Zurück in die "Vierte Republik"? Polens Déjà vu - die erste PiS-Regierung

11. Februar 2016, 16:49 Uhr

"Recht und Gerechtigkeit" heißt die neue-alte Regierungspartei Polens, auf Polnisch "Prawo i Sprawiedliwosc", kurz PiS. Eine Partei, die schon einmal die Geschicke des Landes lenken durfte - in den Jahren 2005 bis 2007. Vieles, was die PiS-Regierung heute unternimmt, erinnert an diese Zeit.

Ich kann mich noch sehr genau an jenen Wahlabend im Oktober 2007 erinnern. Als Auslandspole musste ich meine Stimme im polnischen Konsulat abgeben. Vor Ort angekommen, erblickte ich eine riesige Schlange vor dem Gebäude. Der Anblick machte mich staunen – bei allen Wahlen davor war das Interesse so niedrig, dass man sofort ins Konsulat hereinkam und die Stimmabgabe binnen Minuten erledigen konnte. Diesmal standen meine Landsleute in Dreierreihen geduldig an, um von ihrem Bürgerrecht Gebrauch zu machen. Als das Wahlergebnis wenige Stunden später verkündet wurde, war klar: Die Wähler hatten der PiS-Regierung mit Jaroslaw Kaczynski an der Spitze die Rote Karte gezeigt. Und wenn heute Tausende Menschen in Polen auf die Straße gehen, um gegen eine Neuauflage der PiS-Regierung zu demonstrieren, denke ich, dass viele Ängste, die heute aufkommen, in genau jenen zwei Jahren begründet sind. Viele fürchten wohl eine Wiederholung einer Politik, die sie nicht zeitgemäß und undemokratisch finden.

Kaczynski-Zwillinge rufen "Vierte Republik" aus

2005 trat die Kaczynski-Partei mit der Forderung nach einer moralischen Rundum-Erneuerung an. "An unserem Wesen soll Polen genesen", war gewissermaßen die Lösung. All das, was nach Meinung Kaczynskis bei der Transformation seit 1989 schiefgelaufen war, sollte endlich ausgebessert, die Übel und Fehler jener Zeit ausgemerzt werden. Eine "Vierte Republik" sollte dabei entstehen - in Anlehnung an die offizielle Zählweise, die dem Nachwende-Polen die Ordnungszahl drei verpasst hatte. Der Gründungsmythos der "Vierten Republik" Kaczynskis war: Polen sei fest in der Hand informeller Netzwerke, mafiöser Strukturen und korrupter Politiker. All das sollte ein Ende nehmen, und so wurde der Kampf gegen Korruption zu einem der wichtigsten Ziele erklärt.

Eine Antikorruptions-Behörde, die Affären fabriziert

Eigens dafür wurde eine Sonderpolizei gegründet, die mit besonderen Befugnissen ausgestattet war – die Zentrale Antikorruptions-Behörde. Doch mit der Zeit stellte sich heraus, dass sie nicht nur echte Schmiergeldzahlungen aufspürte, sondern gezielt auch Korruptionsaffären fabrizierte, die der Regierung Kaczynski als Mittel im politischen Kampf dienten. Denn in vielen Fällen ging es nicht darum, echte Verbrechen aufzudecken und die Täter zu überführen, sondern unbescholtene Bürger – vor allem Oppositionspolitiker, aber auch hochgestellte Manager und Ärzte – gezielt in künstlich erzeugte Korruptionsskandale zu verwickeln, um sie zu diskreditieren.

Dazu wurden Methoden angewandt, die an die ostdeutsche Stasi erinnerten. Illegales Abhören und gefälschte Ausweispapiere zählten zum Repertoire, und selbst vor dem Einsatz so genannter "Romeos" schreckten die Korruptionsjäger im Dienste der Politik nicht zurück. Der gutaussehende "Agent Tomek" sorgte polenweit für Schlagzeilen, als er einer Parlamentsabgeordneten und einem Fernsehstar schöne Augen machte, um sie in Korruptionsskandale zu verwickeln. Die Boulevardpresse stilisierte ihn sogar zum neuen Männlichkeitsideal, und etwas später konnte er sich dank dieser "guten" Presse ins Parlament wählen lassen.

In den beiden genannten sowie vielen weiteren Fällen erfolgten die Festnahmen im Rampenlicht, gefilmt von Polizeibeamten und später zur besten Sendezeit im Fernsehen ausgestrahlt. Der damalige Justizminister Zbigniew Ziobro – inzwischen wieder im Amt – lud gern zu Pressekonferenzen, bei denen er öffentlichkeitswirksam den nächsten Festnahmeerfolg verkündete, Requisiten vom "Tatort" präsentierte, und seinen Ruf als Sheriff der Nation festigte. Mehrfach vergaß er dabei die Unschuldsvermutung und sprach Vorverurteilungen aus, die später vor Gericht keinen Bestand hatten. Dass man auch die Staatsanwaltschaft in der Ära Kaczynski 1.0 rückblickend weitestgehend zu einer Vollstreckerin der Politik degradiert sieht, fügt sich für viele Polen ins Bild.

