Eisenbahnen in Polen und Tschechien Zwischen Niedergang und Renaissance

02. April 2014, 13:35 Uhr

Die Bahn in Polen hat keinen guten Ruf: Jeder Fahrplanwechsel sorgt für Chaos, jeder Wintereinbruch führt zu stundenlangen Verspätungen, die Infrastruktur fällt buchstäblich auseinander. Bahnliebhaber schielen neidisch nach Tschechien, wo es ein dichtes Streckennetz gibt. Doch seit kurzem geht es auch in Polen vorwärts auf der Schiene.

Der einstige sogenannte "Minister-Express" Danzig-Warschau kann als Paradebeispiel für den Niedergang der Eisenbahn in Polen dienen. Noch in den 1990er-Jahren schaffte der es in dreieinhalb Stunden in die Hauptstadt und war somit eine echte und preiswerte Alternative zum Flugzeug. Viele Prominente nutzten die Verbindung: Minister, Staatssekretäre, Parlamentarier und hochrangige Beamte, aber auch Geschäftsleute, Banker und Makler. In Warschau um halb zehn angekommen, hatten sie genügend Zeit, ihren Geschäften nachzugehen, um am Nachmittag bequem wieder die Heimreise anzutreten. Für die hochkarätige Klientel des "Danzig-Warschau-Express" wurde im Speisewagen echte Haute Cuisine serviert. 1997 war sogar der ehemalige US-Präsident George Bush sr. an Bord, der in Danzig Lech Wałęsa besuchen wollte.

Veraltete Züge - marode Gleise

Doch dann kamen die Zeiten des Niedergangs. Die Fahrzeit verlängerte sich aufgrund der maroden Infrastruktur auf mehr als fünf Stunden - kein Wunder, dass die VIPs nach und nach vom "Express" aufs Flugzeug umstiegen. Und so – oder meist noch schlimmer - steht es fast um die gesamte polnische Eisenbahn. Grund für die Misere waren Versäumnisse aus mehreren Jahrzehnten und ein riesiger Investitionsstau. Die verralterten Züge versprühten sozialistischen Charme - dreckig, unbequem und gnadenlos langsam. Auch die Infrastruktur - Gleise, Brücken und Signalanlagen - fiel buchstäblich auseinander. Viele Strecken waren so marode, dass die Zügen sie nur noch langsam befahren durften.

Geisterzüge und Geisterbahnhöfe

Immer wieder sorgte die Bahn in den vergangenen Jahren auch durch wahre Chaos-Tage für Schlagzeilen, insbesondere vor Feiertagen oder bei Fahrplanwechsel. Tausende Fahrgäste saßen dann auf Bahnhöfen fest, Fahrpläne wiesen Geisterzüge aus, die in Wirklichkeit gar nicht verkehrten, und diejenigen, die dann tatsächlich durchs Land rollten, waren oft um Stunden verspätet. Witzbolde spottenten: Eines kann man den polnischen Eisenbahnern nun wirklich nicht absprechen - dass sie nie um eine gute Ausrede für ihre Pannen verlegen sind.

Doch viele Reisende haben gar nicht die Wahl zwischen Asphalt und Schiene, denn auf dem flachen Land sind viele Strecken in den letzten Jahren dem Rotstift zum Opfer gefallen und stillgelegt worden. Ganze Landstriche wurden vom Bahnnetz abgekoppelt, und in so mancher Provinzstadt wächst eine Generation von Kindern heran, die gar nicht mehr wissen, wie ein Zug eigentlich aussieht. Die Bahnhofsgebäude dieser Orte stehen seit Jahren leer. Die Natur erobert stillgelegte Gleise zurück.

Ein neidvoller Blick nach Tschechien

Kein Wunder, dass polnische Bahnfreunde gern nach Tschechien schielen. Denn die Tschechen kriegen es anders als die Polen tatsächlich auf die Reihe - und ihre Bahnen auf die Schiene. Selbst kleine Orte haben dort einen Bahnanschluss, und das Streckennetz gehört zu den dichtesten der Welt. Während ein Durchschnittspole im Jahr etwa sieben Bahnreisen macht, verreist ein Durchschnittstscheche fast 17 Mal im Jahr mit der Bahn. Streckenschließungen in großem Stil gab es in Tschechien nach 1990 ebenfalls nicht – ganz anders als in Polen, das seit der Wende fast ein Viertel seines Netzes verlor. Ein frappierender Unterschied, liegen die Länder ökonomisch doch eigentlich gleichauf.

