Das Altpapier am 6. November 2017 Das Leak des Jahres ist da

"Paradise Papers" - wer hat sich eigentlich diesen Namen ausgedacht? Egal: Die SZ und ihre internationalen Partner haben wieder einen rausgehauen. Inwiefern ist die Enthüllung selbst Produkt? Gilt für die ARD- und ZDF-Mediatheken bald statt der 7-Tage- eine 30-Tage-Regel? Und was sagt Dominik Graf zum Konventionserlass beim "Tatort"?

Das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) hat am Sonntag um 19 Uhr wieder einen rausgehauen. Nach den "Panama Papers" sind es nun die "Paradise Papers", beruhend auf Leaks, die "Konzerne, Politiker und die Welt der Superreichen" erschüttern würden, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt. Sie hat, wie im Fall der "Panama Papers", das Datenleak mit den am ICIJ beteiligten Rechercheuren geteilt.

Wie schon im Fall der im Frühjahr 2016 veröffentlichten "Panama Papers" wurde die Relevanz der Recherche ganz zu Anfang zunächst einmal mit mächtigen Zahlen begründet:

13 Millionen Dokumente, mehr als 380 beteiligte Journalistinnen und Journalisten, 97 Medienorganisationen, 67 Länder, 1,4 Terabyte interne Daten, Unternehmensregister von 19 Steueroasen.

Bastian Obermayer jedenfalls, einer der Rechercheure der SZ, verbreitete am Sonntag um Punkt 19 Uhr, zum kurz zuvor angekündigten Veröffentlichungszeitpunkt, einige dieser Zahlen.

Andererseits hat die SZ natürlich heute auf den Seiten 1, 3 und 11 bis 22 ein Paket in der Zeitung, in dem viel mehr steht als ein paar Superlative.

Wir können im Rahmen dieses Formats hier heute morgen erst mal nicht viel mehr tun, als einen ersten Blick auf die Dramaturgie des Leaks zu werfen. Fast schon logischerweise stehen da zunächst einmal die Geschichten mit dem für die eigene Leserschaft potenziell größten Aufregerpotenzial.

Von der SZ wurden die als besonders wirksam erachteten Aspekte auch online gepackt in eine "Übersicht für Eilige", die wirklich ein wenig das erste Gefühl der Überforderung lindert: Es geht also etwa um den US-Handelsminister Wilbur Ross, der von Geschäften mit einer mit Wladimir Putin verwandelten Firma profitiere; um die Queen; um Justin Trudeau; um finanzielle Unterstützung des russischen Investors Juri Milner durch den Kreml bei seinem Einstieg in Twitter und Facebook vor einigen Jahren - wobei das Investment selbst bekannt war, aber nicht, woher das Geld stammt; um Apple, Nike und einen Fußball-Aspekt; um Deals mit Rohstoffen in der Demokratischen Republik Kongo; und ein paar weniger weltbekannte deutsche Namen fallen auch.

Freilich hat jedes der beteiligten Medien seinen eigenen Zugang. Bei der SZ folgen im Online-Paket, gleich nach der Geschichte über Trumps Minister, die "deutschen Fälle". Die New York Times eröffnete ihr Programm am Sonntag mit Wilbur Ross und Juri Milner (der auch in ein Start-up von Donald Trump Schwiegersohn investierte), der britische Guardian und die BBC mit der Queen, der österreichische Falter mit dem "Firmengeflecht hinter einem Wiener Süßwarenklassiker", der Schweizer Tagesanzeiger mit einer Geschichte über einen Schweizer, "der von Angolas Milliarden profitiert".


"Die Enthüllung als Produkt"

Die Bedeutung der teuren Recherche wird also zunächst über die schiere Quantität und dann über große Namen und die Anbindung bei der eigenen Leserschaft besondere Aufmerksamkeit erregende Themen nachgewiesen. In den kommenden Wochen oder Monaten wird es sicher noch lange weiter tröpfeln. Um eine Altpapier-Kolumne von Frank Lübberding vom 4. April 2016 zu zitieren, als es erstmals um die "Panama Papers" ging:

"Diese Form der medialen Aufarbeitung ist zwangsläufig. Sie ergibt sich aus der Funktionslogik unseres Mediensystems, das letztlich auf die Reflexe der Mediennutzer reagiert."

Zwei Tage später hieß es damals im Altpapier von Christian Bartels: Es "ballt sich um den Panamapapers-Komplex ein gewaltiges Konglomerat von häufig fundierten Meinungen so gut wie aller Art."

Wer mag, kann angesichts der bereits kursierenden "Wows" und "Najas" und "Bringt-halt-eh-nichtse" einen Hinweis auf die Debatten der nun folgenden Tage sehen.

