Russland Verfilmte Zaren-Affäre sorgt für Ärger

02. August 2017, 10:44 Uhr

Ein Film über die Affäre des letzten russischen Zaren Nikolaus II. mit einer Ballerina schlägt derzeit in Russland Wellen. Der Streifen gehört verboten, finden russische Monarchisten und strenggläubige orthodoxe Christen. Im Oktober soll der Film mit Schauspieler Lars Eidinger in der Hauptrolle in die Kinos kommen, sofern Demonstrationen und Boykott-Aufrufe das nicht verhindern.

Es gibt bislang nur die Trailer zum Film, doch der reicht Kritikern aus, eine Anzeige wegen Verletzung religiöser Gefühle zu stellen. Der Film brüskiere Nationalgefühle und beschmutze das Andenken eines Heiligen, wettern Russlands Konservative. Sie fordern deshalb, den Film zu verbieten.

Vulgäre Primaballerina

Einige Wissenschaftler haben sogar eine Expertise zum Film verfasst. Auf 39 Seiten legen sie ausführlich dar, warum der Streifen "Matilda" inakzeptabel sei – geschrieben auf Grundlage des Drehbuchs und des Trailers. Gesehen haben sie den Film nicht. Die Vorwürfe lauten etwa: Die polnische Schauspielerin Michalina Olszanska, die die Titelrolle der Primaballerina spielt, sei vulgär und benehme sich wie ein Pornostar. Außerdem sei sie viel zu hübsch für diese Rolle – alle wüssten doch, dass das historische Vorbild schiefe Zähne gehabt habe.

Mit Porno-Industrie nichts am Hut

Auch am deutschen Schauspieler Lars Eidinger reiben sich die konservativen Geister: Er sei ein ehemaliger Pornodarsteller, behaupten sie. An Eidinger perlen die Vorwürfe ab: "Gegenüber der Porno-Industrie habe ich keine großen Vorbehalte, ich habe mit ihr überhaupt nichts zu tun."

Eidinger treibt in einem Interview mit der "Deutschen Welle" dagegen die Angst um, dass der Film nicht gezeigt werden darf. Doch alle Vorwürfe und Unterstellungen reichen bislang noch nicht aus, den Film offiziell verbieten zu lassen – deshalb rufen die Konservativen nun zu landesweiten Demos auf. Und verschicken Drohbriefe an Kinos, die den Film eventuell ins Programm nehmen könnten.

Der letzte russische Zar

Der letzte Zar wurde 1918 mit seiner Familie von den Bolschewiken in Jekaterinburg ermordet. Die Russisch-Orthodoxe Kirche betrachtet ihn deshalb als einen Märtyrer und hat ihn im August 2000 heiliggesprochen. Das nun der Film "Matilda" sich ausgerechnet mit einer Affäre dieses Heiligen beschäftigt, mit dem vorehelichen Verhältnis von Nikolaus II. mit der Primaballerina des Mariinski-Theaters, Matilda Kschessinskaja, erzürnt russische Monarchisten und strenggläubige orthodoxe Christen.

Wer hinter der Kampagne steckt

Medienberichten zufolge ist die treibende Kraft hinter der Kampagne eine schillernde Persönlichkeit des russischen Politestablishments: Natalja Poklonskaja, 37 Jahre.

Sie verdankt ihren kometenhaften Aufstieg der Krim-Krise. Kurz nach der russischen Annexion hielt sie, damals eine einfache Juristin, die gerade erst auf die russische Seite gewechselt war, eine Pressekonferenz, die sie über Nacht berühmt machte.

Die junge Frau fiel durch ihre Attraktivität auf, die Internet-Gemeinde wurde auf sie aufmerksam. Videos von der Konferenz erreichten innerhalb eines einzigen Tages einige Hunderttausend Zugriffe. Das ebnete Poklonskaja den Weg zu einer schnellen Karriere, zuerst als Generalstaatsanwältin der Krim, heute als Abgeordnete der Staatsduma.

Abgöttischer Kult um Nikolaus II.

