Das Altpapier am 10. November 2017 1.000 Quadratmeter Zukunft

Synergieren, revoltieren, ignorieren: Wie sich die Zukunft des Journalismus endlich sichern lässt. Ein Reporter-Klischee wandelt durch die öffentlich-rechtliche Paradise-Paper-Doku. Die Schweiz entdeckt die Straftäter-Nationalitäten-Debatte für sich. Politiker müssen für ihr Facebook-Profil noch viel lernen. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Haben Sie heute schon was vor? Nein? Hervorragend. Denn dieser Freitag ist ein guter Tag, um mal eben den Journalismus zu retten. Das legt zumindest die aktuelle Nachrichtenlage nahe, aus der wir gleich viereinhalb Strategien extrahieren können, die uns alle aus der aktuellen Klemme manövrieren werden. Schnallen Sie sich an, das wird schön. Wir unterscheiden:


Strategie 1: Die Synergie-Effektisierung

Vielleicht haben Sie in der Vergangenheit schon einmal davon gehört, dass Redaktionen zusammengelegt und damit die Medienvielfalt ausgedünnt wird. Doch nun wird klar: Das haben Sie völlig falsch verstanden!

"Beide Zeitungen würden sich allein viel schwerer tun. Gemeinsam sind wir stärker. Deshalb handelt es sich bei unserem Newsroom-Konzept eben nicht um ein reines Sparprogramm, sondern um ein Innovationsmodell."

Das sagt Carsten Fiedler, Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, in einem gemeinsamen Interview mit Constantin Blaß, Chef des Kölner Express', sowie Dumont-Digital-Manager Thomas Kemmerer, das anlässlich der Zusammenlegung der beiden Kölner Zeitungsredaktionen in einen Newsroom gestern der KStA veröffentlicht hat.

Wie bei Berliner Kurier und Berliner Zeitung behält der Verlag nach außen seinen Boulevard- sowie seinen Regionaltitel, lässt aber beides aus einer Hand fertigen, und wenn man das ganze Interview liest, fragt man sich, wie dieser Lokaljournalismus all die Jahre anders überhaupt funktionieren konnte. Mein persönlicher Favorit ist die Blaßsche Aussage

"Unser Newsroom – das sind 1.000 Quadratmeter Zukunft".

Auch die Politik hat keinerlei Zweifel, dass hier gerade ein Schritt in die richtige Richtung getan wird, wie folgendes Zitat der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker aus der dazugehörigen Dumont-Pressemitteilung beweist:

"Der neue Newsroom ist quasi die Geburtsstation für eine neue Art, journalistisch zu denken und zu handeln. Er löst auch die Grenzen in den Köpfen auf und erschließt den Zugang zu neuen Angeboten und Produkten."

Warum man sich als Lokalredaktion von Politikern feiern lässt, die es doch eigentlich kritisch zu beäugen gilt, erörtern wir nach der nächsten Maus. Fürs Erste bleibt festzuhalten: Weniger Redaktion ist mehr Journalismus!

Was passiert, wenn die letzte Redaktion zusammengelegt wurde und der letzte Redakteur wegen Persönlichkeitsspaltung in Boulevard-Journalist, Fotograf, Youtuber und Infografiker zusammengebrochen ist, interessiert jetzt echt nicht.


Strategie 1a: Das Konkurrenz-Kuscheln

Worüber kein Fan von Strategie 1 gerne spricht: Zusammenlegungen hinterlassen durchaus Lücken. Aus Verlegersicht lässt sich das aber wesentlich besser verknusen, wenn sichergestellt wird, dass davon nicht die Konkurrenz profitiert. Diesen Weg geht man aktuell in Süddeutschland, wo der Südkurier seine Friedrichshafen-Ausgabe ausgerechnet in dem Moment einzustellen ankündigt, in dem die Schwäbische Zeitung sich aus Pfullendorf, Meßkirch und Markdorf zurückzieht.

"Der Schluss aber liegt nahe, dass sich die benachbarten Medienhäuser angesichts der sinkenden Auflagenzahlen und Anzeigenrückgänge abgesprochen haben und einander nicht mehr wehtun wollen. Der traditionell badisch geprägte 'Südkurier' wird sich künftig auf sein Kernland konzentrieren und im Umkehrschluss tritt die württembergische 'Schwäz' den Rückzug auf ihr altes Stammland an",

erklärt bei kress.de Wolfgang Messner.

Wenn ich mich recht an Berichte der Obersten Heeresleitungen und meinen Geschichtsunterricht (Hallo Herr Hahne! Viele Grüße!) erinnere, hat Deutschland mit derartigen strategischen Rückzügen schon den Ersten Weltkrieg gewonnen. Beste Aussichten also.


Strategie 2: Die Journalisten-Revolution

Dennoch fragen sich nun sicher manche Journalisten: Und was kann ich tun? Für sie hat Silke Burmester eine Idee, formuliert in ihrer Kolumne bei @mediasres. Ihr Vorschlag:

"All jene, die den Beruf nicht ernst nehmen und/oder auf das Geld, das sie mit ihrer Tätigkeit verdienen, nicht angewiesen sind, machen bitte etwas anderes."

