Interview "Toni Erdmann nicht politisch genug"

25. Februar 2017, 11:14 Uhr

Die rumänische Co-Produzentin des Films "Toni Erdmann", Ada Solomon, über die Oscar-Verleihung in Los Angeles und warum der deutsche Streifen in Rumänien gedreht wurde.

Der Film "Toni Erdmann" ist zu knapp 90 Prozent in Rumänien entstanden - vorrangig in Bukarest. Hätte er auch in jeder anderen Großstadt gedreht werden können?

Ja und Nein. Das Drehbuch hätte sicher zu vielen Metropolen gepasst. Doch als sich Regisseurin Maren Ade entschieden hatte, den Film in Rumänien zu drehen, ist Bukarest Teil der Geschichte geworden. Wie ein Schauspieler einem Film seine eigene Note gibt, geschieht das auch mit einem Ort. Er gibt dem Film eine bestimmte Richtung, eine Farbe, einen bestimmten Zustand. Toni Erdmann wäre anders geworden, wäre er nicht in Rumänien entstanden.

Warum fiel die Wahl aber auf Bukarest?

Ich hoffe sehr, dass Regisseurin Maren Ade vom Reiz der Stadt und ihrer Einwohner überzeugt war. Bukarest ist ein Klein-Berlin. Beide Hauptstädte befinden sich im Wandel, haben dieselbe Energie, Frische, diesen Lebenshunger. Zudem bietet Bukarest eine Mischung aus Luxus, Armut und Halbwelt, die bestens zur Geschichte passte. Natürlich lebt Protagonistin Ines Conradi (alias Sandra Hüller) als Unternehmensberaterin in ihrer eigenen Blase, die Realität der Stadt kennt sie kaum. Die aber fängt Regisseurin Maren Ade für die Zuschauer ein.

Zum Beispiel in der Szene, in der Toni Erdmann und seine Tochter in Handschellen zu einem Marktplatz fahren, wo sie von gewieften Handwerkern befreit werden.

Die Szene steht für die Praxisnähe der Rumänen. Wir finden immer einen Ausweg. Wir sind ein Volk aus Lebenskünstlern, die immer eine Lösung finden - manchmal auch auf unorthodoxe und unübliche Weise.

Die Protagonistin arbeitet für ein westliches Outsourcing-Projekt. Ständig geht es um Optimieren, fernab menschlicher Dramen. Ist der Film eine Kapitalismuskritik?

Ada Solomon
Bukarester Produzentin: Ada Solomon Bildrechte: Silvie Ghethie

Aber natürlich! Das macht den Film auch außergewöhnlich. Es gibt mehrere Erzählstränge. Es geht um eine Vater-Tochter-Beziehung, um Gefühle. Es geht aber auch um die Frage nach der Karriere, und wie viel wir dafür opfern sollten. Es geht auch um die Frage nach dem sozialen Gleichgewicht in einer Gesellschaft, und wann es droht, zerstört zu werden. Der Film spricht viele wichtige soziopolitische Aspekte an.

Wie stark mussten die Drehorte verändert werden, damit sie für den Film passend waren?

Fast gar nicht. Regisseurin Maren Ade ist über drei Jahre lang immer wieder nach Bukarest gefahren, um sich Orte anzusehen, an denen der Film spielen könnte. Sie kennt die Stadt besser als manch Einheimischer. Wir haben zusammen Schauplätze gesucht, an denen die Essenz von vier, fünf anderen Orten steckte, und die wir nicht oder nur geringfügig verändern mussten. Hinzu kommt, dass Maren Ade den frischen Blick auf die Dinge hat, die für uns Bukarester eine Banalität sind.

Was meinen Sie konkret?

Die Szene, in der sich Toni Erdmann im Kukeri-Kostüm und seine Tochter in den Armen liegen. Sie ist ist in einem Park gedreht, wie banal könnte man meinen. Doch dieser Park ist der Bauchnabel von Bukarest. Drumherum herrscht ein infernaler Verkehr und Höllenlärm. Man fragt sich immer, wie die Natur dort überleben kann. Gegenüber steht ein riesiges Kaufhaus, das es schon in der Ceausescu-Zeit gab. Heute ist dessen kommunistischer Stil mit kitschiger Werbung überdeckt. Dass die beiden Protagonisten inmitten der Natur und im trügerischen Glanz einer Konsumgesellschaft stehen, erzählt mehr als tausend Worte.

