Mann mittleren Alters in Hemd und mit Krawatte sitzt an einem Tisch und erklärt
Slawomir Broniarz: Die Kinder von heute ticken doch anders als die von vor 30 Jahren. Bildrechte: Slawomir Broniarz

Lehrerstreik in Polen Schulreform zu "sentimental"

Interview mit dem Chef der Lehrergewerkschaft

31. März 2017, 12:45 Uhr

Polens Schulsystem wird umgekrempelt. Im September 2017 wird die Mittelstufe, das Gymnasium, abgeschafft. Dafür sollen polnische Kinder acht Jahre zur Grundschule gehen. Das  gab es schon mal: zu Zeiten der Volksrepublik. "Sentimentalität" nennt das der Vorsitzende der polnischen Lehrergewerkschaft ZNP Slawomir Broniarz. Und fordert mehr naturwissenschaftliche statt "national-patriotische" Bildung.

Was halten Sie von den Plänen, das polnische Schulsystem komplett umzubauen?

Es gibt keinerlei sachliche Gründe, so eine Revolution im polnischen Schulsystem zu starten. Das heißt nicht, dass das polnische Bildungssystem frei von Problemen ist. Aber wir sollten versuchen, diese Probleme auszumachen und sie zu lösen. Das aber in einer Art gesellschaftlichem Konsens und nicht auf Grundlage des Willens einer einzigen Partei. Wir respektieren natürlich das Wahlergebnis, aber die Bildung darf doch nicht von einer politischen Gruppe vereinnahmt werden und sich nach dem Wahlkalender richten. Denn man kann sich ja vorstellen, dass nach der nächsten Wahl vielleicht eine andere Partei herrscht. Und die hat vielleicht eine völlig andere Vorstellung vom Schulsystem. Und dann ändern wir das alle vier Jahre? Das ist doch absurd.

Was kritisieren Sie konkret?

Das Gimnazjum, die vierjährige Mittelschule, verschwindet. Dafür wird es eine achtjährige Grundschule geben, nach dem Vorbild aus Zeiten, zu denen ich zur Schule gegangen bin und ein Großteil der polnischen Bevölkerung. Das ist das System aus der Volksrepublik. Und das soll das Maß der Dinge sein? Das Argument für die Bildungsministerin ist, dass die achtjährige Grundschule doch eine gute Schulform war, die sich bewährt hat, sie war in der Nähe des Wohnortes. Aber das sind sentimentale, historische Argumente und keine sachlichen. Es geht doch nicht, dass 15-Jährige zusammen mit Siebenjährigen zur Schule gehen. Wenn man auf die psychische Entwicklung eines Kindes schaut, ist das doch nicht sinnvoll. Die Kinder von heute ticken doch anders als die von vor 30 Jahren.  

Werden alle Arbeitsplätze erhalten bleiben?

Die Bildungsministerin hat uns versprochen, dass kein Lehrer seinen Job verliert, weil ja schließlich die Zahl der Schüler dieselbe bleibe. Aber das ist kein sachliches Argument, wie wir finden. Denn es werden vor allem Schulen auf dem Dorf geschlossen. Und viele Klassen werden aus wirtschaftlichen Gründen zusammengelegt werden. Da braucht man einfach weniger Lehrer.

Die neue Schulform soll schon ab September 2017 anlaufen. Ist das realistisch?

Fragen Sie mal die Finnen, wie lange die an ihrer Schulreform gearbeitet haben. Fast 30 Jahre! So eine Änderung braucht Bedenkzeit und auch Leute. Ich würde mir wünschen, dass über so eine Reform diskutiert wird. Aber ich habe den Eindruck, dass die derzeitige Mehrheit im Parlament der Meinung ist, dass man das jetzt aus Prinzip durchbringen muss, um Wahlversprechen einzuhalten, ohne die Folgen zu bedenken. Wir haben gar keine Lehrbücher, keine Lehrpläne. Und die schreibt man auch nicht in zwei, drei Monaten. Außerdem muss das koordiniert werden. Am Ende leiden die Schüler darunter. 

Sie sagten, das polnische Bildungssystem hat viele Probleme. Welche genau?

Wir haben generell das Problem im Moment, dass in polnischen Schulen sehr viel Wert auf die sogenannte "national-patriotische Bildung" gelegt wird. Also, Geschichte, polnische Sprache. Aber wir widmen den Naturwissenschaften sehr wenig Zeit. Wir hätten natürlich gerne, dass die polnischen Schüler mehr Zeit mit Physik, Chemie, Informatik und Mathematik verbringen. Das ist wichtig in der heutigen Welt. Aber wir sehen, dass es in die andere Richtung läuft.  

Polens Schulsystem heute und die Reformpläne für 2017

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