Udo Lindenberg und die DDR

20. Mai 2011, 15:11 Uhr

Acht Jahre lang hatte sich Udo Lindenberg beharrlich um einen Auftritt in der DDR bemüht, ehe er 1983 im "Palast der Republik" singen durfte. Auf Tournee konnte er aber erst nach dem Mauerfall gehen.

In einer Kneipe hatte sich Udo Lindenberg 1973 in einer Art Zehn-Punkte-Programm darüber Gedanken gemacht, wie er seine Karriere entscheidend vorantreiben könnte. Unter Punkt 8 stand: "DDR kümmern".

Gerade war auf einer Single ein Lied erschienen, das einmal zu seinen berühmtesten zählen sollte und in der DDR zu "einer heimlichen Nationalhymne" (Lindenberg) avancierte: "Mädchen aus Ostberlin". Lindenberg erzählte darin von der hoffnungslosen Liebe zu einer jungen Frau, die er ein Jahr zuvor bei seinen Streifzügen durch die Hauptstadt der DDR kennengelernt hatte: Manuela aus Pankow, "die Göttin der anderen Gesellschaftsordnung". Doch die Mauer stand unüberwindbar zwischen ihnen. "Plötzlich ist es schon 10 nach 11 und sie sagt: 'Ey, du musst ja spätestens um 12 wieder drüben sein, du hast ja nur n Tagesschein' ..." Was Lindenberg, der Manuela sogar mit Hilfe von Schleusern in den Westen holen wollte, damals nicht wusste: Manuela war mit einem Offizier der NVA verheiratet und hatte ihre Treffen mit dem Westrocker brav der Staatssicherheit gebeichtet.

"Rock'n' Roll-Arena Jena"

Bereits in seinem traurigen Liebeslied hatte Lindenberg von "einem Rockfestival auf dem Alexanderplatz" geträumt, "mit den Stones und einer Band aus Moskau". 1975 artikulierte er in dem Song "Rock'n' Roll Arena Jena" erstmals den Wunsch, selbst in der DDR zu singen, auf einer "Paniktournee": "Ich würde so gern mal bei euch singen, meine Freunde in der DDR." Daran war aber gar nicht zu denken. In einer Einschätzung der SED hieß es 1976, Lindenberg sei "ein mittelmäßiger Schlagersänger" und – darauf kam es entscheidend an – "Vertreter anarchistischer Grundpositionen", dessen "äußere Erscheinung geprägt ist durch bewusst fläzige und lässige Gestik". Doch Lindenberg ließ nicht locker: "Wir verhandeln", zeigte er sich 1978 optimistisch. "Wir haben eine Menge Fans in der DDR, denn dort hat man den Deutschrock schon sehr viel früher entdeckt." Das für Kultur zuständige Politbüromitglied Kurt Hager aber lehnte ein Konzert Lindenbergs kategorisch ab: "Kommt nicht in Frage!"

"Sonderzug nach Pankow"

Fünf Jahre später, 1983, war der Panikrocker für die DDR-Oberen plötzlich interessant geworden – war er mittlerweile doch prominentes Gesicht der bundesdeutschen Friedensbewegung. "Lindenberg tritt ein für den Friedenskampf, daher nutzen wir seine Position im Friedenskampf", hieß es im holperigen SED-Deutsch. In die Verhandlungen um einen Auftritt in der DDR geriet in diesem Jahr jedenfalls mächtiger Schwung, auch wenn Lindenberg Anfang des Jahres mit seinem Song "Sonderzug nach Pankow" zunächst für erheblichen Ärger bei den Genossen gesorgt hatte, die er aber mit einem versöhnlichen Brief an Erich Honecker im August 1983 wieder milde zu stimmen vermochte. Der SED-Chef hatte nun nichts mehr gegen einen Auftritt einzuwenden. Mit Egon Krenz, der öffentlich verkündete, dass "uns alle willkommen sind, die sich gegen amerikanische Raketen einsetzen", regelte Lindenberg behende die Modalitäten: Für einen Auftritt im "Palast der Republik" im Rahmen der "FDJ-Manifestation für den Frieden der Welt - Weg mit dem NATO-Raketenbeschluss" sicherte ihm Krenz vertraglich eine ausgedehnte DDR-Tournee 1984 zu. Nach acht Jahren beharrlicher Bemühungen schien Lindenberg endlich am Ziel seiner Wünsche angekommen.

