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Fasching in der DDR Kontrollierter Frohsinn unter Stasi-Aufsicht

21. Februar 2023, 09:00 Uhr

Karnevalsvereine sind kreativ und haben zumeist sogar Wege gefunden, trotz der Corona-Beschränkungen der letzten drei Jahre irgendwie wenigstens online Fasching zu feiern. Echte Narren lassen sich eben nicht aufhalten! Einfallsreichtum war schon immer gefragt in der närrischen Zeit und das betrifft nicht nur die Kostüme. Blickt man in den DDR-Sessionen zurück, gab es da einige Hürden, die dem ausgelassen Treiben im Weg standen.

Auch in der DDR gehörte Fasching zum geselligen Leben dazu und war für viele Bürger ein lang ersehnter Höhepunkt in der kalten Jahreszeit. Die Karten für Faschingsveranstaltungen waren rar und heiß begehrt in der Deutschen Demokratischen Republik. Zu den närrischen Tagen gehörten Tanz, Speis und Trank und hitzige Büttenreden, die die kostümierte Masse johlen ließen. Allerdings hatten SED-Führung und Stasi ein wachsames Auge auf die Närrinnen und Narren. Einfallsreichtum war gefragt wenn es darum ging, mit spitzer Zunge die Politik zu kritisieren, ohne "anzuecken".

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Die Stasi hat keinen Sinn für Humor

Für die Staatssicherheit waren die Reden, die auf humorvolle Weise die Staatsführung kritisierten, höchst verdächtig und so mischte man sich bei den Faschingsfeiern unter die Kostümtragenden. So auch beim legendären Eis- und Skifasching im sächsischen Erholungsort Geißing, zu dem bis zu 16.000 Zuschauer kamen. Eine Faschingsfeier, die das Motto "Märchenhaftes" hatte, scheint harmlos. Doch das sah die Stasi anders. Im Protokoll wird vermerkt:

Massive Diffamierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Durch einige Teilnehmer wurden in diesem Umzug Gestaltungselemente mitgeführt, die in ihrer Aussage eindeutig gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtet waren.

Auszug aus einem Stasi-Protokoll

Was die Stasi damals zwecks "Bekämpfung feindlich-negativer Kräfte" notierte, ist heute ein Dokument für den Volkshumor, für die Spottlust und die karnevalstypische Verkehrung der Verhältnisse. So protokollierte die Stasi auch Plakataufschriften, die die Narren herumtrugen:

Hervorzuheben sind folgende mitgeführte Plakate und Aufschriften: 'Im Westen viele Verwandte. Im Laden eine Tante. Raritäten unter der Hand. Wir leben im Schlaraffenland', 'Vitaminbasar Rot-, Sauer-, Rosen- und Weißkohl. Jawohl, wir brauchen Kohl!', 'Losung des Tages: Schlechte Luft, trübes Wasser, keinen Baum - ab über den Märchenzaun.'

Auszug aus Stasi-Protokoll

Fasching in der DDR: Tolle Tage mit oder ohne Klub

Fasching und Karneval im Osten liefen nicht nach festen Ritualen oder Zeremonien ab, kein Vergleich zu den Traditionen im Rheinland oder in Süddeutschland. Typisch war ein Mix aus spontaner Verkleidungslust und organisiertem Karnevalstreiben – im Kindergarten und in der Schule und auch in den Betrieben und den Klubhäusern - sowohl in der Stadt, als auch auf dem Land.

Es gab 1.344 registrierte Karnevalsklubs in der Republik. Viele hatten sich in den Anfangsjahren der DDR gegründet, waren aus Männerchören und Sportvereinen hervorgegangen. Später waren es vor allem Betriebe, in denen sich Karnevalsfreunde neu zusammenfanden. Diese Form der Kulturarbeit brachte neben dem Spaß für die Beteiligten auch eine gewisse Form des Zwangs mit sich. Denn oft bezahlte oder bezuschusste der Betrieb die Festivitäten, darüber musste Rechenschaft abgelegt werden und so war auch eine Kontrolle gegeben.

Vorgaben für Spaß: DDR regelt Faschingstreiben

Karneval wurde von der Staats- und Parteiführung zunächst als "konservativ-reaktionär" abgelehnt,1950 aber vom DDR-Kulturministerium offiziell zu einem Teil der "Brauchtumspflege und Volkskultur" erklärt. Die einzelnen Karnevalsklubs unterstanden dem Zentralen Arbeitskreis Karneval (ZAK), mit dem alle Veranstaltungen, das Motto und die Reden abgesprochen werden mussten. Die Zentrale sorgte für die entsprechende ideologische Abstimmung auf die von der Partei erlassenen Vorgaben.

