Bulgarien und Moldau nach den Präsidentschaftswahlen Das russophile Gespenst geht um in Südosteuropa

18. November 2016, 13:15 Uhr

In Bulgarien und Moldau wurden am 13. November 2016 zwei Russland zugewandte Kandidaten zu Präsidenten ihrer Länder gewählt: Rumen Radev und Igor Dodon. Der Einfluss Wladimir Putins in Südosteuropa wird damit größer.

"Bulgarien ist Mitglied in der NATO und der EU, diese strategische Ausrichtung ist alternativlos, aber wir sollten Russland nicht als Feind betrachten", hatte Rumen Radev, Ex-General der bulgarischen Luftwaffe und neu gewählter Staatspräsident, im Wahlkampf zu bedenken gegeben. Radev wird als künftiges Staatsoberhaupt auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte des Landes zwischen Balkangebirge und Schwarzmeerküste sein.

Radev hatte seinen Rücktritt vom Militärdienst eingereicht, nachdem er die Regierung unter Ministerpräsident Bojko Borissov unter anderem dafür kritisiert hatte, dass sie nach einem Parlamentsbeschluss in diesem Jahr NATO-Einheiten mit der Bewachung des bulgarischen Luftraums beauftragt hatte. Diese teilweise Aufgabe der Lufthoheit sei für Bulgarien "demütigender als der Vertrag von Neuilly". Dieser Vertrag ist das bulgarische Äquivalent zum Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg, bei dem Bulgarien als Verbündeter des Deutschen Reichs Teile seines Territoriums verlor. Dass die Luftraumüberwachung durch Kampfjets von NATO-Partnerländern in der transatlantischen Allianz vertraglich geregelt ist und auch in den baltischen Staaten, Albanien, Island, Luxemburg und Slowenien durchgeführt wird, blieb im bulgarischen Wahlkampf außen vor. Doch dem Luftwaffenkommandeur a.D. lediglich erfolgreiche Demagogie zu attestieren, würde zu kurz greifen. Letztendlich ist die Entscheidung, diese hoheitliche Kernaufgabe der heimischen Luftwaffe an dritte Staaten auszulagern, die Folge mangelnder Investitionen in die Armee, der nicht erst seit dem NATO-Beitritt 2004 ein maroder Zustand attestiert wurde.

Am 13. November gewann Radev die Stichwahl zum Präsidentenamt, als von den bulgarischen Sozialisten unterstützter politischer Newcomer, mit einem haushohen Vorsprung von 60 Prozent gegenüber seiner Kontrahentin Zezka Zacheva, die lediglich 37 Prozent der abgegebenen Stimmen verbuchen konnte. Im Gegensatz zum politischen Novizen Radev war Zacheva als Parlamentspräsidentin und Mitglied der Regierungspartei GERB (Grajdanite za Evropejskoto rasvitie na Bulgaria, dt.: Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens) bereits vor dem Präsidentschaftswahlkampf einer breiten bulgarischen Öffentlichkeit bekannt. In einem Land wie Bulgarien, in dem das öffentliche Vertrauen in die Politik äußerst gering ist, kann es bei Wahlen durchaus helfen, ein politisch (noch) unbeschriebenes Blatt zu sein.

Protestwahl hievte pro-russische Kandidaten ins Präsidentenamt

Auch in der Republik Moldau setzte sich bei der Wahl zum Staatsoberhaupt mit dem Parteivorsitzenden der Sozialisten, Igor Dodon, der pro-russische Kandidat gegenüber der pro-westlichen Maria Sandu durch. Mit russophiler Rhetorik konnten Radev und Dodon das Präsidentenamt ihre Länder gewinnen, doch in beiden Staaten waren die Wahlen vor allem als Protestwahlen gegen die amtierenden Regierungen zu verstehen. Gemeinsam ist beiden Ländern, dass die Importverbote Russlands von EU-Lebensmitteln, die als Antwort auf die EU-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Ukraine Konflikt verhängt wurden, als schädlich für die eigenen Wirtschaftsinteressen angesehen werden. Russland ist für beide Länder traditionell ein wichtiges Exportland für landwirtschaftliche Produkte. Moldau galt als Weinkeller der Sowjetunion. Obwohl das 3,5 Millonen Einwohner zählende südosteuropäische Land nicht Teil der EU ist und keine unmittelbare Beitrittsperspektive besteht, wurden das russische Importverbot von EU-Lebensmitteln, aufgrund eines 2014 in Kraft getretenen Assoziierungsabkommen zwischen Moldawien und der EU, auch auf die ehemalige sowjetische Teilrepublik ausgeweitet.