Die Bilanz: Ein Selbstmord, zwei gebrochene Frauenherzen (mit spektakulären Weinkrämpfen vor laufender Kamera) und mehrere zerstörte Karrieren. So gut wie alle Festgenommenen wurden später freigesprochen. Ein Berufungsgericht brachte auf den Punkt, was von solchen Methoden zu halten ist: Der demokratische Rechtsstaat habe nicht das Recht, die Integrität der Bürger durch "Stichproben" zu testen, indem er sie gezielt in Versuchung führt. Dies sei vielmehr ein Merkmal totalitärer Staaten.

Öffentlich-rechtliche Medien gekapert

Und so wie den Strafverfolgungsapparat ordnete sich die Regierung Kaczynski viele weitere Lebensbereiche unter – etwa die öffentlich-rechtlichen Medien. So wurde zunächst der "Landesrat für Hörfunk und Fernsehen" unter die Kontrolle der Regierungspartei gebracht. Eine Reduzierung von neun auf fünf Mitglieder machte es möglich, da alle neu gewählten Mitglieder aus dem regierungsnahen Lager stammten. Die Aufsichtsräte der Fernseh- und Radiosender wurden ausschließlich mit regierungsnahen Kandidaten besetzt, ebenso wie die Chefetage der einflussreichen Nachrichtenredaktion des Polnischen Fernsehens TVP. Diese "Politkommissare", wie sie von altgedienten Mitarbeitern heimlich genannt wurden, scheuten sich nicht, Reporter und Redakteure unter Druck zu setzen und auf die Regierungslinie einzuschwören. Das geht jedenfalls aus den Berichten derer hervor, die den Sender damals – freiwillig oder auch nicht – verließen.

Mehr Patriotismus an den Schulen

Neu war in den Jahren 2005 bis 2007 aber auch eine bislang beispiellose Ideologisierung der Schulen. Kaczynski habe sich dort seine Wähler und Anhänger der Zukunft heranzüchten wollen, meinten Kritiker. Für dieses Projekt zeichnete Bildungsminister Roman Giertych verantwortlich, der durch viele kontroverse Ideen auffiel und ebenfalls einen Hang zu inflationär einberufenen Pressekonferenzen zeigte. So sollte die polnische Jugend unter anderem zu mehr Patriotismus erzogen werden. Das Fach Geschichte sollte gestärkt, der Mythos der glorreichen polnischen Vergangenheit gepflegt, die Universalgeschichte dagegen marginalisiert werden. Statt europäischer Autoren wie Goethe und Dostojewski sollten die Schüler im Polnischunterricht mehr einheimische Autoren und Dichter lesen, insbesondere die Künder der nationalen Idee, Adam Mickiewicz und Henryk Sienkiewicz. Es gab sogar die Idee, "Patriotische Erziehung" als eigenes Fach zu etablieren.

Nachhilfe sollten die Schüler aber auch in Sachen Weltanschauung und Moral bekommen. Selbstredend, dass dabei die christlichen Werte als Maßstab dienten – oder zumindest das, was der Bildungsminister dafür hielt. Die Schulen wurden angehalten, die gesammelten Werke von Papst Johannes Paul II. anzuschaffen. Im Unterricht sollten "natürliche Verhütungsmethoden" propagiert und Anti-Abtreibungs-Ausstellungen gezeigt werden. Ein leitender Beamter der Schulaufsichtsbehörde verstieg sich sogar zu der Bemerkung, dass die Lerninhalte mit der Lehre der Polnischen Bischofskonferenz übereinstimmen müssten. Die Lehrer sollten in die Rolle von Sittenpolizisten schlüpfen, schwangere Schülerinnen erfassen und "homosexueller Propaganda" Paroli bieten. Allein: Umgesetzt wurde davon wenig, und wenn, blieb es bei Halbherzigkeiten, die sich von selbst erledigten: Vom eigens propagierten schulischen Strafgesetzbuch, dem Kritiker Anleihen im 19. Jahrhundert vorwarfen, bis zur Idee der wieder einzuführenden Schuluniform, die wir Polen mit Vorkriegs- und sozialistischen Zeiten assoziieren.

Neue PiS-Regierung legt Eiltempo vor

In den Augen der PiS-Gegner zeigen die ersten Monate, dass die Regierungspartei den Staat erneut auf diese Art und Weise vereinnahmen wird - nur mit dem Unterschied, dass diesmal alles noch viel schneller passieren wird als in den Jahren 2005 bis 2007. Die ersten Gesetze, die PiS mit der neuen Parlamentsmehrheit beschlossen hat, scheinen diese Befürchtung zu bestätigen: Von den zentralen Wahlversprechen der Kaczynski-Partei wurde bislang nur wenig umgesetzt, dafür veränderte das Parlament im Eiltempo, teilweise sogar in nächtlichen Sitzungen, die Regelungen zum Verfassungsgericht, zu den öffentlich-rechtlichen Medien und zur Internetüberwachung – die Kritiker sehen darin einen Anschlag auf die grundlegenden bürgerlich-demokratischen Freiheiten. Und diesmal, das macht ihnen besonders Angst, hat die PiS-Partei im Parlament die absolute Mehrheit und ist nicht auf Koalitionspartner angewiesen.

Über den Autor Cezary Bazydlo wurde in Biskupiec (Polen) geboren. Er studierte Germanistik in Gdansk (Danzig) und Konstanz. Seit seinem Volontariat 2008-2009 arbeitet er für den MDR.