Vier Schüler gegen Stalin
Bildrechte: Thomas Henkel

Vier Schüler gegen Stalin

11. September 2009, 10:16 Uhr

Vier Altenburger Abiturienten unternehmen 1949 eine tollkühne Aktion – eine Radiosendung gegen Stalin. Einer von ihnen muss dafür mit dem Leben bezahlen.

Joachim Näther besucht die 11. Klasse der Altenburger "Karl-Marx-Oberschule". Im Frühjahr 1949 gründet er gemeinsam mit seinen Mitschülern Ulf Uhlig, Gerhard Schmale und Jörn-Ulrich Brödel eine Widerstandsgruppe an seiner Schule. Anders als ihre Eltern im Dritten Reich wollen die vier Abiturienten keine Mitläufer sein. Sie wollen sich einmischen, politisch sein und nicht tatenlos dem Aufbau einer neuen Diktatur zusehen. Ihr Vorbild ist die "Weiße Rose" in München.

Eine Radiosendung gegen Stalin

Zunächst kleben sie Flugblätter in Altenburg, auf denen sie "Freiheit" fordern und "freie Wahlen". Im Sommer 1949 aber hat Joachim Näther einen tollkühnen Plan: Mit einem selbst gebastelten Radiosender will er zum 70. Geburtstag von Josef Stalin auf Sendung gehen.

"Stalin ist ein Massenmörder"

Gerhard Schmale
Gerhard Schmale Bildrechte: Thomas Henkel

Drei Monate basteln die Abiturienten an dem Radiosender, bis er schließlich einsatzbereit ist. Am Abend des 19. Dezember versammeln sie sich bei Jörn-Ulrich Brödel. Pünktlich zur Festansprache des DDR-Staatspräsidenten Pieck, die direkt aus Berlin übertragen wird, gehen sie auf Sendung. Joachim Näther sagt, dass Stalin – ganz im Gegensatz zu den öffentlichen Lobpreisungen - ein "Massenmörder und Diktator" sei. Millionen seien im Gulag umgekommen und auch in der DDR säßen zehntausende Unschuldige in den vom sowjetischen Geheimdienst NKWD reaktivierten Konzentrationslagern ein.

Prozess vor einem Militärtribunal

Jörn-Ulrich Brödel
Jörn-Ulrich Brödel Bildrechte: Thomas Henkel

Im März 1950 kommt die gerade gegründete Staatssicherheit auf die Spur der vier Abiturienten. Sie werden verhaftet und der sowjetischen Besatzungsmacht übergeben. In Weimar werden sie im September 1950 vor ein Militärtribunal gestellt. Die Anklage lautet: "Konterrevolutionäre Verbrechen gegen die Sowjetunion".

"Alles vergänglich, auch lebenslänglich"

"Mit 25 Jahren haben wir gerechnet", sagt Gerhard Schmale heute. "Alles vergänglich, auch lebenslänglich, witzelten wir." Was die vier Abiturienten nicht wissen konnten: Im Januar 1950 hatte Stalin die 1947 in der Sowjetunion abgeschaffte Todesstrafe klammheimlich wieder eingeführt.

"Tod durch Erschießen" - Familie im Ungewissen

Rosemarie Skipper
Rosemarie Skipper, Schwester von Joachim Näther Bildrechte: Thomas Henkel

Fünf Tage dauert der Prozess, dann werden die Urteile verkündet. Jörn-Ulrich Brödel und Ulf Uhlig werden zu je 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, Gerhard Schmale bekommt 15 Jahre. Joachim Näther aber wird als "Rädelsführer" zum "Tod durch Erschießen" verurteilt.

Einige Tage nach dem Prozess schafft man ihn in die Sowjetunion. Der "Oberste Sowjet" lehnt ein Gnadengesuch ab. Am 20. Dezember 1950 wird Joachim Näther in der Butirka, einem Moskauer Gefängnis, erschossen. Er ist 21 Jahre alt. Seine Angehörigen bleiben fast 50 Jahre lang über sein Schicksal im Ungewissen, so wie seine Schwester Rosemarie. Erst 1995 erfahren sie von seiner Hinrichtung.