Gründe, nach Tschechien zu schauen, gibt es für polnische Bahnfreunde aber noch mehr, denn im Land an der Moldau ist bereits seit Jahren der "Pendolino" im Einsatz, mit dem nun auch die polnische Bahn große Hoffnungen verbindet. Der "Pendolino" ist eine Art ICE – modern, komfortabel und schnell. 20 solcher Luxus-Züge rollen seit Ende 2014 auf Polens Magistralen.

Seit einiger Zeit wird nun endlich auch das marode Schienennetz nach und nach saniert. So hat sich die Fahrzeit zwischen Danzig und Warschau dank neuer Gleise, auf denen der moderne "Pendolino" verkehrt, inzwischen wieder auf knapp 3 Stunden verkürzt. Allerdings mehren sich skeptische Stimmen. Denn was nützt es, dass der "Pendolino" theoretisch 250 Stundenkilometer schafft, wenn nicht einmal ein Zehntel des polnischen Streckennetzes derzeit mit solchen Geschwindigkeiten befahrbar ist. Viele befürchten daher, dass der "Pendolino" als teurer PR-Gag in die Geschichte der polnischen Eisenbahn eingeht. Und das auch noch aus anderen Gründen.

Private Konkurrenz

Denn selbst im Eisenbahn-Wunderland Tschechien macht dem "Pendolino" der Tschechischen Staatsbahnen inzwischen private Konkurrenz zu schaffen. Neu gegründete Gesellschaften wie "Regiojet" und "Leo Express" zeigen dort erfolgreich, wie man dem einstigen Monopolisten Kunden wegnimmt. Während der private "Leo Express" zwischen Prag und Ostrava 70 Prozent Auslastung hat, herrscht im ungleich teureren staatseigenen "Pendolino" inzwischen 70 Prozent Leerstand.

Die Reise mit den modernen privaten Zügen ähnelt einem Flug, die Schaffner erinnern eher an Stewardessen. Es gibt bequeme Ledersitze, kostenloses W-LAN, ein warmes Getränk zur Begrüßung und kleine Mahlzeiten auf Bestellung - mit Bedienung direkt am Platz - und das alles zu einem unschlagbaren Preis: Die günstigsten Tickets für die Reise quer durchs Land sind für umgerechnet rund 7 bzw. 11 Euro zu haben. Je früher man bucht, umso billiger reist man.

Die Alternativen: Bus oder Flugzeug

Auch in Polen toben inzwischen ähnliche Preiskriege - allerdings nicht zwischen verschiedenen Bahngesellschaften, sondern zwischen Bahn und Bus sowie Bahn und Flugzeug. Die profitieren von dem jahrelangen Dornröschenschlaf auf der Schiene. Private Busgesellschaften, allen voran "Polski Bus", erleben einen beispiellosen Erfolg. Ihnen kommt zugute, dass die Straßen in Polen schneller modernisiert werden als die Bahninfrastruktur.

Die billigsten Tickets gibt es schon zab 1 Zloty, umgerechnet etwa 25 Cent. Die Flotte ist hochmodern - oft gibt es sogar Ledersitze, eine Klimaanlage, kostenloses Internet und auf manchen Strecken einen kleinen Snack. Neben vielen größeren Städten im Inland werden auch die Metropolen in den Nachbarländern angesteuert: Vilnius, Berlin, Prag, Bratislava und Wien. Und als wäre das nicht Konkurrenz genug, versucht seit kurzem auch der irische Billigflieger Ryanair den polnischen Markt aufzumischen und bietet auf den Strecken Warschau-Breslau und Warschau-Danzig Aktionstickets für 9 Zloty (umgerechnet rund 2 Euro) an, und auch die Regelpreise sind oft nicht teurer als ein Bahnticket zwischen den genannten Städten.

Wie der Kampf um Polens Passagiere ausgehen wird, ist noch unklar. Eines scheint klar: Destruktive Preiskriege können nicht ewig dauern. Doch vorerst profitieren die polnischen Fahr- und Fluggäste doppelt - von den niedrigen Preisen und der nach und nach sanierten Infrastruktur.

Über Cezary Bazydlo geboren in Biskupiec (Polen)
Studium der Germanistik in Gdansk (Danzig) und Konstanz, arbeitet seit 2008 für den MDR