Christian Bartels hob damals im Altpapier besonders die damalige Analyse von Tom Strohschneider im Neuen Deutschland ("Enthüllung als Produkt") als instruktiv hervor, deren Lektüre tatsächlich auch nun noch einmal lohnt:

"Weil die teure Investition (Recherche) auch noch Erträge (Nachrichten) bringen soll, wenn alle schon darüber berichtet haben, tröpfelt die Erkenntnis bisweilen in sehr kleinen Dosen in die Öffentlichkeit. Aber: Es bleibt Erkenntnis. (…) Statt nun also zu beklagen, dass sich Medien im Kapitalismus wie Medien verhalten, ihr Coup mithin Teil der Verhältnisse ist, über die aufzuklären eine Enthüllung beiträgt, sollte der Blick auf die Substanz gerichtet werden".

Beteiligt an den Recherchen von deutscher Seite übrigens neben der SZ: NDR und WDR, die, außer Partner im internationalen ICIJ, auch die öffentlich-rechtlichen Partner der nicht öffentlich-rechtlichen SZ in einem deutschen Rechercheverbund sind. Was die SZ gestern zum Beispiel prominent in die "Tagesschau" brachte.

Ihre Wettbewerber drückten für diese Art der - so der Vorwurf - Subventionierung der Zeitung durch Rundfunkbeiträge bekanntlich schon häufig ihr Missfallen aus. Was uns zum nächsten Thema bringt.


Kommt die 30-Tage-Regel für die Mediatheken?

Falls Sie bereits vorinformiert sind und Bedarf haben, sich über weitere Umdrehungen des Konflikts zwischen Verlagen und ARD zu informieren, verweisen wir etwa auf einen Beitrag in der Westdeutschen Zeitung und auf die Antwort des WDR- und Deutschlandradio-Mitarbeiters Stefan Fries in seinem Blog (siehe zum Thema auch Altpapier vom Freitag). Oder auf die auch für Anfänger lesbare Zusammenfassung der Streitigkeiten von Friedrich Küppersbusch im Interview mit dem Deutschlandradio:

"Da geht es hin und her, eigentlich um die Frage, dürfen die Öffentlich-Rechtlichen noch am Internet, am digitalen Journalismus teilnehmen, und das ist natürlich eine Frage, wo die einen sagen: Wir wollen das Geld verdienen, und die anderen sagen, wir wollen aber auch noch mitmachen. Das muss die Gesellschaft klären, ob (…) die Argumente, die für öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen galten, ob die auch noch fürs Internet gelten sollen".

Daniel Bouhs hat bei Zeit Online darüber hinaus in dem Zusammenhang beschrieben, welche Ideen für die Regelung der öffentlich-rechtlichen Mediatheken im Raum stehen. Aus der sogenannten 7-Tage-Regel, von der es bereits viele Ausnahmen gibt, könnte, kurz gesagt, eine 30-Tage-Regel werden:

"Die Rundfunkkommission der Länder hat zwar noch keinen exakten Wortlaut parat, doch hinter den Kulissen spricht sich ein wahrscheinliches Szenario herum. Demnach würden Inhalte - außer Mitschnitte von Sportübertragungen - fortan nach 30 Tagen ablaufen. Die Kontrollgremien der Sender könnten diese Frist dann auf Antrag der Programmmacher für einzelne Inhalte noch mal verlängern - so wie bisher. Vor allem könnten Sender aber erstmals auch reine Lizenzproduktionen wie Hochglanzserien ins Netz stellen.Vermutlich geben die Länder das aber nur für Produktionen aus Europa frei."

Ob das dann als Vision verkaufbar wäre, kann man aber vielleicht bezweifeln.


Dominik Graf zur neuen "Tatort"-Konvention

Wobei zu einer Großdebatte über die Öffentlich-Rechtlichen, wie wir sie derzeit erleben und führen, immer irgendwie auch der "Tatort" gehört - dazu kann halt nun mal jeder was sagen. Der lieferte auch an diesem Wochenende die vermutlich populärsten Lesegeschichten auf den Medienseiten. Charlotte Lindholm alias Maria Furtwängler hat am Sonntag zum 25. Mal ermittelt, ein weiteres Jubiläum im "Tatort"-Universum (wann gibt es mal ein "Tatort"-Jubiläums-Jubläum?). Wir verzichten hier auf die Links, weil das lineare Programm von gestern ins Altpapier gehört. Aber es wurde berichtet.

Von größerer Tragweite ist das neue ARD-Gebot, demzufolge nur noch zwei "Tatort"-Filme pro Saison "experimentell" ausfallen sollen (Altpapierkorb vom 29. Oktober) - eine Reaktion auf eine Häufung von, sagen wir, womöglich nicht exakt den Sehgewohnheiten entsprechenden Filmen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat auf der Medienseite ein paar schön langweilige Skizzen angefertigt, zu was das führen könnte. Und auch der ehemalige Altpapier-Autor Matthias Dell hat in seiner @mediasres-Kolumne schon vergangene Woche die "Kunstferne" der Entscheidung beklagt.

