"Bulgarien den Bulgaren!"

16. Oktober 2015, 12:32 Uhr

Im christlich-orthodoxen Bulgarien ist jeder siebte Einwohner muslimischen Glaubens. Viele Bulgaren empfinden die Muslime als Bedrohung und sind entschieden gegen die Aufnahme muslimischer Flüchtlinge.

Eine nennenswerte Einwanderung hatte es in den Jahren der Herrschaft der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) - abgesehen von einigen Hundert chilenischen Sozialisten, die nach dem Sturz Salvador Allendes 1973 im Balkanstaat politisches Asyl fanden – nie gegeben. Daran sollte sich auch nach dem Systemwechsel 1989 zunächst nichts ändern. Bewegung gab es hingegen in ganz anderer Richtung: Bulgarien avancierte in diesen Jahren zu einem Auswanderungsland. Wenigstens zwei Millionen Bulgaren suchten in den kommenden zwei Jahrzehnten ihr Glück im westlichen Ausland. Migranten gab es bis 2013 in Bulgarien nur ganz wenige und diese nutzten das Land zumeist auch nur als Transit auf dem Weg in Richtung Westen. Sie wurden in der bulgarischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Jeder siebte Bulgare ist Muslim

Anders verhält es sich freilich mit den sogenannten "Fremden im eigenen Land". Die lassen sich keineswegs übersehen. Im christlich-orthodoxen Bulgarien mit seinen siebeneinhalb Millionen Einwohnern leben nämlich knapp eine Million Menschen muslimischen Glaubens. Das heißt, jeder siebte Bulgare ist Muslim. Die Muslime Bulgariens gelten als die größte autochthone muslimische Bevölkerungsgruppe innerhalb der Europäischen Union. Damit aber noch nicht genug: Etwa 580.000 von ihnen geben an, keine Bulgaren, sondern Türken zu sein. Ein Umstand, der seit Jahrzehnten zu Konflikten zwischen Bulgaren und bulgarischen Türken führt und enormen Einfluss auf die Flüchtlingspolitik des Balkanstaates hat: Die Bulgaren fürchten um ihre nationale Identität.

Unangenehme Erinnerungen an den Islam

Die Bulgaren verbinden mit dem Islam vor allem die fast 500 Jahre währende osmanische Fremdherrschaft. Erst 1878 konnte sich Bulgarien vom "türkischen Joch", wie es offiziell heißt, befreien. In jenen 500 Jahren hat sich jedenfalls die muslimische Gemeinschaft in Bulgarien herausgebildet – türkische Einwanderer, muslimische Migranten aus den verschiedenen Provinzen des osmanischen Reichs sowie Bulgaren, die zum Islam übertraten. Die meisten von ihnen blieben im neu entstandenen Staat Bulgarien. Sie siedelten sich überwiegend im Süden des Landes an, in kleinen Städten und Dörfern in der Nähe der osmanischen Grenze, in denen sie ihren Glauben und ihre Kultur pflegen konnten.

Entschleierung der Muslime

Um das Erbe des Islam zu tilgen oder wenigstens möglichst klein zu halten, begannen die bulgarischen Machthaber Ende der 1950er Jahre mit der, wie sie es nannten, "Entschleierung des Islam": Muslimische Trachten und Feste wurden verboten, türkischsprachige Schulen geschlossen. 15.000 türkische Bulgaren verließen in diesen Jahren ihr Land in Richtung Türkei. Die meisten von ihnen kehrten aber schnell zurück – sie wollten lieber auf ihren Feldern im sozialistischen Bulgarien Tabak anbauen, als in Ankara oder Istanbul als Tagelöhner ein bitteres Leben fristen zu müssen.    

