Reformation im Land der Atheisten Ein bisschen Luther steckt in jedem

Warum die Reformation auch heute aktuell ist

18. Januar 2018, 09:02 Uhr

Ob Protestant oder Katholik, Zweifler oder Atheist – ein bisschen Luther steckt wohl in jedem. Wer von "Barmherzigkeit", vom "Feuereifer" oder vom "Machtwort" spricht, verwendet damit Schöpfungen des wortgewaltigen Reformators, der mit seinem Sprachfuror das Deutsche geprägt hat wie kein anderer. Seine Kirchenlieder, die er vor 500 Jahren schuf, werden bis heute im Gottesdienst gesungen. Auch Traditionen wie das evangelische Pfarrhaus hat der entlaufene Mönch durch die Eheschließung mit Katharina von Bora begründet.

Ob Schulbildung oder Sozialfürsorge – die Reformation löste zahlreiche kulturelle Impulse aus. Doch ihre Nachwirkungen reichen noch weiter. Die Reformation formte auch die politische Landschaft.

So musste das gleichberechtigte Zusammenleben der Konfessionen in Deutschland in einem jahrhundertelangen Prozess mühsam ausgehandelt werden. Dabei kam es immer wieder zu Rückschlägen, ja zu verheerenden Konfessionskriegen.

Die Reformation, die "sparsamen Schwaben" und die "erfinderischen Sachsen"

Auch das Wort "Glaubenskampf" ist - vielleicht nicht zufällig - eine Wortschöpfung Martin Luthers. Doch nicht nur die heutige Balance zwischen den Konfessionen, auch das spezifisch deutsche Verhältnis von Kirche und Staat sind das Ergebnis von Entwicklungen, die der Rebell aus Wittenberg ausgelöst hat. Und schließlich lassen sich auch deutsche Mentalitätsunterschiede auf die Reformation zurückführen. So steckt hinter den Klischees vom erfinderischen Sachsen und dem sparsamen Schwaben, die beide vom protestantischen Arbeitsethos erfüllt seien, sicher auch ein Stück Erfahrungswirklichkeit.    

Luther konnte nicht ahnen, was er im Herbst 1517 auslöste, als er seine 95 Thesen zur Disputation verschickte – ob er sie tatsächlich an die Tür der Wittenberger Schlosskirche geschlagen hat, ist unter Forschern nach wie vor umstritten. Den Theologieprofessor trieb eine zentrale Frage um: "Wie kriege ich einen gnädigen Gott?", eine Frage, die den jungen Augustinermönch bis zur Verzweiflung gequält hatte.

Luthers Frage nach der Würde des Menschen bleibt aktuell

Doch so sehr Luther mit seinen Thesen zum Ablasshandel den Nerv seiner Zeitgenossen traf, so fremd ist den meisten Menschen heute diese Frage nach dem gnädigen Gott geworden - zumal jenen, die nicht an Gott glauben. Dabei ging es dem Reformator im Kern um ein zutiefst allgemeines Anliegen. Wie kann ein Mensch mit sich selbst in Einklang leben? Woher gewinnt er seinen Wert und seine Würde? In einer Gesellschaft, in der Menschen häufig auf ihre Leistung reduziert werden, hat diese Kernfrage, die Martin Luther aufgeworfen hat, nichts an Aktualität eingebüßt.

Aber auch die historischen Folgen seines rebellischen Handelns sind zu bedenken. Wie kann es passieren, dass Glaube gewalttätig wird? Wie steht es 500 Jahre nach der Kirchenspaltung um das Miteinander der Christen? Und wie ist es überhaupt um die Toleranz zwischen den Religionen bestellt? Diese Fragen sind zu bedenken, gerade auch mit Blick auf die muslimischen Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen. Die Reformation mit ihren Folgen ist auch im 500. Jahr nach dem Thesenanschlag Martin Luthers nicht abgeschlossen.  

Über dieses Thema berichtete MDR KULTUR im ... Radio | 31.10.2016 | 08:15 Uhr; 09:15 Uhr