Buchstadt-Chronik: 1990-2000 Desillusionierung und Neuorientierung

25. Januar 2011, 18:35 Uhr

1990

Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland werden die Deutsche Bücherei Leipzig und die Deutsche Bibliothek Frankfurt (mit dem Deutschen Musikarchiv Berlin) vereinigt - unter dem Namen "Die Deutsche Bibliothek", mit Hauptsitz in Frankfurt/Main.

Die in Leipzig ansässigen (Mutter-) Firmen der deutsch-deutschen Doppel-Verlage wie Insel, Reclam, Peters, Brockhaus, Bibliographisches Institut usw. verlieren ihre Selbständigkeit, werden von den gleichnamigen westdeutschen Verlagen übernommen bzw. von der Treuhand privatisiert. Das Spektrum reicht dabei von "feindlicher Übernahme" bis hin zu beiderseits nützlicher Kooperation.

Der Leipziger Brockhaus-Verlag wird 1992 restituiert und wird unter dem Dach der "Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG" Mannheim weitergeführt. Die Lexikon- und Wörterbuchredaktion in Leipzig beschäftigt 40 Mitarbeiter. Ebenfalls 1992 wird der Leipziger Reclam Verlag vom Reclam Verlag in Ditzingen bei Stuttgart übernommen. Aus der früheren Ost-Universalbibliothek wird, mit verändertem Programm, die "Reclam-Bibliothek Leipzig".

Die sächsische Landesregierung beschließt die Auflösung des Literaturinstituts "Johannes R. Becher". Proteste von Studenten, namhaften Literaten und Publizisten wie Hans Mayer oder Walter Jens zwingen das Kabinett zum Einlenken. Das "Deutsches Literaturinstitut der Universität Leipzig" wird neu gegründet und nimmt 1995 den Lehrbetrieb auf. Zugangsvoraussetzung ist Talent, nicht Abitur. Vermittelt werden Literaturtheorie und -geschichte, zugleich eine möglichst professionelle Schreibkompetenz. Das Institut bietet als einziges im deutschen Sprachraum eine universitäre Schriftstellerausbildung.

1991

Vereinigung des "Börsenvereins der deutschen Buchhändler zu Leipzig" mit dem Frankfurter "Börsenverein des Deutschen Buchhandels" - unter dessen Namen und mit Sitz in Frankfurt. Der nun gesamtdeutsche Börsenverein wird "ideeller Träger" der Leipziger Buchmesse.

Der weltweit einzigartige Leipziger Wettbewerb "Schönste Bücher aus aller Welt" wird von der Stiftung Buchkunst (mit Doppelsitz in Frankfurt und Leipzig) weitergeführt. Jährlich werden während der Leipziger Buchmesse die "Goldene Letter" als höchste Auszeichnung, sowie weitere 13 Medaillen und Ehrendiplome verliehen.

Erstmals findet parallel zur Buchmesse das Festival "Leipzig liest" statt. Das Gemeinschaftsunternehmen mit dem Bertelsmann Club entwickelt sich in den nächsten Jahren zu einem der größten Lesefestivals in ganz Europa. Am Programm können sich alle Verlage beteiligen, die auf der Messe ausstellen.

November: Getragen von literarischen Vereinen und Verbänden sowie dem Kulturamt der Stadt findet erstmals ein "Literarischer Herbst" statt. Er steht künftig jedes Jahr unter einem anderen Thema und bietet sowohl den in Leipzig ansässigen Autoren als auch Gästen aus dem In- und Ausland ein Podium.

1993

Erstmals erscheint die Literaturzeitschrift "Edit". Sie präsentiert dreimal im Jahr neue deutschsprachige Prosa, Lyrik, Essayistik und Kritik von noch unbekannten wie auch von bereits etablierten Autoren. Sie engagiert sich für zeitgenössische Schreibweisen, die Vielfalt literarischer Formen und Erstübersetzungen ins Deutsche.

1994

Anlässlich der Leipziger Buchmesse wird erstmals der "Buchpreis zur Europäischen Verständigung" vergeben. Gestiftet wird er vom Freistaat Sachsen, der Stadt Leipzig und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

1996

Das Haus des Buches wird eingeweiht, errichtet vom Börsenverein auf dem Grundstück des 1943 zerstörten Buchhändlerhauses. Im Gebäude beziehen mehrere Leipziger Verlage Quartier, der Verband der Verlage und Buchhandlungen von Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt sowie das Leipziger Kulturamt. Literarische Vereine erhalten mietfrei Räume und organisieren dafür im Haus Ausstellungen und beinahe täglich Lesungen, Podiumsgespräche usw. Diese für Literaturhäuser in Deutschland einmalige Konstruktion sorgt für eine große Veranstaltungsvielfalt. Die Reihe "Literarische Landschaft" stellt das jährliche Gastland der Frankfurter Buchmesse in Leipzig vor.

Erstmals veranstaltet der MDR seinen Literaturwettbewerb um wird die beste noch unveröffentlichte Kurzgeschichte. Die von einer Jury anonym ausgewählten Endrunden-Teilnehmer treten in einem öffentlichen Wettlesen im Haus des Buches gegeneinander an. Von Jahr zu Jahr erhöhte sich die Teilnehmerzahl von 228 (1996) auf 2.027 (2006). Vor allem junge Autoren, darunter Studenten des Literaturinstitutes, beteiligen sich am Wettbewerb um Preisgeld, Publikation und Lesereise.

1998

Aus dem Zentrum für Bucherhaltung der Deutschen Bücherei geht als Ausgründung das "Zentrum für Bestandserhaltung GmbH" hervor. Spezialität des auf seinem Gebiet weltweit führenden Unternehmens ist die Entsäuerung von Büchern durch Papierspaltung. Kunden sind Bibliotheken, Archive und Museen aus Deutschland, Europa und den USA.

2000

Die Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände veranstaltet erstmals in Leipzig ihren Kongress "Bibliothek und Information" gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis. Künftig findet dieser Fachkongress alle drei Jahre im Vorfeld der Leipziger Buchmesse statt.

Neues Programmsegment auf der Leipziger Buchmesse ist das Hörbuch. 40 Aussteller, darunter alle ARD-Rundfunkanstalten, präsentieren sich bei "Leipzig hört". Die Messe entwickelt sich rasch zum wichtigsten nationalen Branchentreffpunkt der Hörbuchverlage.

2001

Gemeinsam mit der Buchmesse veranstaltet die ARD erstmals eine "Radionacht der Hörbücher", die in allen öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen live übertragen wird. Höhepunkt ist bis 2006 die Verleihung des Hörbuchpreises "HörKules". Als erster erhält 2001 der Schaupieler Rufus Beck den neuen Preis. Ausgezeichnet wird er als Hörbuch-Sprecher in "Harry Potter und der Stein der Weisen".

Über dieses Thema berichtet MDR KULTUR auch im ... Radio | 24.03.2017 | 12:40 Uhr