Der Moskauer Politologe Stanislaw Bielkowskij meint: "Poklonskaja vergöttert Nikolaus II., ich habe den Eindruck, sie ist regelrecht in ihn vernarrt." Aus ihrer Zeit als Generalstaatsanwältin der Krim wird erzählt, dass ihr Amtszimmer mit Porträts und Ikonen tapeziert war, die Nikolaus II. darstellten. Einer Büste des Zaren, die im Innenhof der Generalstaatsanwaltschaft in Simferopol steht, schrieb Poklonskaja wundertätige Wirkung zu. Die Büste habe echte Tränen über Russland vergossen, das seine alten Herrscher nicht mehr in Ehren halte, sagte sie kürzlich in einem Interview.

Premier verurteilt Kampagne

Aus liberalen Teilen der russischen Gesellschaft gibt es inzwischen Unterstützung für den Film. Man wolle jene Kinos, in denen "Matilda" gezeigt wird, wenn nötig mit körperlichem Einsatz vor religiösen Fanatikern verteidigen, heißt es. Inzwischen hat auch der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedew, der als Anführer des liberalen Flügels der Regierungspartei "Einiges Russland" gilt, die Kampagne gegen den Film scharf verurteilt. Kremlchef Wladimir Putin schweigt hingegen noch.

Auf welche Seite stellt sich Putin?

Putin
Bild vom Kremlchef Wladimir Putin Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Kenner der russischen Politszene glauben, der "Zar" des 21. Jahrhunderts warte ab, schaue sich die Lage an. Die Präsidentschaftswahlen seien noch zu weit entfernt, das Thema lasse sich dafür noch nicht benutzen. Beobachter gehen aber davon aus, dass Putin sich vermutlich auf die Seite der Konservativen stellen wird. So könnte er sich als Verteidiger der traditionellen russischen Werte und der Gefühle des einfachen Mannes profilieren, die der Film angeblich verletzt.

Im kommenden Präsidentschaftswahlkampf würden Fragen der russischen Identität jedenfalls eine große Rolle spielen – und damit auch die Abgrenzung gegen den angeblich unmoralischen Westen, der Russland vernichten wolle und das Land mit Sanktionen belegt. Unter diesem Vorzeichen könnte Poklonskaja mit ihren Anhängern eine wertvolle Verbündete des Präsidenten werden.

Salonlöwin sorgt für Stadtgespräch

Den meisten Russen sagt der Name der Primaballerina Kschessinskaja heute nichts mehr. Zu ihrer Zeit aber war sie eine sehr bekannte Persönlichkeit – eine Salonlöwin, deren Leben und Liebesaffären in der damaligen Zarenhauptstadt Sankt Petersburg Stadtgespräch waren. Die polnischstämmige Tänzerin am Mariinski-Theater sammelte leidenschaftlich gerne Fabergé-Eier und Männer aus der Zarenfamilie. Neben dem künftigen Zaren waren mindestens noch drei andere Großfürsten ihre Liebhaber, zwei von ihnen sogar zur gleichen Zeit.

Erfahrung mit anderem Geschlecht

Viele Historiker nehmen an, Nikolaus' Vater, Alexander III., hat das Verhältnis mit Mathilda Kschessinskaja gezielt eingefädelt, damit der schüchterne Prinz Erfahrungen im Umgang mit dem anderen Geschlecht sammeln kann, bevor er eine standesgemäße Prinzessin aus einem deutschen Fürstenhaus heiratet, wie es bei den Romanows seit Jahrhunderten Sitte war.

Fest steht, dass es dann mehr als nur eine unverbindliche Affäre wurde. Nikolaus war in Mathilda regelrecht vernarrt, machte ihr teure Geschenke, sogar Brillanten. Und auch nach seiner Heirat mit Alix von Hessen-Darmstadt, die den russischen Namen Alexandra Fjodorowna annahm, blieb der Zar seiner Favoritin verbunden, sorgte für sie und machte ihr weiterhin kostbare Geschenke. Und das, obwohl er als absoluter Familienmensch und vorbildlicher Vater galt.

Über dieses Thema berichtet MDR auch im: Fernsehen | 10.02.2016 | 18:10 Uhr