Das Altpapier am 17. November 2017 Vertraue mir!

Und täglich grüßt die Frage, was ARD und ZDF eigentlich im Internet wollen. Zertifizierter Qualitätsjournalismus ist auch nicht die Lösung. Thomas Ebelings Publikumsbeschimpfung als Aufruf zum Klassenkampf. Wer bei der Bambi-Verleihung Kaugummi kaute. RBB und ZDF betreiben Studio-Sharing. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Wir schreiben das Jahr 2017. Das gilt es zunächst festzuhalten, damit die folgende Frage in vollem Umfang genossen werden kann, mit der Kai Gauselmann und Hagen Eichler in ihrem Interview heute im Kölner Stadtanzeiger die ARD-Vorsitzende Karola Wille konfrontieren.

Bitteschön:

"Sind dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Radio und Fernsehen nicht genug?"

Internet - muss das wirklich sein?! Dass sie sich in deutschen Verlagen solche Fragen stellen, erklärt eher all deren Probleme (die des KStA im besonderen waren vor einer Woche hier Thema), als dass ARD und ZDF das nicht mehr tun, wie nicht nur die Existenz der "Tagesschau"-App oder auch die dieser von Ihnen gerade besuchten Website dokumentieren, sondern auch Willes Antworten wie:

"Vor allem mobile Nutzer wollen Nachrichten auch als Text, das haben neueste Befragungen ergeben. Wir machen das nicht als Selbstzweck, sondern weil die Nutzer das wollen."

oder

"Meinungs- und Willensbildung findet nicht mehr allein in Radio, Fernsehen und Zeitung statt. Die Internetwelt entwickelt neue Kommunikationsräume. (…) Mit unseren strukturellen und finanziellen Voraussetzungen können wir auch online ein verlässliches, vielfältiges Angebot schaffen – das ist seit einigen Jahren unser gesetzlicher Auftrag: auch online für alle da zu sein und Orientierung zu bieten".

Wenn solche Dinge erklärt werden müssen, ist das Friedens- und Gesprächsangebot des Deutschlandradio-Intendanten Stefan Raue (Altpapier am Montag) ja richtig gut angekommen. Die nächste Folge im Sandkastenstreit folgt also bestimmt.

Eine Pause-Taste für Online-Medien #wasfehlt

Damit zu Themen, mit denen sich die Medienlandschaft lieber mal beschäftigen sollte als mit der genüsslichen Selbstzerfleischung. Es ist ja nicht so, als ob es davon nicht genug gäbe.

Marina Weisband hat sich in ihrer @mediasres-Kolumne die Fake News herausgepickt und leitet aus deren Existenz die Forderung ab, dass sich Online-Medien nicht in den Erregungs-Zyklus mit immer heftigeren Überschriften und immer steilere Thesen stürzen, sondern sich im Gegenteil als Fels in der Nachrichtenflut etablieren sollten (Habe ich gerade wirklich dieses Sprachbild benutzt? Memo an mich selbst: weniger kress.de lesen).

"In diesen unruhigen Zeiten sehnen wir uns alle nach Orientierung. Das fachliche Talent und das tiefe journalistische Verständnis sind in diesem Land vorhanden. Aber Geschwindigkeit und Klickzahlen sind die falschen Messlatten und sie werden beim Kampf um das Fortbestehen der klassischen Medien nicht zum Sieg führen. Digitalisierung kann auch Entschleunigung bedeuten. Und das ist, was wir jetzt dringend brauchen",

findet Weisband, die sich zu ihrer Ehrenrettung total bewusst ist, dass diese Idee keine neue ist. Aber so lange sich sich nicht durchsetze, müsse man sie halt immer wieder aussprechen, meint sie.

Amen.

The Trust Projekt: Für einen zertifizierten Qualitätsjournalismus

Natürlich kann die Wiederentdeckung der Langsamkeit nicht alle Probleme lösen. Woran soll etwa ein Facebook-Nutzer erkennen, dass hinter einem Post ein professionelles Medienunternehmen steckt und nicht ein mazedonischer Teenager, der gerade mit einem Fake-News-Imperium statt mit Inventur im Supermarkt sein Taschengeld aufbessert?

Voilà, Auftritt des Trust Projekts, das gestern vorgestellt wurde und an dem weltweit Medien wie die Washington Post, The Economist, Zeit Online und die dpa, aber auch Google, Facebook und Twitter beteiligt sind.

"Ziel des Trust Projects ist es, den Lesern von Nachrichten eine einfache und transparente Entscheidungshilfe zu bieten, ob es sich bei den ausgewählten Artikeln um vertrauenswürdigen Qualitätsjournalismus handelt. Nachrichtenseiten können mit einem Trust-Signet auf solche Inhalte hinweisen".

erklärt die dpa in einer Pressemitteilung.