Der deutsche Film "Toni Erdmann" ist made in Romania. Ihr Land hat sich aber nicht an einer finanziellen Förderung beteiligt. Warum nicht?

Das schmerzt mich heute noch, dass der Streifen zwar viel von meinem Land erzählt, aber keine rumänische Filmförderung erhalten hat. Es scheiterte an formellen Dingen. Die Jury der rumänischen Nationalen Filmförderung CNC entschied, dass der rumänische Anteil am Film nicht ausreichend sei. Das ist natürlich grotesk für einen Film, der zu 90 Prozent in Rumänien gedreht wurde und in dem über 20 rumänische Schauspieler auftreten. Hier müsste unser Filmgesetz abgeändert und stärker auf internationale Produktionen ausgerichtet werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist derzeit im rumänischen Parlament.

Hollywood will den Film noch einmal nachdrehen, mit Jack Nicholson in der Hauptrolle. Was halten Sie von der Idee?

Regisseurin Maren Ade und Schauspieler Peter Simonischek
Pause bei den Dreharbeiten in Bukarest: Regisseurin Maren Ade neben Schauspieler Peter Simonischek Bildrechte: microFilm

Ich kenne kein Remake, das den Erfolg und das Kaliber des Originals erreicht hätte. Deshalb habe ich einerseits eine gewisse Zurückhaltung. Andererseits würde es mich natürlich freuen, Jack Nicolson in der Hauptrolle zu sehen. Es ist bislang unklar, wo das Remake gedreht wird. Es kann natürlich sein, dass die US-Amerikaner, wenn sie die Steuersätze vergleichen, nicht Rumänien wählen, sondern nach Tschechien oder Ungarn gehen.

Am Sonntag geht der deutsche Film um den Oscar in der Kategorie "bester fremdsprachiger Film"  ins Rennen. Hat er Chancen?

Künstlerisch gesehen hat er alle Chancen. Doch ich befürchte, dass der Film nicht politisch genug ist.

Worauf spielen Sie an?

US-Präsident Donald Trump hat Anfang Januar per Dekret ein Einreiseverbot für sieben muslimische Länder verhängt, das von einem Bundesgericht vorerst gestoppt wurde. Das Verbot betrifft auch den Iran. Ich bin mir nahezu sicher, dass die Jurymitglieder ein politisches Zeichen gegen Trump setzen wollen und das Drama "The Salesman" des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi mit dem Oscar auszeichnen.

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Der deutsche Film "Toni Erdmann" geht am Sonntag in Los Angeles ins Rennen um den Oscar. Doch ist der Film auch stark rumänisch geprägt.

Fr 24.02.2017 18:04Uhr 00:31 min

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Sie bereiten sich also seelisch darauf vor, dass "Toni Erdmann" leer ausgeht?

Wissen Sie, ob mit oder ohne Oscar, dieser Film hat bereits alle unsere Erwartungen übertroffen. Es ist wunderbar, welche Kritiken er bekommen hat, welch großes Publikum er erreicht. Unsere Erfüllung misst sich nicht an Trophäen, sondern an der weltweiten Anerkennung, dass wir einen guten und wertvollen Film gedreht haben. Einen Film, der aus dem kollektiven Bewusstsein nicht so schnell verschwinden wird, und das bei einer weltweiten Konkurrenz von jährlich rund 8.000 Langspielfilmen.

Ada Solomon Die Filmemacherin wurde 1968 in Bukarest geboren, war an der Produktion zahlreicher Spielfilme beteiligt, darunter auch am rumänischen Film "Die Stellung des Kindes". Der Streifen gewann 2013 auf der Berlinale den Goldenen Bären. Beim Film "Toni Erdmann" war sie als Co-Produzentin "Mädchen für alles". Die Oscar-Verleihung verfolgt sie Sonntagnacht mit dem rumänischen Filmteam vor dem Fernseher in Bukarest.

(Interview zuerst veröffentlicht am 24.02.2017)