Sie meint, Rentner, Studenten und Hausfrauen sollten nicht länger für Dumping-Löhne Lokalzeitungen wie Frauenmagazine befüllen. Denn:

"Es sind diese drei Gruppen, die mit dafür verantwortlich sind, dass immer mehr derer, die sehr gern professionell arbeiten würden, zusehends unter Druck geraten und für Löhne und Honorare tätig sind, die erst die Würde fressen und dann den Anstand und Ethos, die den Journalismus von der Dienstleistung trennen. (…) Es ist schlicht unverständlich, warum ausgerechnet dieser für unsere Demokratie so essentielle Berufsstand ein Auffangbecken für Dilettanten sein soll."

Sie zielt demnach auf die völlig verrückte Idee ab, dass es dem Journalismus und seiner Refinanzierung eventuell besser gehen könnte, wenn nur noch Profis die Arbeit machten, woran sich noch folgende, nicht ganz neue Erkenntnis anschließen lässt, die Thomas Knüwer frisch verbloggt hat:

"Der Journalismus wie er heute betrieben wird, ist nicht Paid-Content-fähig – und die Gegenfinanzierung über Werbung haben sich die Medienhäuser selbst versaut. Die Verantwortlichen haben versagt."

Er meint, Journalisten müssten bei der sich gerade bietenden Gelegenheit stärker ihr Selbstbild hinterfragen, ihr Vorgehen bei der Arbeit in ihren Texten transparent machen und auch mal eingestehen, was sie alles nicht wissen. Und dann klappt es auch mit der Refinanzierung.

Dass es hier zu gewissen Konflikten mit Strategie 1 und 1a kommt, ist… egal.


Strategie 3: Vertrauen durch Annäherung

Bleiben wir lieber noch kurz beim Thema Transparenz. Darauf setzt auch Friedrich Schoch, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg. In der aktuellen Ausgabe epd medien (derzeit nicht online) präsentiert er eine Erwiderung auf das Gutachten "Transparenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" des Staatsrechtlers Paul Kirchhof, das dieser im Auftrag der ARD erstellt und im September präsentiert hat (Altpapier).

Kirchhof findet es schon irgendwie in Ordnung, wenn die Öffis etwa das Honorar ihrer Sportkommentatoren unter Verschluss halten. Dem widerspricht Schoch nun, u.a., indem er Kirchhofs Argument zerpflückt, ARD und ZDF müssten im Wettbewerb mit privaten Anbietern bestehen können, was Betriebsgeheimnisse wie entstehende Kosten rechtfertige. Stattdessen plädiert er dafür, dass Informationsfreiheitsgesetze auch für die Anstalten zu gelten hätten - natürlich nicht, um Einblick in ihre Redaktionsgeheimnisse einforderbar zu machen, sondern nur für Strukturelles.

Schoch:

"Unabhängig davon entspricht es einem Gebot (rundfunk)politischer Klugheit, nicht auf einem Minimum geforderter Transparenz zu verharren, sondern eine Kultur der sukzessiven Verbesserung von Transparenz zu etablieren. (…) Transparenz bedeutet 'Sichtbarmachen'. Kompetenzen und Befugnisse der Rundfunkanstalten werden dadurch nicht verschoben. Werden Entscheidungen sichtbar gemacht, wird Rechenschaft gegeben, mitunter müssen Verantwortliche in der öffentlichen Diskussion dafür einstehen. Was sollte daran verstörend sein?"

Glaubwürdigkeitskrise? Rundfunkgebührenkritik? Verlegerneid? Alles gelöst!


Strategie 4: Das blinde Schulter-Klopfen

Wir sehen also: Alles wird gut. Bzw.: Das ist es doch längst! Man muss nur aus der richtigen Perspektive draufschauen.

"Bei #Best4Print treffen sich heute die Macher von 'Michael Schumacher – Abschied für immer', 'Michael Schumacher – Er sitzt in der Sonne!' und 'Michael Schumacher – Oh Gott, jetzt verliert er seine Erinnerung!', um darüber zu sprechen, 'warum Qualität niemals Fake sein kann'.

Das twitterten gestern die regenbogenpressegeprüften Kollegen vom Topf voll Gold. Schöne, dazu passende Zitate von Verlagsverantwortlichen

("Gutes Publizieren erschöpft sich nicht allein in politisch kritischem Journalismus. Es umfasst die gesamte Bandbreite unserer Produkte', sagte (VDZ-Präsident Rudolf) Thiemann. (…) Julia Becker, designierte Verlegerin im Familienunternehmen (die Rede ist von der Funke-Mediengruppe, Anm. AP), gab jüngst einen 'Widerspruch im Hinblick auf den objektiven Journalismus' zu, verteidigte die Arbeitsweise der Yellows zugleich aber, indem sie deren Qualität 'journalistisch anders' bewerten will als bei Tageszeitungen.")

hat Marvin Schade bei Meedia zusammengetragen. Womit ich sagen will: An einem mangelt es dem Journalismus in keinem Fall, und das ist das Selbstbewusstsein seiner Führungspersönlichkeiten. Und wenn diese drei Affen sagen, dass alles töfte ist, dann ist das so. Journalismus gerettet! Bitteschön.