Konzert vor "FDJ-Mumien"

Das Konzert fand am 25. Oktober 1983 statt, und Lindenberg war dabei der Part des westdeutschen Friedensengels zugedacht. Vier Songs durfte er singen, auf "Mädchen aus Ostberlin" und "Sonderzug nach Pankow" hatte er freiwillig verzichtet. Im Publikum saßen vor allem FDJler in Blauhemden, die höflich applaudierten, während draußen Einlass begehrende Udo-Fans von der Polizei in Schach gehalten wurden. Doch auch die "FDJ-Mumien" (Lindenberg) hätten um ein Haar ihre Zurückhaltung aufgegeben, wie der Zentralrat der FDJ später einschätzte: "Hätte Lindenberg seinen Auftritt auch nur um ein Lied ausgedehnt, wären die Zuschauer trotz vorheriger Belehrung nicht mehr zu disziplinieren gewesen." Am Ende seines Auftritts verkündete Lindenberg noch eine Botschaft: "In der BRD und in der DDR – nirgendwo wollen wir auch nur eine Rakete sehen. Keine Pershings und keine SS 20." Der Verweis auf die sowjetischen Mittelstreckenraketen "SS 20" verärgerte die Genossen derart, dass sie sofort beschlossen, Lindenbergs DDR-Tournee abzusagen. Lindenberg sprach später von "Vertragsbruch".

"Ist Lindenberg noch zu retten?"

Trotz alldem bemühte sich Lindenberg auch weiterhin unverdrossen um Kontakt zu den Mächtigen in Ostberlin. Pfingsten 1987 schickte er Erich Honecker eine Lederjacke. "Hallöchen, Honey", hatte er auf einer beiliegenden Karte geschrieben und den Generalsekretär aufgefordert, sich das Ding anzuziehen und "mit den bunten Kiddys Urbi et Gorbi" anzustimmen. Als Honecker dann im September 1987 die Bundesrepublik besuchte, überreichte er ihm eine Gitarre mit der Aufschrift: "Gitarren statt Knarren".

Im Westen stießen Lindenbergs Aktionen auf wenig Verständnis: "Ist Lindenberg noch zu retten?" fragte sich selbst die liberale "Süddeutsche Zeitung" und vermutete, der "Altsänger" benötige "ganz dringend starke Schlagzeilen". Honecker, tatsächlich ziemlich cool, nutzte Lindenbergs PR-Coups, um sich selbst als lockeren Staatsmann zu präsentieren. Die Jacke sei "Geschmackssache", schrieb er in seinem von der FDJ-Zeitung "Junge Welt" veröffentlichten Antwortbrief, aber "sie passt". Und er schickte dem Rocker eine Schalmei und wünschte ihm "viel Spaß beim Üben".

Der Panikrock hatte gesiegt

Doch all die Versuche, mit der SED-Führung in Kontakt zu treten, nützten Lindenberg nichts mehr. Die Genossen in Ostberlin blieben hart. Das Risiko einer Lindenberg-Tournee in ihrem Land schien ihnen mit unwägbaren Risiken verbunden. Und so konnte Lindenberg seine DDR-Tournee erst nach dem Fall der Mauer im Januar 1990 starten. "Es war überwältigend", erinnert er sich an seinen Auftritt in der Leipziger Messehalle, "der Boden war tränennass." Für Lindenberg bestand nun kein Zweifel mehr: Der Panikrock hatte gesiegt.