Eher repräsentative Ämter

Regierungschefs sind sowohl in Bulgarien, als auch in Moldau die Premierminister, was die Handlungsspielräume in Bezug auf eine angestrebte Neuausrichtung des Verhältnisses zu Russland für die neu gewählten Präsidenten einschränkt. Im parlamentarischen Regierungssystem Bulgariens hat der Präsident in Bezug auf Gesetzesvorhaben lediglich ein aufschiebendes Veto, das von einer einfachen Parlamentsmehrheit überstimmt werden kann. Radev selbst stellte bei der Pressekonferenz nach der Wahl klar: "Die Sanktionen gegen Russland fallen in den Zuständigkeitsbereich der Regierung."

Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei in Moldau, Igor Dodon, spricht am 03.03.2016 in Chisinau.
Igor Dodon, künftiger Präsident der Republik Moldau Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland. | Dumitru Doru

Das hybride Regierungssystem der Republik Moldau ermöglicht dem Präsidenten die Gesetzesinitiative und sieht vor, dass dieser bei Fragen von nationalem Interesse ein Referendum anberaumen kann. Im Wahlkampf kündigte Igor Dodon an, als zukünftiges Staatsoberhaupt eine Volksabstimmung anzuberaumen, um über die Kündigung des EU-Assoziierungsabkommens abstimmen zu lassen. Darauf setzt auch der Kreml, doch vor allem der seit Anfang der 1990er-Jahre schwelende Konflikt um das abtrünnige Transnistrien dürfte ein nicht unerhebliches Hindernis für eine Annäherung zwischen Chișinău und Moskau sein. Nur allzu gern würde die politische Führung des mehrheitlich russischsprachigen Transnistriens der Krim auf dem Weg zurück in das russische Vaterland folgen. Der Kreml unterstützt die transnistrischen Separatisten zwar militärisch, lehnt aber eine Eingliederung in die Russische Föderation ab, die wohl den endgültigen Einflussverlust in Moldau bedeuten würde. Dennoch sollte die Krimkrise den politischen Eliten in Chișinău bewusst gemacht haben, dass Wladimir Putin auch anders kann. Zwar hat Igor Dodon angekündet, als Präsident zuerst Moskau besuchen zu wollen, aber es wäre alles andere als überraschend, wenn diesem eine beschwichtigende Staatsvisite in Brüssel folgen würde.

Schaukelstuhl-Diplomatie statt offener Konfrontation mit Russland

Auch in Bulgarien übernimmt mit Radev ein Neupolitiker den Präsidentensessel, der die "Schaukelstuhl-Diplomatie" der offenen Konfrontation vorzuziehen scheint. Als die Radev unterstützende Sozialistische Partei 2013 zuletzt die Regierungsgeschäfte übernahm, blieb die allseits erwartete engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland aus. Das bereits 2008 beschlossene South Stream Pipeline-Projekt, welches Gas durch das Schwarze Meer über Bulgarien bis nach Wien führen sollte, wurde wegen Nichteinhaltung von EU-Wettbewerbsvorschriften seitens Gazprom von der damaligen bulgarischen Regierung unter Plamen Orescharski aufgekündigt. Die vor dem EU-Beitritt Bulgariens 2007 vom russischen Botschafter in Bulgarien geäußerte Mutmaßung, Bulgarien werde das "trojanische Pferd Russlands in der EU" sein, schien sich nicht zu bewahrheiten.

Doch bevor in Sofia ein neues Staatsoberhaupt das Zepter übernimmt, wird der noch amtierende Präsident Rosen Plevneliev eine Übergangsregierung nominieren müssen, da Premierminister Borissov aufgrund der Wahlniederlage von Zacheva zurücktrat. Es ist der dritte, mit vorzeitigen Neuwahlen verbundene Regierungsrücktritt in der fünfjährigen Amtszeit Plevnelievs, der im Gegensatz zu Radev deutliche Kritik an Russland übte. Die Meinungsmache im bulgarischen (und auch im moldauischen) Wahlkampf mit der pro-russischen Karte dürfte den Kreml-Strategen auf jeden Fall in die Hände spielen.

Russophobes Nord-Süd-Gefälle in Osteuopa ?

Theoretisch könnte eine neue bulgarische Regierung weitere EU-Sanktionen gegen Russland Mitte nächsten Jahres per Veto, im Rahmen der gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, stoppen. Ein bulgarischer Alleingang in Brüssel ist allerdings unwahrscheinlich. Unter den osteuropäischen EU-Mitgliedsländern zeichnet sich in Bezug auf Russland jedoch ein Nord-Süd-Gefälle ab. Während Estland, Lettland, Litauen und Polen sich von Russland bedroht fühlen und auf deutlichere Sanktionen drängen, könnten Ungarn, Tschechien und auch Bulgarien eine Gruppe bilden, die beim Sanktionstempo auf die Bremse tritt.


Tim Graewert 1982 in Darmstadt geboren, studierte Politikwissenschaft und Internationales Recht in Osnabrück, Sofia und Brüssel; er berichtet als freier Journalist aus Sofia und ist Mitbegründer des Brüsseler Osteuropa-Blogs "Vox-Orientalis".