 Als Bulgaren wiedergeboren

Mitte der 1980er Jahre verschärfte die Bulgarische Kommunistische Partei (BKP) die Restriktionen gegen die Muslime noch einmal. Diese durften fortan ihre Religion nicht mehr ausüben, in der Öffentlichkeit nicht mehr Türkisch sprechen und es wurde von ihnen verlangt, ihre Namen "bulgarisieren" zu lassen. So hatte etwa aus dem türkischen Namen Naim Suleimanow die bulgarische Variante Naum Schalamanoff zu werden. Der staatlich verordneten Assimilation wurde der Name "Wiedergeburt" verpasst. Es sollte suggeriert werden, dass die türkischen Bulgaren durch die "Bulgarisierung" zu ihren Wurzeln zurückfänden. Denn eigentlich seien sie doch Bulgaren, deren Vorfahren von den "muslimischen Gewaltherrschern" zwangsweise islamisiert worden seien. Nun würden sie als Bulgaren wiedergeboren.  

"Bulgarien den Bulgaren!"

Bulgarien, Proteste der bulgarischen Türken. 1 min
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Der Grund für die chauvinistische Zwangsmaßnahme war ein ganz anderer: Hätte die Zahl der bulgarischen Türken die Zahl von einer Million überstiegen, hätten sie als Minderheit mit entsprechenden Rechten anerkannt werden müssen. Das genau wollten die Machthaber in Sofia verhindern. Zudem standen 1987 die Feierlichkeiten aus Anlass des 100. Jahrestages der Staatsgründung an. Dabei sollte vor allem die Einheit von Volk und Land demonstriert werden. Das Motto der Feierlichkeiten hieß dementsprechend: "Bulgarien den Bulgaren!"

"Große Exkursion"

Die türkischen Bulgaren ließen die zwangsweise Assimilierung keineswegs tatenlos über sich ergehen: Es kam zu großen Demonstrationen, bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen und blutigen Anschlägen – auf Bahnhöfen, in Zügen und Überlandbussen explodierten selbstgebastelte Bomben, Dutzende Bulgaren starben. Anfang 1989 gestanden die Funktionäre der BKP, die Kontrolle verloren zu haben. Um der Lage wieder Herr zu werden, erlaubten sie den türkischen Bulgaren, in die Türkei überzusiedeln. Mehr als eine halbe Million türkischer Bulgaren stellten entsprechende Anträge, Hunderttausende von ihnen aber zogen sofort los.

Die Türkei schließt die Grenzen für ihre Landsleute

Die Straßen zu den Grenzorten waren hoffnungslos verstopft und vor den Grenzübergängen bildeten sich kilometerlange Staus. "Große Exkursion", kommentierte die BKP den riesigen Flüchtlingsstrom. Doch die Türkei war mit den Flüchtlingen schon bald überfordert. Sie ließ etwa 200.000 bulgarische Türken einreisen, dann wurden die Grenzen geschlossen. Die Ausreisewilligen mussten notgedrungen in ihre bulgarischen Dörfer und Städte zurück. Sie besaßen jetzt nichts mehr: Vor ihrer Flucht hatten sie Häuser und Felder eilends und oft zu Schleuderpreisen verkauft – nicht selten an Bulgaren.

"Haut ab in die Türkei!"

Die "Bulgarisierung" wurde nach dem Sturz des Parteichefs Todor Schivkov Ende 1989 wenigstens eingestellt. Doch die Atmosphäre zwischen Bulgaren und bulgarischen Türken war vergiftet. Und das änderte sich auch nach dem Ende der sozialistischen Ordnung nicht. Denn an dessen Stelle trat ein fulminanter Nationalismus. Mit den Moslems, gaben mehr als 50 Prozent der Bulgaren in diversen Umfragen in den letzten zwanzig Jahren an, könne es schon aus historischen Gründen keine Freundschaft geben. 30 Prozent würden sie am liebsten außer Landes sehen. Mischehen zwischen Bulgaren und Moslems können sich nur 7 Prozent der Bulgaren vorstellen. Eine Mehrheit hält die Moslems pauschal für eine Bedrohung der nationalen Sicherheit: "Haut ab in die Türkei!", kritzeln immer wieder Unbekannte an die berühmte Banja-Baschi-Moschee in Sofia. Und als 2013 Tausende syrische Bürgerkriegsflüchtlinge nach Bulgarien strömten, machten bulgarische Nationalisten die türkischen Bulgaren für den Flüchtlingsstrom verantwortlich. Diese würden die Syrer nach Bulgarien locken, um das Land wieder zu islamisieren.        

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