Russland | Fall Wallenberg Geheimdienst verweigert Akteneinsicht

19. September 2017, 14:05 Uhr

Der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg rettete während des Zweiten Weltkriegs Tausenden Juden in Ungarn das Leben. 1945 verschwand er unter mysteriösen Umständen in einem KGB- Gefängnis. Seine Angehörigen verklagen derzeit den KGB-Nachfolger, den russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Sie fordern die Herausgabe der Akten, die Wallenbergs Verschwinden aufklären könnten. Das werde sich schwierig gestalten, meint Daria Sukhikh, die Anwältin der Familie.

Die Anhörung im Fall Raoul Wallenberg hat zu Wochenbeginn vor einem Moskauer Gericht stattgefunden. Wie ist es gelaufen?

Die Anhörung dauerte vier Stunden, was sehr ungewöhnlich ist für russische Gerichte. Marie Dupuy, die Nichte von Raoul Wallenberg, fordert vom Geheimdienst FSB die Herausgabe eines Teils der Gefängnisakte ihre Onkels. Es geht nur um ein paar Seiten aus den Jahren 1945 und 1947, die Verhörprotokolle und ähnliches enthalten. Sie könnten die fehlenden Puzzleteile im Mysterium um das Verschwinden Wallenbergs sein. Aber der FSB weigert sich nach wie vor, die Akte herauszugeben.

Mit welcher Begründung?

In den betroffenen Dokumenten tauchen auch Informationen zu anderen Personen auf. Der FSB argumentiert, dass sie zunächst das Einverständnis dieser Personen bzw. deren Nachfahren einholen müssen, bevor sie die Akten freigeben können. Das ist unserer Ansicht nach aber nicht nötig, denn das russische Recht sieht dies nur für notwendig an, wenn das Privatleben von Personen betroffen ist. Gefängnisakten sagen aber nichts über das Privatleben aus und geben auch keine persönlichen Geheimnisse preis.

Wie hat das Gericht entschieden?

Das ist unserer Argumentation leider nicht gefolgt und hat unseren Antrag abgewiesen. Die Begründung dafür kennen wir noch nicht, die wird uns schriftlich in etwa zwei Wochen mitgeteilt. Dann werden wir in Berufung und durch alle Instanzen in Russland gehen. Wenn das nicht hilft, werden wir uns an europäische Gerichte wenden.

War die Entscheidung des Gerichts überraschend?

Nein, wir hatten damit gerechnet, denn der russische Staat gewährt nicht gern Zugang zu den Archiven. Das ist keine Besonderheit des Falls Wallenberg, sondern betrifft auch andere Fälle. In unserer Organisation "Team 29" vertreten wir oft einfache Bürger, die auf Herausgabe von Sowjet-Akten ihrer Verwandten klagen. Auch das ist oft sehr schwierig.  Aber der Fall Wallenberg ist natürlich insofern ein sensibler Fall, da es sich um einen schwedischen Diplomaten gehandelt hat. Er ist international bekannt und gilt als eine Art Held, der viel Gutes getan hat. Wir vermuten, dass die Archive etwas preisgeben könnten, das die Sowjetunion und auch Russland in keinem guten Licht zeigen.

Russische Rechtsanwältin Daria Sukhikh
Bildrechte: Team 29

Daria Sukhikh ist russische Juristin und arbeitet für die Organisation "Team 29", die sich für das Recht auf Information in Russland einsetzt. "Team 29" vertritt Personen, denen der Zugang zu den Geheimdienstarchiven verwehrt wird, obwohl sie laut Gesetz ein Anrecht darauf haben. Sukhikh vertritt auch die Familie von Raoul Wallenberg, vor allem dessen Nichte Marie Dupuy.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch bei: Brisant | 28.01.2017| 17:10 Uhr