Tschechien Viele Schlösser darben und stehen zum Verkauf

14. Oktober 2016, 18:56 Uhr

Wer die Tschechische Republik zum ersten Mal bereist, ist von der großen Zahl der dortigen Burgen und Schlösser überrascht, ebenso von ihrer harmonischen Einbettung in der Landschaft und der Vielfalt der Kunststile. Die Tschechen sagen: Wir haben zwar kein Meer, wir haben aber Kulturdenkmäler. Doch der Segen ist zugleich auch ein Fluch.

Rund 2.125 Schlösser und Burgen gibt es in Böhmen und Mähren. Nur 113 davon sind in staatlicher Hand und gut in Schuss. Etwa 700 gehören den Gemeinden, der Rest Einzelpersonen. Doch die kommunalen und privaten Eigentümer haben oft nicht das nötige Geld, um die Baudenkmäler zu erhalten.

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Die Immobilienmaklerin Natalia Makovik schlägt Alarm: "Wenn wir weiter so machen wie bis jetzt, werden 90 Prozent der Schlösser innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte unwiederbringlich verloren sein." Sie muss es wissen – seit über zehn Jahren bringt sie solche Edelimmobilien an den Mann oder die Frau. "Das Kulturministerium hat berechnet, dass rund 318 Milliarden Kronen für die Sanierung der baufällig gewordenen Baudenkmäler nötig wären", sagt Makovik. Der tschechische Staat und die EU würden dafür jährlich rund zwei Milliarden Kronen bereitstellen. "In diesem Tempo bräuchten wir 150 Jahre, um sie zu retten", seufzt Makovik.

Als Ausweg aus der Misere würde sie eine allgemeine Schlosssteuer begrüßen. "Wenn jeder tausend Kronen im Monat beisteuern würde, würden wir im Nu alle Schlösser saniert haben", sagt sie. Doch das ist natürlich wenig realistisch, und so geht sie einen anderen Weg und versucht, für die ehrwürdigen Gemäuer vermögende Käufer zu finden, die dort entweder ihren Wohnsitz nehmen oder eine Geschäftsidee verwirklichen wollen.

Doch die Mentalität steht der Rettung der alten Bausubstanz oft im Wege, beklagt Makovik. "Hier herrscht so ein bolschewistisches Vorurteil, dass Schlösser und Burgen Volkseigentum sein müssen, das allen gehört, und dass sie nur als Museen und Kunstgalerien genutzt werden können", sagt sie. Deshalb sträubten sich die Kommunen, das vermeintliche Tafelsilber zu verkaufen, selbst wenn sie für dessen Unterhalt und Sanierung kein Geld hätten und jedes unvorhergesehene Ereignis, etwa ein eingestürztes Dach, das Schloss in eine völlige Ruine verwandeln könne.

"Überall in der Welt sind Schlösser exklusive Immobilien, die sich nur die Reichsten leisten können. Nur in Tschechien sind das verwahrloste Bauten, um die sich irgendwelche Bürgerinitiativen kümmern. Doch historisch gesehen gehörten sie immer der Aristokratie oder Neureichen. In Museen wurden sie erst nach dem Ersten Weltkrieg umgewandelt." Die Maklerin ist sich sicher: Die Hand eines reichen Eigentümers kann einem Schloss nur gut tun. "Schlösser gehen ohne Menschen zugrunde, sie brauchen einen Eigentümer, der täglich lüften und heizen wird, damit kein Schimmel reinkommt. Kinder müssen in den Zimmern spielen, es muss Leben in die Bude!"

Woher kommt der Schlösser-Segen?

Den Schlösser-Segen hat Tschechien zum einen sicherlich seinen natürlichen Reichtümern zu verdanken, man denke nur an die Silbervorkommen von Kuttenberg und Joachimstal – in einem so reichen Land war immer Geld für kostspielige Bauprojekte vorhanden. Zum anderen spielt auch die wechselhafte Geschichte des Landes sicherlich eine Rolle mit vielen Umbrüchen und Wendepunkten, die dazu führten, dass immer wieder neue Adelsresidenzen entstanden.

Einer dieser Umbrüche waren die Hussitischen Kriege zwischen Protestanten und Katholiken. Die Protestanten hatten verloren und mussten das Land verlassen, das wieder – gewaltsam – rekatholisiert wurde. Die Güter der Adligen, die auf der falschen Seite standen, wurden enteignet und an andere Adelsgeschlechter verteilt. Dieser Neuadel setzte sich aus Abenteurern aus allen möglichen katholischen Ländern Europas zusammen. Durch die gewaltige Neuverteilung entstanden Latifundien, die riesige Gewinne abwarfen und den Bau neuer Schlösser möglich machten. Und natürlich dachte der Neuadel im Traum nicht daran, die Häuser der vertriebenen Vorgänger zu beziehen, sondern baute neue, eigene Residenzen.

Einen regelrechten Schlösser-Boom gab es auch in der Barockzeit im 17. und 18. Jahrhundert. Damals leistete sich fast jeder Adlige, mochte er noch so unbedeutend sein, ein Schloss, auch wenn dieses manchmal sich nur wenig von einem besseren Bauernhof unterschied.

Eine weitere Blütezeit kam im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Romantik. In einer sich rasch ändernden Welt suchten die Menschen nach Halt, den ihnen die Rückbesinnung auf die "guten alten Zeiten" gab. Die Vergangenheit wurde verklärt und viele Burgen wurden in einem historisierenden Stil aufgehübscht, bekamen neue Fassaden, Türme und Türmchen. Gelegentlich gab es auch komplette Schlossneubauten im historisierenden Stil, zum Beispiel der Neugotik.

Die ab Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung (Böhmen war die industrielle Hochbug der k.u.k-Monarchie) lieferte einen zusätzlichen Impuls. Zum einen, weil sich die alten Adelsgeschlechter gegen die zu Geld gekommenen Emporkömmlinge aus dem Bürgertum abgrenzen wollten – was sie u.a. durch eine historisierende Bauweise ihrer Residenzen taten. Zum anderen aber auch, weil dank der Industrialisierung wieder einmal große Vermögen entstehen konnten, die den kostspieligen Bau von Schlössern ermöglichten. Denn anders als zum Beispiel in Preußen oder Russland, wo der Adel nach wie vor eher von der Landwirtschaft lebte, gingen die tschechischen Adligen mit der Zeit und gründeten auf ihren Besitzungen auch Manufakturen und industrielle Unternehmen.