Energiepolitik Demo in Leipzig - Linke und Rechte protestieren gegen hohe Kosten und Energiepolitik

06. September 2022, 15:15 Uhr

Die Bundesregierung hat ein weiteres Entlastungspaket angkündigt. Ungeachtet dessen wurde in Sachsens Großstädten gegen die Energiepolitik und gestiegene Kosten protestiert. Mobilisiert hatten linke und rechte Bündnisse. In Leipzig hat ein Großaufgebot der Polizei beide politischen Lager weitgehend voneinander ferngehalten. Reporter beschrieben die Stimmung als geladen. Es gab Auseinandersetzungen - am Tag danach auch verbaler Natur: zwischen Sachsens Innenminister Schuster (CDU) und der Linken.

Mehrere tausend Menschen haben Montagabend nach MDR-Reporterangaben in Leipzig auf unterschiedlichen Kundgebungen gegen die Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung protestiert.

Beide politischen Lager versammelten ihre Anhänger in der Innenstadt auf dem Augustusplatz und riefen auf den Demonstrationen einen "Heißen Herbst" aus. Die Proteste richteten sich gegen die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte am Wochenende angekündigt, Bürgerinnen und Bürger mit Hilfen im Wert von 65 Milliarden Euro zu entlasten. Die Demonstrierenden halten das für unzureichend.

Linke ruft "Heißen Herbst gegen soziale Kälte" aus

Unter das Motto "Heißer Herbst gegen die soziale Kälte" hatten die Linken ihre Demonstration gestellt. Auf dem Augustusplatz vor der Oper sprachen Parteichef Martin Schirdewan und der frühere Fraktionschef und Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi. Sie warfen der Bundesregierung eine Mitschuld an den sehr hohen Energie- und Lebensmittelpreisen vor und forderten wirksame Entlastungen.

Gysi bemängelte, die Hilfspakete der Bundesregierung seien nicht durchdacht. Außerdem kritisierte er die deutschen Waffenlieferungen scharf. Deutschland habe aufgrund seiner Geschichte nicht das Recht, jemals wieder an Kriegen zu verdienen, sagte er.

Pellmann fordert Stopp der Gasumlage und Preisdeckel für Gas

Der Leipziger Linken-Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann sagte, es werde ein massiver ÖPNV-Ausbau benötigt. Aktuelle Fahrpreise würden Menschen davon abhalten, den öffentlichen Verkehr zu nutzen. Subventionen für den Autoverkehr sollten abgeschafft werden.

Pellmann forderte zugleich, Straffreiheit für Schwarzfahrer und Schwarzfahrerinnen. Außerdem forderte er einen Stopp der Gasumlage, einen gesetzlichen Deckel auf Gas- und Strompreise und eine Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel.

Rechte wollen über den Ring ziehen

Daneben gab es sechs weitere angemeldete Kundgebungen von links und rechts, darunter auch von der rechtsextremen Partei "Freie Sachsen" und der AfD. Diese schlossen sich mit Impfgegnern zusammen und versuchten, nach einer Kundgebung auf dem Augustusplatz, über den Leipziger Ring zu ziehen - nach dem Vorbild der Montagsdemonstrationen von 1989. Gegendemonstranten und Polizei blockierten den Zug, sodass die Demonstrierenden in der Nähe des Hauptbahnhofes umdrehten.

Polizei: Gewaltpotential erkennbar

Rechte Demonstranten beschimpften Polizisten als Volksverräter. Ein Polizeisprecher sagte, es sei auch gewaltbereite Klientel dabei gewesen, die die Konfrontation gesucht hätte. Es habe jedoch nur kleinere Auseinandersetzungen gegeben.

Ein MDR-Reporter berichtete von einer Auseinandersetzung auf dem Augustplatz. Ein Teilnehmer mit einer Deutschland-Flagge und ein Teilnehmer mit einer Antifa-Flagge seien aneinander geraten. Die Deutschlandflagge sei zu Boden geworfen und zerbrochen worden.

Die Linke versuchte sich optisch von den Rechten unter anderem mit einem großen Banner mit der Aufschrift "Es gibt keine Solidarität von rechts" abzugrenzen. Linken-Politiker wandten sich zudem in ihren Redebeiträgen gegen eine Vereinnahmung von Rechts. Zu Auseinandersetzungen kam es dennoch.

Ein Fotoreporter hat am Rande der Demonstration einen Tritt des selbsternannten "Volkslehrers" und Rechtsextremisten Nikolai Nerling dokumentiert. Nerling ist verurteilter Holocaustleugner und Antisemit. "Vor dem Tritt hat der andere Mann Nerling angespuckt. Die Polizei hat die Szene beobachtet, aber nichts unternommen. Nerling konnte weiter an der Demonstration teilnehmen", sagte der Reporter MDR SACHSEN auf Nachfrage zu seinen Beobachtungen.