"Außerdem sollen die Leser Zugang zu so genannten Trust-Indikatoren bekommen, die mehr Informationen zu Hintergründen des Artikels liefern – zum Beispiel zu Standards und Arbeitsmethoden, den Nachrichtenquellen oder zur Expertise der Autoren hinter der Geschichte. Laut der Mitteilung werden diese Metadaten darüber hinaus von Google, Bing, Facebook, Twitter und anderen Netzwerken ausgelesen und in den Trefferlisten berücksichtigt",

ergänzt Meedia.

Wer sich dafür interessiert, wie diese Indikatoren entwickelt wurden, kann sich hier alle ursprünglich zur Diskussion gestellten Faktoren ansehen und auf der Website des Projektes die acht, auf die man sich dann verständigt hat.

Konkret bedeutet das, dass Artikel der Trust-zertifizierten Medienunternehmen in Zukunft bei Google und Facebook mit Fleißsternchen, äh, Trust-Signet verziert für ihre eigene Glaubwürdigkeit werben und zudem im bzw. unter dem entsprechenden Artikel mit der Beantwortung von Fragen wie "Warum wurde die Geschichte geschrieben?" oder "Wer finanziert dieses Medienunternehmen?" für Transparenz sorgen (hier geht es zum Beispiel, wie das aussehen kann).

"By focusing on reading and sharing news with integrity behind it, we can lessen the power of misinformation and stop its spread",

heißt es in den FAQ des Projektes, wo sich auch Antworten für die sich mir als allererstes aufdrängenden Fragen finden: Ja, auch kleine Medienunternehmen sollen im Laufe der Zeit das Qualitätssiegel erhalten können. Für Einzelpersonen und damit freie Journalisten ist eine Teilnahme allerdings nicht vorgesehen.

Hello again, Wahrheitsministeriums-Debatte.

Tatsächlich sollte man über die Sache mit dem Stempel noch mal nachdenken. Ein Blick auf die Milch-Packung neben mir und die sie verzierenden Zertifikate, die alle Qualität versprechen und mir doch nichts sagen, ist nicht der einzige Grund dafür. Doch Eichhörnchen ernähren sich ja bekanntlich mühsam, und für ein wenig mehr Transparenz zu sorgen, wer warum welche Geschichten aufschreibt, ein schöner Ansatz.

Fettleibige aller Länder, vereinigt euch

Was definitiv keine gute Idee war: die Publikumsbeschimpfung von ProSiebenSat.1-Chef Thomas Ebeling ("ein bisschen fettleibig und ein bisschen arm" sei es, meinte er, s. Altpapier gestern).

Welche Folgen das für Ebeling hat, dazu gibt es zwei Meinungen. Kai-Hinrich Renner spekuliert im Hamburger Abendblatt:

"Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein erfahrener Top-Manager wie Ebeling einen solchen Satz einfach so raushaut. Er muss wissen, dass er Werbekunden verschreckt, wenn er die eigene Zielgruppe derart abqualifiziert. Nun gilt der 58-Jährige schon seit einiger Zeit als amtsmüde. Bereits vor einem Jahr kündigte er an, seinen 2019 auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen. (…) Will er womöglich noch früher aus seinem Vertrag entlassen werden?"

Als mögliche Nachfolger nennt Renner Fred Kogel oder gar einen Branchenfremden, während Gregory Lipinski bei Meedia meint, Ebeling bleibt, und zwar mit folgenden Zukunftsplänen:

"So könnte er der Sendergruppe ein radikales Sparpaket verschreiben. Im Gespräch ist auch, dass Ebeling die TV-Sendegruppe in nur noch drei große Geschäftsbereiche gliedert. Zudem könnte er die Digitalgeschäfte, die er in den vergangenen Jahren aufgebaut hat, für externe Investoren öffnen. Möglich sind auch separate Börsengänge, um den Wert des Gesamtunternehmens zu steigern."

Wie anders man den Ausfall auch verarbeiten kann, zeigt derweil Jörg Wimalasena in der taz, indem er aus einer flapsigen Bemerkung gleich eine ganze Gesellschaftskritik zu stricken vermag:

"Viel zynischer als Ebelings Äußerungen ist das oft gehörte Argument, der Zuschauer entscheide schließlich selbst, was er sich anschauen möchte. Dem liegt der Irrglaube zugrunde, dass die Wahl der konsumierten Medien stets eine Frage persönlicher Vorlieben sei. Dem ist nicht so. Vielmehr werden Menschen – vor allem aufgrund ihrer sozialen und ökonomischen Herkunft – auf bestimmte Formen des Medienkonsums konditioniert. (…)

Der Geschmack ist nicht von persönlichen Vorlieben geprägt, sondern von der zutiefst ungleichen Verteilung von Reichtum, Bildung und Zugang zu Kulturgütern. Die Existenz einer solchen medialen Klassengesellschaft erkennt Ebeling nun ungewollt an."