"Der Einfluss der SED war zwar riesig, aber man hatte seine Strategien", erinnerte sich der Präsident des "Wasunger Carneval Clubs" Martin Krieg nach der Wende in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung. In der Praxis, so Krieg, hätten sich die Karnevalvereine den herrschenden Umständen angepasst, sich bei Kritik der SED auf bedauerliche Missverständnisse berufen, Unwissenheit geheuchelt und am Ende Besserung gelobt.

Zwischen den Zeilen lesen

Trotz aller Bemühungen der leitenden Organe war es gerade der politische Spott, den die Karnevalisten mit ihrem Einfallsreichtum zur Blüte trieben, wie ein Auszug aus einem Stasi-Protokoll belegt:

Hervorzuheben sind folgende mitgeführte Gestaltungselemente: Symbolische Darstellung einer Mauer mit der Aufschrift 'Berlin, ich bleib Dir treu' auf einem Fahrzeug sowie Gestaltung des Anhängers dieses Fahrzeuges als Gefängnis, versehen mit den Aufschriften 'Ich will hier raus!' und 'Ich komme bald raus'.

Auszug aus einem Stasi-Protokoll

Die legendären Büttenreden waren die Vorlage für Witze, die republikweit die Runde machten. Einer der beliebtesten lautet:

Was ist der Unterschied zwischen einer Waschmaschine und dem Politbüro? Die Waschmaschine kann man entkalken.

DDR-Witz aus einer Büttenrede

Karnevalsredner tricksen Stasi aus

Für den Wasunger Karnevalspräsidenten Martin Krieg hatte der Fasching in der DDR gerade wegen der latenten Gefahr seinen besonderen Reiz. Krieg erinnert sich an die geschickten Strategien des Witzes. "Für einen guten Redner war der Kick viel größer als heute, damals war es eine Gratwanderung: Wie weit kann ich mich heraushängen?" Rolf Fliedner, der ehemalige Präsident des Landesverband Thüringer Karnevalvereine aus Erfurt, stimmt ihm zu:

Der Reiz der politischen Fastnacht war ungleich größer als heute. Die Stasi saß im Publikum und man musste sie immer wieder austricksen.

Rolf Fliedner
Schwarz-Weiß-Aufnahme einer kostümierten Frau, die als Clown verkleidet ist
Auch unter den Studenten in Leipzig Mitte feierten man fünfte Jahreszeit 1980 ausgelassen. Bildrechte: MDR/Mahmoud Dabdoub

Natürlich wurden Spott und Häme über die Oberen ausgegossen, aber man durfte sie, so eines der ungeschriebenen Gesetze, eben nicht beim Namen nennen. Wie das ging? Zum Beispiel so: "In den Delikatläden, da schmeckt es lecker, doch kaufen kann dort nur ..." Die Leute lachten, denn sie hatten das beredte Schweigen verstanden, auch ohne das Reimwort "Honecker".

Narren müssen in der DDR einfallsreich sein

Etwa 70.000 aktive Mitglieder zählten die Karnevalsklubs Ende der 1980er-Jahre. Sie bestritten jedes Jahr 120.000 Veranstaltungen mit etwa 6,5 Millionen Besuchern. Offiziell gab es nur zwei Hersteller von Orden, Abzeichen und Plaketten, drei Anbieter von Masken und Scherzartikeln und einen Hersteller von Elferratsjacken und Kostümen. Diese Engpässe spornten die Karnevalisten erst recht an, es wurde improvisiert was das Zeug hält. Kostüme und Narrenkappen nähte man selbst und die Karnevalsorden wurden aus Plaste oder Holz im Hobbykeller hergestellt.

Damals war's ja so: Es gab keinen Stoff, es gab keine Girlanden, es gab keine Schminke… Wir mussten aus nichts etwas machen.

Rudi Leifer Karnevalist aus Wasungen

Doch glücklicherweise war in vielen der Volkseigenen Betriebe der Fasching, zumal in den Hochburgen des Karnevals, gewissermaßen eine Betriebsangelegenheit. Dort wurden Arbeiter und Material von den Direktoren großzügig zum Bau von Umzugswagen abgestellt.

Fasching: Brauchtum und Kulturgut

Der erste Umzug, der freudig durch die Straßen geleitet wurde, fand 1823 in Köln statt. Karneval ist demnach schon deutlich vor der DDR ein beliebter Brauch in Deutschland gewesen. Seine Wurzeln reichen sogar bis ins christlich geprägte Mittelalter zurück. Demnach ist die Mehrheit der Deutschen der Ansicht, dass Fasching und Fastnacht ein kulturelles Erbe ist, welches mehr Anerkennung verdient hat, so der in Berlin ansässige Deutsche Kulturrat.

Der Artikel erschien erstmals im März 2011.

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