Auch Rechte sprechen von "Heißem Herbst"

Bei den rechtsextremen "Freien Sachsen" traten unter anderem der frühere sachsen-anhaltische AfD-Politiker André Poggenburg, "Compact"-Gründer Jürgen Elsässer und der Chemnitzer Szeneaktivist Martin Kohlmann auf. AfD-Chef Tino Chrupalla sprach von einem "Wirtschaftskrieg" der Bundesregierung gegen Russland - ein Begriff, den auch die frühere Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht benutzt. Die "Freien Sachsen" sprechen auf ihrem Telegram-Kanal ebenfalls von einem "heißen Herbst" in Sachsen.

Planmäßiges Demo-Ende in Leipzig ohne größere Zwischenfälle

Die Polizei erklärte gegen 21:30 Uhr die Versammlungen für beendet. Die Teilnehmer zogen ab. Der Leipziger Polizeisprecher Olaf Hoppe sagte auf Nachfrage von MDR SACHSEN, dass Einsatz in der Stadt kein einfacher gewesen sei. Es sei versucht worden, die verschiedenen Lager zu trennen und die Bewegung der Aufzüge auseinanderzuhalten, so Hoppe. Nach aktuellem Stand habe es keine nennenswerten Zwischenfälle, aber kleinere "szenetypische Auseinandersetzungen" gegeben. Zehn Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls, Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Körperverletzung seien eingeleitet worden, so eine abschließende Mitteilung der Polizei.

Ein MDR-Reporter berichtete zudem in der Nacht zum Dienstag von einem erneuten Angriff auf die Polizeistation im linksgeprägten Stadtteil Connewitz im Süden von Leipzig.

Weitere Demonstrationen in Dresden und Chemnitz

Auch in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden demonstrierten am Montag hunderte Personen unter dem Motto "Frieden, freie Impfentscheidung, mehr Dialog um gesellschaftliche Spaltung zu überwinden". Einige Demonstrierende standen offenbar der rechtsextremen Partei "Freie Sachsen" nahe und schwenkten deren Fahnen.

Am Chemnitzer Schillerplatz versammelten sich nach Reporterangaben bis zu 2.000 Menschen. Sie zogen durch die Innenstadt und forderten neben dem Wegfall aller Corona-Beschränkungen, ein Ende des Kriegs, den "Stopp des Klimawahnsinns" und den Rücktritt der Bundesregierung.

Tweet von CDU-Innenminister Schuster sorgt für Fragezeichen bei Linken

Dienstagmorgen meldete sich Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) auf seinem Twitter-Account zu Wort. Er schrieb: "Wir haben den ersten montäglichen Gehversuch der @dielinke in #leipzig natürlich ermöglicht. Aber wäre es nicht fair, wenn die Parteiführung weitere solche Experimente in Ländern erprobt, in denen sie regiert." Das gebe tiefere 360-Grad-Einblicke, kommentierte Schuster.

Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, ordnete Schusters Kommentar als "merkwürdiges Demokratieverständnis" ein. Gebhardt schrieb in einer Mitteilung: "Demokratische Regierungen gewähren die Versammlungsfreiheit nicht als Gnadenakt, sondern sie müssen dieses Grundrecht sichern - unabhängig von parteipolitischen Präferenzen der Minister! Vielleicht sollte Herr Schuster noch einmal in der Verfassung nachlesen."

Demokratische Regierungen gewähren die Versammlungsfreiheit nicht als Gnadenakt, sondern sie müssen dieses Grundrecht sichern - unabhängig von parteipolitischen Präferenzen der Minister! Vielleicht sollte Herr Schuster noch einmal in der Verfassung nachlesen.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender Die Linke Sachsen

Auf dem Twitter-Kanal des sächsischen Innenministeriums folgte im Laufe des Vormittags ein weiterer Tweet, in dem Schuster zitiert wird - diesmal faktischer: Mehr als 70 Versammlungen habe es sachsenweit gegeben, mit mehr als 16.000 Menschen, die "ihren Protest gegen die aktuelle Energiepolitik der Bundesregierung zum Ausdruck" gebracht hätten. "Der gestrige Abend hat gezeigt", wird Schuster zitiert, "dass Proteste, bei denen Menschen in legitimer Weise von ihrer Versammlungsfreiheit Gebrauch machen, nicht automatisch mit Krawall enden müssen."

MDR (gri, swi)/dpa/epd

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 05. September 2022 | 19:00 Uhr

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