Wobei die Kritik an der ARD-Idee aber gerade nicht nur von Journalisten kommt. Unter anderem Regisseur Dominik Graf wurde in der Bild am Sonntag zitiert (Blendle, 0,25 Euro), "nur mit Konventionalitätszwang allein erreicht man keine Qualitäts-Sicherheit":

"Für die Beurteilung, ein Film sei 'experimentell', braucht man sehr viel Kinoerfahrung und sehr präzises, objektives Stilgefühl. Persönlicher Geschmack ist da völlig fehl am Platz. Denn manches, wovon man in Deutschland peinlicherweise immer noch glaubt, es sei 'experimentell', gehört längst zur internationalen Filmsprache. (…) In der alltäglichen Redaktionspraxis wird es nun wahrscheinlich Ideen-Staus und jede Menge vorauseilenden Gehorsam geben. Aber vielleicht war das ja das eigentliche Ziel der Verlautbarung - wer weiß? Gebote und Verbote haben beim Film auf lange Sicht aber immer nur das Gegenteil bewirkt."

Ach so, da fällt uns gerade noch was ganz anderes ein: Zu diesem Innovationsgroschen, der kürzlich ins Spiel gebracht wurde, der vom Rundfunkbeitrag abgehen und unter anderem in die Entwicklung innovativer Inhalte gesteckt werden könnte (Altpapierkorb vom Freitag) … gibt es dazu eigentlich schon neue Meinungen?


Altpapierkorb (NSU-Krimi, Größte Medienkonzerne, Kevin Spacey, Debattenstil, Peter Hahne)

+++ Gleich weiter mit dem deutschen Krimi: Nach dem Dominik-Graf-"Tatort" über die RAF (um den es mehrfach im Altpapier ging, zuletzt etwa vor zwei Wochen) geht es nun im ZDF in einem Krimi um den NSU: "Die neue Folge der ZDF-Dengler-Krimireihe 'Die schützende Hand' legt nahe, dass sich die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nicht das Leben nahmen, sondern ermordet wurden. Das geschichtenversessene Fernsehen mischt sich mit erfundenen Figuren in ein laufendes Verfahren ein." Schreibt der Tagesspiegel und ist da etwas skeptisch. Annette Ramelsberger, die für die SZ vom NSU-Prozess berichtet, hat damit bei allen Abwägungen ebenfalls ein Problem: "Derweil sitzen die Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sender unermüdlich im Prozess und bemühen sich, die um sich greifenden Fake News über den NSU zu widerlegen. Demnächst werden sie dann womöglich gefragt, warum das Gericht sich nicht endlich um den staatlichen Mord an Mundlos und Böhnhardt kümmert." Und die FAZ findet in erster Linie den Film nicht gelungen: "Der Film hingegen krabbelt schließlich unwürdig aus dem angerichteten Schlamassel heraus und gibt uns dann doch - ähnlich wie Graf, aber noch unmotivierter - eine letzte Kopfnuss in Sachen reißerischer Systemkritik mit."

+++ Der Spiegel fasst das neue Medienkonzern-Ranking des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik zusammen: "International verlieren deutsche Medienkonzerne zunehmend an Bedeutung. Die hiesige Nummer eins Bertelsmann, Umsatz: 17 Milliarden Euro, fällt auf der Liste der Branchenriesen im Vergleich zum Vorjahr um vier Plätze auf Rang 15 zurück." Ganz vorne: Alphabet, also die Google-Mutter, aufstrebend: Netflix. "Als zweitstärkstes deutsches Unternehmen folgt auf Rang 30 der öffentlich-rechtliche Senderverbund ARD (Budget: 6,5 Milliarden)".

+++ Joachim Huber vom Tagesspiegel schreibt, er sei nicht einverstanden mit den Verrissen von "Babylon Berlin".

+++ In der FAZ geht es um den zehnten Geburtstag und die Bedeutung des Theaterportals Nachtkritik.de.

+++ Hans Hoff sucht in seiner DWDL-Kolumne nach dem Profil von Arte.

+++ Peter Hahne vom ZDF geht bald in Rente. Der Tagesspiegel charakterisiert Hahne: "Klartext statt Kuschelthemen, erklärt konservativ, mehr als ein Ohr für die Vernachlässigten und stets in der Spur, wenn es den Verlust christlicher Werte zu begrenzen galt."

+++ Kevin Spacey wurde von Netflix mittlerweile wohl entlassen. Spiegel Online und sz.de diskutieren, ob man Film und Künstler miteinander vermengen sollte.

+++ In der SZ am Wochenende stand ein Interview mit den Geschwistern Löwisch: Henriette Löwisch, die die Deutsche Journalistenschule leitet, und Georg Löwisch, dem taz-Chefredakteur.

+++ Und noch nachzutragen vom Freitag: Wie uns elf Minuten Twitter ohne Donald Trump geschenkt wurden. Siehe, nur zum Beispiel, Spiegel Online.

Neues Altpapier gibt es am Dienstag.