Schrifsteller Markas Zingeris.
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Unsere Engstirnigkeit ist die eigentliche Gefahr

28. März 2017, 13:34 Uhr

Dass es in Litauen Sprachbehörden gibt, die über die Reinheit der Sprache wachen, kritisiert Markas Zingeris, Schriftsteller und Leiter des Vilniuser Jüdischen Museums. Die Behörden seien Feinde der lebendigen Kultur.

Wieso brauchen wir in Litauen zwei Sprachbehörden? Eine von ihnen darf sogar Strafen aussprechen. Dergleichen ist in Europa eher unüblich...

Leider haben die Intellektuellen, die im sowjetischen System erzogen wurden, einen absurden Hang zum Masochismus – es scheint, sie wollen kontrolliert, kommandiert und gequält werden. Kommissionen, Behörden und Institutionen, die verbieten und damit den Sprachprozess lähmen und standardisieren, sind Feinde einer lebendigen Kultur.

Was stört Sie am meisten?

Das Schlimmste ist diese ideologische Sturheit, dass es unbedingt ein reines Litauisch sein muss. Aus der psychologischen Sicht ist das eine offensichtliche "aggressive defense". In der Linguistik führt das zum Purismus – wird aber oft zum puren Idiotismus. Ein Beispiel: Man darf das Wort Popcorn nicht benutzen, man hat stattdessen ein neues litauisches Wort eingeführt. Aber das ist doch etwas ganz anderes, denn das Wort Popcorn hat eine viel breitere Semantik – es schließt auch Popcorn-Kino und Popcorn-Magazin ein. Wenn wir nur pur nach der einer Bedeutung übersetzen, verliert das Wort seine Magie, seinen Magnetismus, es verblüht und stirbt.  Die Hüter der Sprache sind Spielverderber, sie nehmen den Schriftstellern und den Journalisten ihre Spielinstrumente weg. Für den Belletristik-Autor ist die flimmernde Wort-Aura, die ihm mit verschiedenen Bedeutungen zu spielen erlaubt, sehr wichtig. Deshalb darf man nicht alles mit einem standardisierenden Lineal abmessen. Aber es gibt diese Instruktionen, man muss zum Beispiel ausländische Wörter kursiv schreiben, als würde man sagen 'das ist Slang, das war ich nicht'. Wenn es im XVI. Jahrhundert eine solche Sprachbehörde in Frankreich gegeben hätte, hätte es auch keinen François Rabelais gegeben. Oder auch keinen William Shakespeare in England, der Tausende von neuen Wörtern in die englische Sprache gebracht hat.

Wie war Ihre eigene Erfahrung mit der Sprachbehörde?

Zum Glück habe ich immer mit guten Buchredakteuren gearbeitet. Aber einige Erfahrungen habe ich doch gesammelt. Ein Protagonist in einem meiner Bücher ist ein Oligarch aus Moskau. Es ist schon klar, dass er anders als ein armer Mann aus einem litauische Dorf redet. Um ihn darzustellen, musste ich einen bestimmten Slang benutzen. Und den Slang muss man laut geltender Vorschriften kursiv schreiben. Aber wie hätte mein Buch dann ausgesehen? Wie ein Grammatiklehrbuch. Grauenhaft!

Also haben Sie die Vorschriften missachtet...?

Ja, ich leistete Widerstand, obwohl meine Redakteure mich warnten, dass der Verlag theoretisch bestraft werden könne - die Strafe kann 430 Euro betragen.

Aber sowohl die Sprachkommission als auch die Sprachinspektion behaupten, dass ihre Rolle durchaus dramatisiert wird, denn sie bestrafen so gut wie nie. Letztes Jahr gab es nur eine einzige Verwarnung. Die Kritik funktioniere, so sagte die Leiterin der Behörde unlängst, für sie frei nach einem berühmten Zitat des russischen Regisseurs und Schauspielers Konstantin Stanislawski: "Wenn ein Schießgewehr an der Wand hängt, wird es auch mal schießen."

Wieso muss überhaupt mit einer Geldstrafe gedroht werden? Und wozu ist dieses Schießgewehr überhaupt da? Wenn ein Schießgewehr da ist, nutzt man es, um der Schafherde Angst einzujagen. Man denkt, die Gesellschaft brauche das Gefühl, dass da stets ein Gewehr auf sie gerichtet ist. Und in diesem Fall wird dieses Gewehr auch noch aus der Tasche der Steuerzahler bezahlt. Wieso eigentlich? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin kein Anarchist, aber ich bin durchaus der Meinung, dass die Kommision einem Schriftsteller zuhören muss und nicht umgekehrt!

Muss man aber nicht doch vorsichtig eingreifen, zum Beispiel wegen den vielen Anglizismen, die die Sprache beeiflussen...?

Die Sprache ist lebendig und wenn sie magisch und verzaubernd ist, wird keine Konkurrenz ihr schaden können. Aber wenn wir die Sprache wie Ärzte und Erzieher zu hüten und zu beschützen trachten, dann wird sie in einem Souvenirladen oder einem Kitschmuseum landen, wie ein toter Artefakt.

Das heißt, die Behauptung, dass die litauische Sprache in Gefahr ist, halten Sie für übertrieben?

Ja, genau wie die Panik, dass auch Litauen ständig in Gefahr ist. Die Gefahr besteht zwar, aber sie kann uns von einer ganz anderen Seite erwischen, als wir erwarten. Eben wegen unserer eigenen Engstirnigkeit. Die größte Gefahr ist der Mangel an Selbstvertrauen, Kurzsichtigkeit, Kleingeistigkeit und das ewige Lamento, Litauen sei in Gefahr.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch am 26. 03. 2017