Karnevalshochburg in der DDR "Hippies" beim Wasunger Karneval

22. Februar 2010, 10:39 Uhr

Der Karneval in Wasungen war ein fester Termin bei den Bluesern der DDR. Anfang der 1980er-Jahre pilgerten Hunderte junge Leute aus allen Teilen der Republik in die Thüringer Karnevalshochburg.

Die kleine thüringische Stadt Wasungen galt als die Karnevalshochburg in der DDR. Während der "fünf tollen Tage" war die Stadt, gelegen zwischen Eisenach und Meiningen, eine riesige Kneipe, in der es keine Sperrstunde gab. "Es hatte sich herumgesprochen, dass man in Wasungen bis zum Umfallen durchfeiern kann", erinnert sich der damalige Bürgermeister Manfred Koch. "Und da sind die halt aus der ganzen Republik angereist, um hier mal richtig die Sau rauszulassen: Künstler, Autonome, Studenten …" Die jungen Leute wurden von den Bürgern Wasungens als "Hippies" oder – wegen ihrer grünen Parkas - als "Grüne" bezeichnet. "Die randalierten herum und waren bei uns nicht gern gesehen", sagt Gustav Reichardt, damals Chef des örtlichen Karnevalclubs.

Straßensperren und Kontrollen in den Zügen

Zu den ungebetenen Gästen des Wasunger Karnevals gehörte seit Mitte der achtziger Jahre auch Detlev Rute. Er war Anfang Zwanzig und kam aus Magdeburg. Rute erinnert sich, dass es gar nicht so leicht war, überhaupt nach Wasungen zu gelangen. In Eisenach wurden er und seine Freunde regelmäßig von Volkspolizisten aus dem Zug geholt mit der unmissverständlichen Aufforderung, umgehend wieder nach Hause zu fahren. "Und da haben wir’s eben mit dem Taxi versucht. Die hatten zwar auch Verbot, nach Wasungen zu fahren, aber für ein paar Mark zusätzlich haben sie’s doch gemacht. Etwa fünf Kilometer vor Wasungen sind wir dann ausgestiegen und stundenlang durch die Wälder gelaufen, um in die Stadt hinein zu kommen. Und irgendwann waren wir auch drin."

"Abenteuerlich gekleidete junge Leute"

Wer es bis nach Wasungen geschafft hatte, für den konnte nun das fünftägige Fest beginnen. 30.000 Karnevalisten waren jedes Jahr auf den Beinen, "da sind wir gar nicht weiter aufgefallen", sagt Rute. Die "Hippies" feierten in den zahllosen Kneipen und Festzelten, sangen verbotene Biermann-Lieder und schliefen in Abrisshäusern und Scheunen. Bekleidet waren viele von ihnen wegen der klirrenden Februarkälte mit Wattejacken und Filzstiefeln. Sie sahen aus wie Gleisbauarbeiter und fielen 1987 auch einem Korrespondenten des "Deutschlandfunks" auf, der in seiner Reportage von "vielen abenteuerlich gekleideten jungen Leuten" sprach, die ihre eigene Party feiern.

Wasserwerfer hinterm Rathaus

In jenen Jahren glich Wasungen während des Karnevals einem Heerlager. Die Stadt war weiträumig abgeriegelt - auf allen Zufahrtsstraßen waren Sperren und Kontrollposten errichtet. Hinterm Rathaus standen Wasserwerfer und in den Gassen patroullierten Polizisten mit Hunden. Und auch die Genossen der Staatssicherheit waren im Dauereinsatz. Viele von ihnen trugen zur Tarnung Mönchskutten, die sie sich vom Meininger Theater ausgeborgt hatten. Im Rathaus selbst saßen die Mitglieder der Kreisleitung der SED und hielten ständigen Kontakt mit dem "Genossen Albrecht", Chef der SED-Bezirksleitung Suhl. Stündlich informierten sie ihn über die Situation in der Stadt. So meldeten sie 1987 beispielsweise: "Gegenwärtig halten sich in Wasungen etwa 150 überörtlich angereiste Jugendliche bzw. Jungerwachsene auf, die ein kulturloses äußeres Bild zeigen. Insgesamt wurden 198 Personen bereits an den Kontrollposten an der Stadtgrenze aufgegriffen und zurückgewiesen."

"Der Umzug muss dieses Jahr leider ausfallen"

In der Kreisleitung der SED überlegte man in jener Zeit verzweifelt, wie die "Zureise" zum Wasunger Karneval "kontingentiert" werden könnte. So sollte etwa darauf verzichtet werden, "überörtlich" auf den Karneval hinzuweisen. Einmal erwog man sogar, in der "Aktuellen Kamera" mitteilen zu lassen, "dass der Karnevalsumzug in diesem Jahr leider ausfallen muss". Umgesetzt wurden diese Überlegungen allerdings nie und die "Hippies" strömten weiterhin auf Schleichwegen nach Wasungen.

Die "Bullen" in die Flucht geschlagen

Und so konnte es 1988 auch zu einem legendär gewordenen Ereignis in Wasungen kommen. Etwa 70 "Hippies" hatten ein leerstehendes Haus direkt an der Umzugsstrecke, nur wenige Meter vom Marktplatz entfernt, besetzt. Kurz vor dem großen Karnevalsumzug hockten sich alle, Bier- und Schnapsflaschen in den Händen, aufs Dach des Hauses, um von dort den Höhepunkt des Karnevals erleben zu können. "Und dann kamen die Bullen und wollten die Leute vom Dach und aus dem Haus holen", erinnert sich Ex-Hippie Rute. Doch die "Hippies" setzten sich tapfer zur Wehr. Sie zerstörten die Einsatzfahrzeuge und es kam zu einer regelrechten Straßenschlacht mit der Polizei. Am Ende trieben sie die hoffnungslos überforderten Sicherheitskräfte quer durch die Stadt. "Da haben die ordentlich auf die Fresse gekriegt", sagt Rute. "Und das war natürlich schön, denn sonst war’s ja immer andersrum gewesen."

Verspäteter Karnevalsumzug

Der Karnevalsumzug konnte sich in jenem Jahr erst mit großer Verspätung in Bewegung setzen. Die meisten "Hippies" befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits außerhalb der Stadt. Nachdem die Polizei Verstärkung angefordert hatte, waren sie nach und nach festgenommen und zum Bahnhof des Nachbarortes geschafft worden, von wo aus sie umgehend die Heimreise antreten mussten. Weiter aber geschah ihnen nichts.

"Nichts mehr los"

Die letzten "Hippies" wurden im Februar 1989 in Wasungen gesichtet. Danach blieben sie aus. Der Karneval hatte seine Ventilfunktion verloren und die Karnevalisten waren von nun an wieder unter sich. Detlef Rute war 1994 mit alten Freunden noch einmal beim Karnevalsumzug in Wasungen. Nach einer Stunde reisten sie enttäuscht wieder ab. "Nichts mehr los", so Rute.