Foto von Lene Voigt
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Neue Erkenntnisse über die sächsische Dichterin Tom Pauls: Auf Lene Voigts Spuren in der Psychiatrie

17. Mai 2023, 15:34 Uhr

Kabarettist Tom Pauls bewundert Lene Voigt: Ihren Humor, ihren freien Geist und ihre Seelenstärke. Mit dem Buch "Meine Lene" hat er nun eine Liebeserklärung an die sächsische Mundart-Dichterin geschrieben, der er seine beliebteste Figur verdankt: Die renitente sächsische Rentnerin Ilse Bähnert.

Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit dem Autor und Journalisten Peter Ufer. Gemeinsam haben sie die Spuren Lene Voigts erforscht und auch den letzten Ort ihres Lebens besucht: das Alte Parkkrankenhaus Leipzig-Dösen. Anhand der aufgetauchten Krankenakte Voigts entdeckten Pauls und Ufer zum Beispiel auch ganz neue Erkenntnisse.

Das alte Parkkrankenhaus Dösen: Ein Wohnort von Lene Voigt in Leipzig
Das alte Parkkrankenhaus Dösen: Ein Wohnort von Lene Voigt in Leipzig Bildrechte: Conrad Weigert
Tom Pauls
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16 Jahre lebte Lene Voigt in Dösen - bis zu ihrem Tod. An diesem Ort kreuzt sich ihre Biografie mit der von Tom Pauls: Er wuchs ganz in der Nähe auf, und seine Urgroßmutter war zur gleichen Zeit wie Voigt Patientin in der Heilanstalt.

Das erste Mal ließ sich Voigt 1936 wegen einer Psychose behandeln, das war in Schleswig. Doch auch wieder in Leipzig angekommen, ließ die Krankheit ihr keine Ruhe. Am 11. Juli 1946 rief eine Frau von Bromsdorff - Lene Voigts Vermieterin - in der Universitätsnervenklinik Leipzig an. Man solle ihre Untermieterin sofort abholen:

Diese Frau schreit nachts in ihrem Zimmer herum, ja sie schreit und schlägt mit den Fäusten gegen die Wand. Einen meiner Stühle hat sie zerstört. Dass die das kann, so dürr wie die ist.

Zitat aus "Meine Lene"

Voigt wog zu diesem Zeitpunkt nur noch knapp über 38 Kilo, sie halluzinierte, tanzte im Kreis, murmelte unverständliche Sachen. Man diagnostizierte Schizophrenie. Bald darauf kam sie nach Dösen, in das damalige Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie. Als sich keine akuten Symptome mehr zeigten und ihr Arzt sie 1949 entlassen wollte, lehnte Voigt das ab:

Ich habe Bedenken, dem Leben mit seinen immer wechselnden Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Es gibt keinen mir so nahe stehenden Menschen mehr, der mich aufnehmen könnte. Bitte belassen Sie mich an diesem Ort, der mir Geborgenheit verspricht. Da draußen spüre ich nichts davon.

Lene Voigt | Zitat aus "Meine Lene"

Der neue Lebensmittelpunkt in der Psychiatrie

Voigt begann sich in der Heilanstalt einzurichten, so arbeitete sie als Botin zwischen den einzelnen Gebäuden des Krankenhaus-Komplexes. Und sie schrieb weiter; das Schreiben gab ihr Lebensmut. Ihre Gedichte schenkte sie den Bewohnern. Oft trat sie im Saal der Heilanstalt auf und las dort ihre Texte öffentlich vor - und machte damit sicher auch den Kranken Mut. Wo und in welchem Maß Voigt in Dösen ihre Texte vortrug, haben Tom Pauls und Peter Ufer erforscht.

Am Morgen des 17. Juli 1962 notiert der behandelnde Arzt von Lene Voigt nach dem Nachtdienst: 'Am 8.7.1962 kam es zu einem apoplektischen Insult, am 16.7.1962 trat plötzlich der Exitus letalis ein.'

Zitat aus "Meine Lene"

Lebensumstände, die krank machen

Porträt von Lene Voigt
Dichterin Lene Voigt Bildrechte: Lene-Voigt-Gesellschaft e.V./MDR

Der Tod war Voigts ständiger Begleiter: Sie verlor drei Brüder, ihr Vater beging Selbstmord, ihre Ehe scheiterte, ihr Geliebter starb - und auch ihr Kind. Dazu kam ab 1933 die Verfolgung der Nationalsozialisten, die ihre Bücher schmähten und ihr die Verschandelung der deutschen Sprache vorwarfen. Die Dichterin erhielt Publikationsverbot.

Ein gewisser Erich Rawolle, Lehrer und Volkskundler, unterstellt ihr sogar eine jüdische Sprachpflege und verglich das Sächsische mit dem Jiddischen. Noch zu DDR-Zeiten warf man ihr die Verunglimpfung der Klassiker vor, Voigt wurde tot geschwiegen und beinahe vergessen. Erst das Engagement der Leipziger Kabarettisten machte sie wieder lebendig.

Die Erinnerung an Lene Voigt

Am Ende seines Buches formuliert Tom Pauls einen Wunsch: Voigt möge im Gedächtnis der Leipziger weiterleben, doch das erfordert Engagement. In Dösen, wo demnächst ein Wohnpark entstehen soll, sollte es zumindest eine Gedenktafel geben, einen Hinweis auf die Geschichte des Ortes. Es sollte an die Opfer der Heilanstalt während der Nazizeit erinnert werden. Und schön wäre laut Pauls, eine "kleine Bibliothek einzurichten mit Büchern von Lene Voigt und Ringelnatz, Kästner und Bormann".

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | artour | 16. November 2017 | 22:05 Uhr

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