Pomakendorf Ribnov
Ribnowo - ein vorwiegend von Pomaken bewohntes Dorf. Die Pomaken unterscheiden sich von der Bevölkerungsmehrheit durch den islamischen Glauben Bildrechte: Frank Stier

Die Türkei mischt sich in den bulgarischen Wahlkampf ein

24. März 2017, 13:05 Uhr

Bulgarische Politiker dürfen in der Türkei kaum Wahlkampfauftritte absolvieren. Andererseits mischt sich die Türkei, so klagt der bulgarische Präsident, stark in "unsere Wahlen" ein und fordert Unterstützung von der EU.

Deutschland und die Niederlande wurden unverhofft heimgesucht von diplomatischen Irritationen um agitierende türkische Politiker, in Bulgarien dagegen spielt der türkische Faktor stets eine Rolle. In dem Balkanland mit seiner zweihundertsiebzig Kilometer langen Staatsgrenze zur Türkei sind rund zehn Prozent der Bevölkerung ethnische Türken, zudem leben in der Türkei einige hunderttausend bulgarischstämmige Türken. In der "Großen Exkursion" flohen sie Ende der 1980er Jahre Bulgariens sogenannten Wiedergeburtsprozess, entzogen sich damit ihrer Zwangsassimilierung durch Ersetzung ihrer angestammten Namen durch bulgarisierte.

Viele von ihnen besitzen heute die türkische und die bulgarische Staatsbürgerschaft, dürfen damit am 26. März 2017 die 44. Bulgarische Volksversammlung wählen und am 16. April 2017 über die Umwandlung der Türkei von der parlamentarischen in eine präsidiale Republik abstimmen. So herrscht dieser Tage ein reger Agitationsverkehr über die bulgarisch-türkische Grenze hinweg. Dass dessen Lärmpegel beträchtlich höher liegt als bei vorherigen Wahlen, liegt auch an der aktuellen Konfrontation der Türkei mit der EU, hat vor allem aber hausgemachte Ursachen. Der Hauptgrund liegt in der im Dezember 2015 wie aus heiterem Himmel erfolgten und bis heute ohne schlüssige Erklärung gebliebenen Spaltung der traditionellen Partei der bulgarischen Türken "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS).

Wahltourismus

Ljutvi Mestan
Bulgarischer Politiker Ljutvi Mestan Bildrechte: Frank Stier

Traditionell ist die DPS drittstärkste politische Kraft, gab mehr als einmal als Zünglein an der Waage den Ausschlag über die Möglichkeit einer Regierungsbildung. Um ihr politisches Gewicht zu minimieren, drängten nationalistische Parteien die im November 2016 vorzeitig zurückgetretene rechtsgerichtete Regierung von Ministerpräsident Boiko Borissow, im Wahlgesetz eine Begrenzung der Zahl der Wahllokale in der Türkei auf 35 festzuschreiben. Die türkische Staatsführung sieht darin eine "Beschneidung demokratischer Rechte der bulgarischstämmigen Minderheit in der Türkei".

Seit Beginn der Transformation vom autoritären Sozialismus zur krisenhaft demokratischen Marktwirtschaft Anfang der 1990er Jahre profilierte sich die DPS nicht nur als Partei der bulgarischen Türken, sondern auch als Fürsprecher für die marginalisierten Minderheiten der muslimischen Pomaken und der Roma. So steht vor allem sie im Fokus der Kritik, wird wieder einmal der Handel mit Wählerstimmen in Romavierteln problematisiert. Zudem hat sich die PDS oft Vorwürfe gefallen lassen müssen für den Gebrauch der türkischen Sprache im Wahlkampf und die Organisierung eines regelrechten Wahltourismus, bei dem bulgarischstämmige Türken mit Reisebussen zur Stimmabgabe in ihre ursprünglichen Heimatorte transportiert werden. 

Einreiseverbot für bulgarische Poltiker

Ahmed Dogan
Ahmed Dogan - "Persona Non Grata" in der Türkei Bildrechte: Frank Stier

Im Herbst 2015 aber wurde die Einheit der DPS zum Kollateralschaden des Abschusses eines russischen SU 24-Kampfbombers im türkisch-syrischen Grenzgebiet durch türkische Soldaten. Vom Rednerpult des Parlaments aus verurteilte der damalige DPS-Vorsitzende Ljutvi Mestan den Abschuss scharf und stellte sich damit unmissverständlich auf die Seite der Türkei. Nur wenig später erklärte indes Ahmed Dogan, als DPS-Ehrenvorsitzender der eigentlich starke Mann in der Partei, diese Haltung für völlig verfehlt und positionierte sich und die DPS als Parteigänger Russlands. Ljutvi Mestans Tage als DPS-Vorsitzender waren damit gezählt, Ahmed Dogan aber wurde für die Türkei zur Persona Non Grata. Deshalb verweigert die Türkei DPS-Politikern inzwischen die Einreise in die Türkei zu Wahlkampfzwecken.

Einmischung der Türkei "absolut nicht hinnehmbar"

Ljutvi Mestans neugegründete Partei "Demokraten für Verantwortung, Freiheit und Toleranz" (DOST) ist erklärtermaßen "euro-atlantisch" orientiert, genießt nun aber die Unterstützung der Türkei Erdogans wie zuvor die DPS. In den vergangenen Wochen hat Ankaras Botschafter in Sofia, Sülejman Gökçe, Ljutvi Mestan bei Wahlkampfauftritten in den von Türken besiedelten Orten im Nordosten und Südosten Bulgariens begleitet. Nicht nur nationalistische Parteien fordern deswegen, man solle ihn des Landes verweisen.  So weit will die bulgarische Staatsführung nicht gehen, doch Bulgariens Staatspräsident Rumen Radev hat auf dem jünsten Brüsseler EU-Gipfel die "Einmischung der Türkei in unsere Wahlen" als "absolut nicht hinnehmbar" beklagt und die Unterstützung der EU eingefordert, da die Eskalation entlang der Achse EU-Türkei am stärksten auf Bulgarien reflektiere, hier das Risiko am größten sei. "Wir stehen in der vordersten Reihe. Die EU muss eine klare, einheitliche Position beziehen und wir erwarten wirklich eine schnelle, solidarische Entscheidung", sagte Radev dem Bulgarischen Nationalen Fernsehen.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch in "mdr aktuell" am 26. 03. 2017