Im Herbst 1989 stehen im Anschluss an ein Friedensgebet Teilnehmer mit Kerzen in der Hand vor der Nikolaikirche in Leipzig.
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Religion und Staat Die Kirchen und der Herbst 1989

09. Dezember 2010, 17:17 Uhr

Welche Beziehung hatten die Kirchen in der DDR zum Staat: Wo mischten sie sich ein, wo schwiegen sie? Und welche Rolle spielten sie schließlich im Herbst 1989?

Als im Herbst 1978 das Schulpflichtfach "Wehrerziehung" eingeführt wurde, meldeten die Kirchen Protest an. Wenn auch die kirchlichen Bedenken beim Staat kein Gehör fanden, das Thema "Erziehung zum Frieden" wurde in den Gemeinden aufgenommen und blieb aktuell. Zu Beginn der 80er-Jahre wählten deshalb auch andere Friedensgruppen die Kirche als Plattform für ihren Gedankenaustausch.

Die Kirche wurde eine Art Schutzschild. Als anlässlich des 40. Jahrestages der Zerstörung Dresdens Friedensgruppen einen Schweigemarsch durch die Stadt planten, lud die sächsische Kirchenleitung in die Kreuzkirche ein. 5.000 Menschen versammelten sich dort. Kirchenvertreter sprachen mit den vorwiegend jungen Leuten. So konnte ein Zusammenstoß zwischen Friedensbewegten und Staatsmacht auf der Straße verhindert werden.

Erste Veränderungen kündigen sich an

Die Synode des Evangelischen Kirchenbundes in Görlitz im September 1987 gilt als ein Wendepunkt im Verhältnis Kirche und Staat. Ein Antrag der Berliner Bartholomäus-Gemeinde löste eine kontroverse Debatte über die innere Situation der DDR aus. Größere Freizügigkeit im Reiseverkehr unabhängig von Alter, Beruf und Verwandtschaft wurde gefordert. Doch der Antrag wurde abgelehnt. Rücksichtnahme gegenüber dem Staat mag bei den Synodalen eine Rolle gespielt haben. Ein Jahr später wurde diese Forderung doch aufgenommen.

An einem Strang: Die Ökumenischen Versammlungen

Angeregt von der weltweiten Ökumene trafen sich 100 Delegierte aus 19 Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu Ökumenischen Versammlungen:

im Februar 1988 in Dresden, im Oktober 1988 in Magdeburg und schließlich noch einmal im April 1989 in Dresden. Am Ende standen zwölf Ergebnis-Texte, einer zum Beispiel überschrieben: "Mehr Gerechtigkeit in der DDR". Formulierungen, die in der damaligen Situation Sprengkraft besaßen.

Der sächsische Landesbischof Johannes Hempel wurde einbestellt und aufgefordert einzelne Sätze aus dem Dokument zu streichen. Das machte er am nächsten Morgen vor den Delegierten öffentlich. Der Text blieb unverändert. Diese Haltung und die Tatsache, dass nicht nur eine Konfession, sondern alle Christen mit einer Stimme sprachen, waren für den SED-Staat neu und bedrohlich.

Offene Kirchentüren

Die Friedensgebete wurden zu den Keimzellen des Protestes. Ob in der Erfurter Andreaskirche, der Leipziger Nikolaikirche, der Marktkirche in Halle, der Dresdner Kreuzkirche oder im Magdeburger Dom: Immer mehr Kirchen öffneten ihre Türen für die, die Veränderungen forderten und nicht mehr schweigen wollten. Die Atmosphäre erlebten auch viele nicht-christliche Teilnehmer als befreiend, schöpften aus den ihnen fremden Liedern und Gebeten Kraft. Der Aufruf "keine Gewalt" wurde in den Kirchen eingeübt und musste sich auf den Straßen bewähren. Viele Pfarrerinnen und Pfarrer zogen an der Spitze der Demonstrationszüge oder versuchten zu vermitteln.

Sinneswandel innerhalb der Kirche

Die Kirchen waren nicht auf eine Revolution aus, aber man traute dem Staat nicht mehr zu, seine Aufgaben wahrzunehmen. Kirchliche Vertreter sagten die Teilnahme zu den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Republik ab.