Theater Erfurt Premiere Jubelndes Publikum bei "Die Hochzeit des Figaro"

29. November 2021, 12:51 Uhr

Fast drohte Erfurts Neuinszenierung coronabedingt abgesagt zu werden und das ein zweites Mal. Vorgesehen war die Premiere bereits für 2020/21. Mit anderthalb Jahren Verspätung fand die Premiere nun mit großem Erfolg statt. "Le nozze di Figaro" - "Die Hochzeit des Figaro" von Mozart ist Teil des Opern-Tafelsilbers. Man kennt und liebt es schon lange. Es muss aber immer mal aufpoliert werden, damit es funkelt. Am Theater Erfurt ist das rundum geglückt.

Opulente Kostüme leicht angeschmuddelt

Regisseurin Martina Veh,  Momme Hinrichs (Ausstattung) und Torte Moller (Video) überschreiben die Geschichte nicht, sondern lassen sie in der Entstehungszeit, in der sie auf die Bühne kam. Zumindest auf den ersten Blick und in der Anmutung der Kostüme und der Räume. Natürlich alles mit einem Blick von heute aus. Und darauf, dass das alles "nur" Theater ist. Jeder hat noch etwas weiße Schminke im Gesicht. Die opulenten Kostüme und die Perücken sind zwar aus der Rokoko-Abteilung, aber zur Kenntlichkeit entstellt. Susanna etwa trägt eine Minivariante von Reifrock (so wie Simone Kermes bei Ihren Soloauftritten). Das vorherrschende Rosa ist durchweg angeschmuddelt. Es wird auch nicht mit der Feder geschrieben, sondern mit einer klappernden Schreibmaschine.

Ironie mit Augenmaß

Die deutschen Übertitel liefern Susannas Rechtschreibfehler und deren Korrektur gleich mit -  das ist einer der charmanten kleinen Späße. An der Rampe liegen zwei Müllsäcke - warum auch immer. Auch die Aktenordner sind aus der Gegenwart geborgt. Das ist eine mit leichter Hand eingebaute Ironie mit Augenmaß. Dazu kommt eine Bewegungschoreografie, die - da, wo es passt - der Geste der Musik oder deren Übermut folgt, also auch surreale Momente liefert. 

Ein üppiges Schloss als Bühne

Die Bühne besteht aus verzierten Wänden eines üppigen Schlosses, die sich erst im Video, dann real ziemlich variabel verschieben und sich je nach Bedarf im Handumdrehen zu Kabinetten oder Sälen verändern lassen. Nicht nur mit unsichtbaren Türen, sondern auch mit etlichen diversen Schrankbetten. Für Auf- und Abtritte kommt man aber auch aus einer Bodenklappe. Einmal seilt sich Figaro sogar von der Decke ab. 

Hier entfaltet sich also das Intrigenspiel, mit dem Graf Almaviva sein "großzügiges" Abrücken vom Recht der ersten Nacht (mit der Braut des Dieners) heimlich umgehen will. Was von einem breiten Bündnis verhindert wird, und den Grafen am Ende als doppelzüngigen Fremdgeher entlarvt. Aber es ist eben nicht nur das Wer-mit-Wem, sondern auch das beginnende Rumoren eines Wer-gegen-Wen. Als der Graf im dritten Akt mitbekommt, dass er hintergangen werden soll und er sich vor Wut in Rachefantasien gegen seinen Diener steigert ("Vedrò, mentr’io sospiro"), marschieren hier alle (vor seinen und unseren Augen) auf. Das wirkt schon ziemlich bedrohlich.  

Der traurigste Moment

Einen der berührendsten Momente steuert die blutjunge Barbarina ("L’ho perduta… me meschina") bei wenn sie die verlorene Nadel beklagt, die sie Susanna zurückbringen soll. Es ist der traurigste Moment der Oper, wenn sie mit Blut an der Innenseite ihrer Schenkel dasteht, verstört diese Klage anstimmt und Marcellina das mit viel Mitgefühl (und offensichtlich eigener Erfahrung) anhört. Mit einer verlorenen Nadel hat das nichts zu tun. Hier war aus dem Spiel mit dem Kokettieren blutiger Ernst geworden. Mag sein, dass es der weibliche Blick der Regisseurin ist, der hier nicht die gesungenen Worte illustriert, sondern eine dahinter stehende Andeutung offenlegt. 

Zwischen Spaß und Ernst

Die Balance zwischen Komödie und Tanz auf dem Vulkan gelingt meistens. Am Ende, nachdem die Gräfin ihrem Mann offiziell verziehen hat, bricht nicht nur die übliche allgemeine Orientierungslosigkeit aus, sondern es stürzt sogar der Himmel ein. In einer martialischen Öffnung in der sich absenkenden Glasdecke verschwinden nicht nur das Grafenpaar und die frisch Verheirateten, sie gehen gleichsam in Rauch auf. Dass hier etwas grundsätzlich nicht mehr stimmte und auf eine Katastrophe zulief, hatte man da schon begriffen. Aber der kleine Tick zu viel gehört halt dazu, wenn man sich eines Werkes mit Leidenschaft und Ehrgeiz annimmt. So wie die Gräfin und Susanna sich bei der Verkleidungsszene so handgreiflich über Cherubino hermachen und beim Auspacken schon beim gut gefüllten Gold-Slip angekommen sind, als endlich der Graf anklopft und dieser Übergriffigkeit (aus der Rubrik "MeeToo verkehrt") ein Ende setzt.  

Federnder Mozartklang

Szenisch also Opulenz mit doppeltem Boden. Musikalisch lieferte der mit dem Orchester seit Jahren vertraute Samuel Bächli am Pult mit dem Philharmonischen Orchester einen federnden Mozartklang, der das Komödiantische bediente und zugleich in Momenten des Innehaltens oder der Verzweiflung den Protagonisten den Raum ließ, sich zu entfalten. Dass hier ein aufeinander eingespieltes Team am Werke war, gehörte zu den großen Vorzügen des Abends. Daniela Gerstenmeyer als gewiefte, aber auch zartfühlige Susanna und der wie immer souveräne Máté Sólyom-Nagy als reifer Figaro glänzen ebenso wie Siyabulela Ntlale als Graf und Elbenita Kajtazi als Gräfin. Florence Losseau ist ein wunderbarer Cherubino und Kakhaber Shavidzes und Katja Bildt der pure Luxus als Bartolo und Marcellina. 

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Drei Männer und eine Frau sitzen an einem Tisch und diskutieren.
Im Podium: Guy Montavon, Generalintendant des Theaters Erfurt (v.l.n.r), Andreas Bausewein, Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, Anica Happich, Schauspielerin und Kulturaktivistin und Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringens und Gründungsmitglied der Gesellschaft der Theaterfreunde Erfurt Bildrechte: MDR / Antje Kirsten

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 29. November 2021 | 08:40 Uhr

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