern), die sich ausbreitet, seit mehrere Frauen dem Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein sexuellen Missbrauch vorwerfen. Susanne Herrmann hat für die Werben und Verkaufen ausgewertet, wo darüber gesprochen wird. Ein Ergebnis: In Deutschland ist das Thema auch ein Twitter-Trend, aber nicht ganz so präsent.

"(…) nur 1,3 Prozent der Tweets zum Hashtag kommen aus Deutschland (17.500 Tweets). 0,8 Prozent sind auf Deutsch verfasst."

Vor allem im Vergleich zu den laut Wikipedia über 50.000 Tweets zur Aufschrei-Kampagne vor vier Jahren ist das recht wenig. Bemerkenswert ist zudem, dass die Berichte von Frauen denen von vor vier Jahren noch immer recht ähnlich klingen. Das, was die Werberin Hannah Fricke etwa für die Werben und Verkaufen schreibt, gilt so wahrscheinlich noch immer in vielen Branchen.

"In dem Moment, wo dem Mann klar wird, dass sein Verhalten unangemessen ist, haben wir verloren. Denn von da an ist er es, der sich unbequem fühlt in unserer Anwesenheit, und das heißt: Wir müssen gehen. Also machen wir uns zu seinem Komplizen und sorgen dafür, dass er nichts merkt. Dass alle denken, dass alles ok ist."

So richtig überraschend ist es beim zweiten Hinsehen zwar doch, dass sich in vier Jahren nicht alles verändert hat. Ein Kulturwandel vollzieht sich ja nicht mal eben übers Wochenende. Bleibt aber die Frage, zu welcher Wirkung Bewegungen wie die soeben angestoßene in der Lage sind.

Iris Radisch ordnet das in einem Kommentar für die Zeit ein.

"Sein Fall (Weinsteins, Anm. Altpapier) hat in den sozialen Netzwerken Schleusen geöffnet. Der Blick zurück in das männliche Sonnenkönigtum der Kunst- und Medienbranche ist überfällig. Die Vergangenheitsbewältigung hat gerade erst begonnen."

Medien-Bashing mit Applaus-Garantie

Und über den Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia kommen wir zum Abschluss auf das erste Thema zurück: den Hass auf die Medien von beiden Seiten.

In einem Kommentar für den Guardian mit dem Titel "Daphne Caruana Galizia’s murder shows why hatred of the media is wrong" schreibt Jonathan Friedland einen Satz, der wohl so leider vollkommen richtig ist.

"Bashing the press is now a guaranteed applause line on both the right and left." 

Und Sarah Farolfi erinnert sich in einem Text für die taz daran, wie sie Daphne Caruana Galizia vor einem Jahr kennenlernte. Heute leider kein optimistisches Ende, sondern der Ausblick eines maltesischen Anwalts.

"Und das beunruhigende ist, dass nun alle Informationen, die Daphne zusammengetragen hatte, in den Händen der Polizei landen werden. Wo doch die Wahrheit ist, dass auf Malta niemand mehr den Institutionen traut."

Altpapierkorb

+++ Der inzwischen nicht mehr auffindbare Blog Greenwatch hat vor der Wahl Stimmung gegen die Grünen gemacht. Wie genau, das haben Jannis Brühl (SZ) und Stefanie Dodt (NDR) zusammen herausgefunden und hier aufgeschrieben. Und das Überraschende ist, wie machtlos die Landesmedienanstalten als auch Facebook (jedenfalls nach eigenen Angaben) offenbar sind, wenn Blogbetreiber ihre Identität auf die allereinfachste Weise verschleiern — indem sie einen falschen Namen ins Impressum schreiben. Tobias Schmid, Direktor der Landesmedienanstalt NRW, erklärt das so: "Die Medienaufsicht hat aktuell keine klare gesetzliche Handhabe, von Plattformen die Herausgabe der Identität des Verursachers zu verlangen." Und Facebook teilt mit, man könne "die Echtheit der Person nicht überprüfen, die im Impressum angegeben ist". So einfach ist das.

+++ Und noch schnell die Personalia. Bülend Ürük hat für Kress recherchiert, dass Joachim Gaucks Sprecherin Ferdos Forudastan Nachfolgerin von Heribert Prantl als SZ-Innenpolitik-Chef werden soll. Spiegel-Daily-Redaktionsleiter Timo Lokoschat hat via Facebook selbst bekannt gegeben, dass er den Spiegel verlassen wird — Richtung Berlin. Was er da machen wird, verrät er noch nicht. Marvin Schade hat gehört und aufgeschrieben, dass er zu Springer wechseln wird. Warten wir ab.

+++ Dietrich Leder hat sich für die Medienkorrespondenz mit ein bisschen Abstand noch mal ganz gründlich dem Dominik-Graf-Tatort über die RAF und der sich anschließenden Diskussion gewidmet. Die für mein Empfinden zentralen Sätze sind: "Fiktion ist und bleibt ein Spiel mit Möglichkeiten, die man sich mitunter kaum denken mag. Welche der Möglichkeiten die Wirklichkeit jener Nacht besser wiedergibt, sagt der Film nicht." Leders Vermutung ist jedenfalls: "Vielleicht waren Stefan Aust und Wolfgang Kraushaar auch deshalb so böse, weil sie nicht ‘mitspielen’ durften?"

+++ Das Bundeskriminalamt (BKA) hat vor ein paar Tagen mit Fotos von einem Mädchen, das als Missbrauchsopfer im Darknet zu sehen war, nach dem Täter gefahndet. Als der Mann gefunden war, sollten die Bilder gelöscht werden. Sabine Schaper berichtet für das NDR-Magazin "Zapp" darüber, wie schwer es ist, Fahndungsbilder nach Ende der Fahndung wieder aus dem Netz verschwinden zu lassen.

+++ Florian Klenk, Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung Falter, hat vor FH-Journalistik-Absolventen eine Festrede gehalten, indem er ihnen im Grunde noch mal ihren Beruf erklärt und ein paar Ratschläge mit auf den Weg gibt, zum Beispiel diesen: "Hören Sie auch damit auf, immer nur aus ihrem nächsten sozialen Umfeld zu berichten. Sondern tun sie zuallererst das, was gute Journalisten immer schon getan haben: Erkunden Sie die Gesellschaft, die sie nicht kennen. Besuchen Sie die unbekannten Orte dieses Staates: Gefängnisse, Asylheime, Psychiatrien, Internate, Problemschulen und Kasernen. Schnüren Sie sich die Schuhe, vernetzen Sie sich – und zwar nicht nur durch eine Freundschaftsanfrage auf Facebook, sondern verflechten Sie sich mit der richtigen Welt."

+++ Die Krawallbrüder Focus Online und Bild.de dürfen sich jetzt endlich vor Gericht streiten, und zwar am 15. Februar 2018, wie unter anderem Turi2 berichtet. Zur Erinnerung. Bild.de — das sind die, die sich ein bisschen schwer damit tun, Quellen zu nennen, wenn sie Inhalte von anderen übernehmen — will es nicht hinnehmen, dass Focus Online Nachrichten, die Bild.de zwar schon veröffentlich hat, aber gerne noch verkaufen möchte, auf der eigenen Seite kostenlos herausposaunt. Leider kann ich auch nicht sagen, wem man da die Daumen halten soll.

Neues Altpapier gibt es am Freitag.