Altpapierkorb (Journalistenselbstinszenierung, Täternationalitäten, Pressefreiheitsbedrohungen)

+++ "Ich bin nur kein Freund von Dokus, bei denen sich der Reporter in den Mittelpunkt drängt. Und ich frage mich, warum der NDR immer wieder (Christoph) Lütgert aus seinem inzwischen siebeneinhalb Jahre währenden Ruhestand holen muss." Ulrike Simon outet sich in ihrer Spiegel Daily-Kolumne nicht als größter Fan der Paradise-Paper-Doku von WDR und NDR.

+++ Schweiz I bzw. Hallo Pressekodex-Artikel-12-Debatte (Altpapier)! "Die Regelung der Stadtzürcher Polizei stellt einen staatlichen Eingriff dar in die Informationsfreiheit. Dieser Eingriff ist aber gerechtfertigt, so lange die Medien nicht selbst willens sind, die Herkunftsnennung mit der gebotenen Sorgfalt anzugehen." Das schreibt Nina Fargahi in der Medienwoche, da sich die Zürcher Polizei von der Nennung von Nationalitäten verabschiedet. "Vor dem Entscheid befragte die Stadtpolizei zwei Medienethiker und den Presserat", weiß Vice.

+++ Schweiz II: Wer sich nochmal auf Stand bringen möchte, was es mit der No-Billag-Initiative  auf sich hat, für den hat das EJO etwas vorbereitet.

+++ Über ein weiteres türkisches Exilmedium namens Ahval News berichtet auf der Medienseite der SZ Christiane Schlötzer. "(Gründer Yavuz) Baydar sagt, die Webseite wolle eine Lücke füllen, die durch Medienverbote und Selbstzensur in der Türkei entstanden sei. Darum erscheint sie auch auf Englisch, für ein internationales Publikum, und auf Türkisch, um eine öffentliche Diskursplattform zu bieten."

+++ Wo es auch schlecht um die Pressefreiheit steht: Venezuela. "Staatliche und private Sender müssen künftig jede Woche für eine halbe Stunde Botschaften senden, 'die Frieden fördern'. Botschaften, die zu Gewalt und Hass führen können, werden dagegen mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft." (Agenturberichte bei Zeit Online) Auf ihrer Medienseite berichtet auch die FAZ (Blendle-Link).

+++ "Pro Sieben Sat 1 kommt an der Börse unter die Räder" schlagzeilt die FAZ in ihrem Unternehmensteil (S. 18), während Caspar Busse im Wirtschaftsteil der SZ schon mal über einen Nachfolger für den Vorstandsvorsitzenden Thomas Ebeling spekuliert.

+++ Bei RTL berichten sie nicht nur trotz Werther-Effekt über den Selbstmord eines Jungen. Es wird auch munter über das Computerspiel Minecraft als Ursache spekuliert, schreibt Übermedien.

+++ "Wäre es also besser, Google als Hüter des Wissens der Menschheit erkennt und verhindert künftig Anzeigen, die Böses anrichten sollen, oder wäre das Zensur?" Das ist nur eine von vielen Fragen, die sich Altpapier-Kollege Christian Bartels zu Netzwerken und Fake News in seiner evangelisch.de-Kolumne stellt.

+++ Was Politiker besser alles nicht bei Facebook posten sollten ("15.000 Text-Zeichen (…) ohne einen Multimedia-Ansatz, ein Video, ein Foto, eine Infografik"), erklärt Politikberater Martin Fuchs bei @mediasres.

+++ Die Zukunft von CNN in Zeiten einer möglichen Übernahme von Time Warner durch AT&T ist Joachim Hubers Thema im Tagesspiegel.

+++ "Die hochgewachsene, hagere Gestalt; der wie ausgeglüht wirkende knochen-magere, herrenhafte Schädel; die in allen opaken Tonartenfarben dunkel sonor schlierende Stimme mit ihrem wunderbar funkelnden Aggressionsglanz; die brennend auf Distanz blinzelnden Augen – sie sorgten allesamt schon dafür, dass er nie ganz in einer Figur aufging. Es blieb immer ein Rest an Geheimnis übrig." So erinnert Gerhard Stadelmaier heute im Feuilleton der FAZ (S. 11) an Hans-Michael Rehberg, der am Dienstag verstorben ist. Online stehen Nachrufe auf den "Pfarrer Braun"-, "Soko Kitzbühl"- und "Derrick"-Darsteller bei sueddeutsche.de und faz.net.

Frisches Altpapier gibt es wieder am Montag.