Karl Marx, übernehmen sie.

Altpapierkorb (ausländische Agenten, güldene Rehe, geteiltes Fernsehstudio, sowjetische Hippies)

+++ In Russland macht man die Ansage wahr, internationale Medien im Land als "ausländische Agenten" einzustufen (Altpapier gestern). Auf einer ersten Liste tauchen neun US-Medien wie Voice of America, nicht aber die Deutsche Welle auf, meldet Reuters.

+++ Wie Berlin es 2014 schaffte, das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) nach Köln zu vergraulen, nur um jetzt die Gründung eines "Media Policy Labs"mit ähnlichen Aufgaben ( "Ziel des Media Policy Labs sei es unter anderem, einen 'unabhängigen Dialog über die Zukunft der digitalen Vielfalt' zu entwickeln und eine 'wissensbasierte gesellschaftliche Debatte' zu befördern") zu verkünden, ist Thema in der aktuellen Ausgabe der Medienkorrespondenz.

+++ Selbige hat es gestern auch übernommen, "Deutschlands wichtigsten Medienpreis" (die übertragende ARD über den Bambi) zu sehen und die wichtigsten Momente zu vertwittern, damit Sie es nicht machen müssen. Eine Übersicht über die Preisträger hat etwa Spiegel Online.

+++ Warum der Klimawandel im medialen Themensturm nicht die ihm zustehende Aufmerksamkeit erfährt, und ob ein Verzicht auf die "Börse vor acht" daran etwas ändern könnte, ist Christian Bartels Thema in seiner evangelisch.de-Kolumne.

+++ Die "Karriere rückwärts", die die frühere Deutsche-Welle-Chefredakteurin Dagmar Engel unter Intendant Peter Limbourg macht, beschäftigt derweil Ulrike Simon in ihrer Kolumne bei Spiegel Daily.

+++ Das "Mittagsmagazin" von ARD und ZDF wird ab dem kommenden Jahr nicht mehr aus Mainz und München, sondern aus einem Studio in Berlin gesendet, das gestern vorgestellt wurde. "Das ZDF stellt die Räume, der RBB die technische Betreuung der Sendung. Das Reißverschlusssystem der gemeinsamen Produktion soll sich für beide Partner auszahlen. (RBB-Intendantin Patricia) Schlesinger rechnet allein für den RBB mit einer jährlichen Einsparung im sechsstelligen Euro-Bereich", schreibt Kurt Sagatz im Tagesspiegel. Der Berliner Zeitung ist das glatt eine dpa-Meldung in ihrem Medien-Ressort (ja, das gibt es noch) wert.

+++ Das Tansparenz-Plädoyer von Friedrich Schoch aus der epd-medien-Ausgabe aus der vergangenen Woche (Altpapier), der sich selbige von ARD und ZDF noch stärker wünscht als Paul Kirchhof in seinem Gutachten aus dem September, steht nun auch online.

+++ In der aktuellen Ausgabe epd medien (noch nicht online) widmet sich Eva-Maria Lenz den ARD-Hörspieltagen und Stephan Ory ziseliert die aktuellen Debatten um das Urheberrecht auf europäischer Ebene auseinander (es geht um die Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt sowie die Cab/ Sat-Regulierung, wer sich auskennt).

+++ So ein Glück! RTL hat seine Drittsendezeiten zwar neu sortiert, aber "Spiegel TV" erhalten, wenn auch auf neuem Sendeplatz. DWLD berichtet.

+++ Deutschlands fleißigsten Hörspier-Autor, Karl-Heinz Bölling, der Klempner gelernt und viel Thomas Bernhard gelesen hat und sich gerne mit Gesprächspartnern im Café des Dortmunder Kaufhofs trifft, porträtiert heute auf der Medienseite der SZ Stefan Fischer.

+++ Die FAZ hat Rezensionstag und widmet sich der britischen Thriller-Serie "The Five" im ZDF sowie (derzeit nicht online) der neuen Marvel-Serienverfilmung "The Punisher" von Netflix und der heute laufenden Arte-Doku "Sovjet Hippies", die selbst schon online steht.

+++ Wer sich dafür interessiert, womit Kai Diekmann außer mit seiner Frisuren-Kooperation mit Philipp Jessen und Michael Mronz in Zukunft Geld verdienen möchte, kann das bei DWDL und Meedia nachlesen.

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.

Leg it offen like the Trust Project:
Warum entstand dieser Text? Weil dies eine werktägliche Kolumne ist und heute ein solcher Tag.
Wann entstand er? Viel zu früh.