Udo Lindenberg und Erich Honecker 1987
Udo Lindenberg und Erich Honecker 1987 Bildrechte: picture-alliance / dpa | Franz-Peter Tschauner

25. Oktober 1983 - Lindenberg-Konzert in Ost-Berlin Schalmei, Lederjacke und ein Sonderzug nach Pankow

17. Mai 2021, 14:49 Uhr

Der Rockstar Udo Lindenberg und der Generalsekretär Erich Honecker pflegten inmitten des Kalten Krieges eine zwiespältige Beziehung. Bei einem Auftritt im Palast der Republik – live im DDR-Fernsehen übertragen – schlug Lindenberg deutliche Töne an. Das kostete ihn die zugesicherte Tournee durch die DDR.

Im Februar 1983 kam die neue Single von Udo Lindenberg "Sonderzug nach Pankow" in Westdeutschland auf den Musikmarkt. Sie schaffte es auf Platz 5 der Charts. Und hätte es die Charts der Westsongs im Osten gegeben, hätte dieser Song auch hier eine ganze Weile auf Platz 1 gestanden. Jeder kannte den Gassenhauer (nach der Melodie eines alten Evergreens von Glenn Miller): Er wurde auf Schulhöfen gepfiffen, in Kassettenaufnahmen kopiert, der Text debattiert. Witzig ist dieses Lied, voller erfrischender Respektlosigkeit und charmanter Ironie gegenüber dem scheinbar unantastbaren "Oberindianer" der DDR, Erich Honecker, von Udo "Honni" genannt.

Die Angst des Staatsmanns vor dem Rockstar

Das Lied war die Reaktion auf einen versagten Auftritt in der DDR. Lindenberg wollte, wissend um seine Popularität bei den Rockfans in der DDR, auch einmal im Osten touren und seine Fans dort beglücken. Aber der respektlose Rocker war den Kulturfunktionären in der DDR dann doch zu locker. Vor allem war klar, er würde sich nicht vorschreiben lassen, was er sagt und singt und was nicht. Denn Provokation ist Udos Geschäft, ätzend-bissige Texte seine Stärke: Er verspottete Kanzler Kohl ("Oh Helmut, oh wie wohl, mein Sexidol"), er wetterte gegen das Machtstreben der Amerikaner ("Bananenrepublik") und gegen die bornierte Angst vor den Sowjets ("In 15 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm") – könnte sich dieser Hohn nicht auch gegen Honecker richten? Denn immerhin sang Lindenberg auch über die Unmenschlichkeit der deutschen Teilung ("Mädchen aus Ostberlin").

Mit dem "Sonderzug nach Pankow" wendete sich Lindenberg über den Äther an die Fans und Funktionäre. Das Lied wurde sein bis dahin größter kommerzieller Erfolg und es verschaffte ihm tatsächlich Zugang auf die Bühnen des Landes hinter der Mauer.

Die "Nachtigall aus Billerbeck" bei "Rock für den Frieden"

In seinem Begleitbrief zum Song hatte Udo am 16. Februar 1983 an Honecker geschrieben: "Lass doch nun auch mal einen echten deutschen Klartext-Rocker in der DDR rocken. Zeig Dich doch mal von Deiner locker-menschlichen und flexiblen Seite, zeig uns deinen Humor und Deine Souveränität und lass die Nachtigall von Billerbeck ihre Zauberstimme erheben. Sieh das alles nicht so eng und verkniffen, Genosse Honey, und gib dein Okey für meine DDR-Tournee. (Dein Fanclub kann dadurch nur größer werden.)"

So viel Charme überzeugte die Genossen – und wohl vor allem die Aussicht auf eine Steigerung der Popularität bei der vom System eher abgekehrten Jugend. Am 25. Oktober 1983 rockte Udo Lindenberg mit seinem Panikorchester im Ost-Berliner Palast der Republik bei "Rock für den Frieden". Der Auftritt im Palast sollte aber nur der Auftakt für eine große DDR-Tournee werden. Zu den geplanten Auftrittsorten gehörten Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Halle und Rostock. Ausverkaufte Häuser und Stadien - in Leipzig das Zentralstadion mit 100.000 Plätzen - waren garantiert. Doch es sollte anders kommen...

Die Genehmigung wieder "geknickt"

Bei seinem Auftritt im Palast der Republik – live im DDR-Fernsehen übertragen – schlug Lindenberg deutliche Töne an, ungewohnt und unangenehm für die DDR-Regierung: "Wir spielen hier heute Abend für den Frieden und für alle Menschen in der DDR. Ich finde das total gut, dass wir jetzt hier sind, denn die Menschen im Westen wie im Osten wollen dasselbe. Sie wollen Frieden und keinen heißen Krieg. Aber sie wollen auch keinen kalten Krieg und keine deutsch-deutsche Eiszeit." Für diese Offenheit erntete Udo Lindenberg viel Applaus vom Publikum. Doch die Funktionäre waren empört. Lindenberg erinnert sich: "Das lief dann auch irgendwie in der Glotze, und ich hatte einen großen Zettel in der Tasche, also den Vertrag – alles klar für eine große Tour durch die Stadien, zugänglich für jeden. Und hab gedacht, das ist ja wunderbar. Aber dann hab ich ein paar Sprüche abgelassen im Palast der Republik und dann wurde diese Genehmigung gleich wieder geknickt."

Enttäuschte Hoffnungen

Udos Texte passten eben doch nicht in die heile FDJ-Welt im Osten. Die Funktionäre wollten sich nicht vorführen lassen. In den Bezirken grummelten sie, dass die Berliner Genossen ja den Lindenberg in Berlin-Ost auftreten lassen könnten, aber sie wollten sich nicht in ihren Machtbereichen nach dem Konzert mit aufmüpfigen Jugendlichen befassen müssen. Aber Udo Lindenberg gab nicht auf. Er bemühte sich jahrelang weiter um eine Auftrittsgenehmigung. Immer wieder nahm er Kontakt zu Erich Honecker auf. Schenkte ihm sogar 1987 eine Lederjacke. Doch Honecker blieb hart: Im Gegenzug überreichte er Lindenberg statt der ersehnten Auftrittsgenehmigung nur eine Schalmei. Auf seine erste DDR-Tournee muss Lindenberg noch lange warten - bis 1990, nach dem Fall der Mauer.

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Dieses Thema im Programm: MDR Zeitreise: Erich Honecker – eine Karriere | 02. Mai 2021 | 22:00 Uhr