Zwei Frauen
Welche Sünden bereuen wir heute noch? Oder hat das Modell der Sünde ausgedient? Bildrechte: Colourbox.de

Sinn- und Glaubensfragen Sünde und Gnade - alles überholt?

18. Januar 2018, 09:03 Uhr

Der Mensch ist ein Sünder, nur Gott kann ihn retten. Davon war der Reformator Martin Luther überzeugt. Doch ist seine Botschaft heute noch aktuell? Und wie ernst wird sie von der evangelischen Kirche genommen?

Sünde und Gnade. Glaube und Rechtfertigung. Für viele Menschen klingen diese Worte altmodisch, wie fremde Begriffe aus einer fernen, vergangenen Welt. Für Martin Luther allerdings bezeichneten sie vor 500 Jahren eine existenzielle Erfahrung.

Martin Luther Reformator
Für Luther war die Sünde noch eine essentielle Bedrohung Bildrechte: imago/United Archives

Als junger Mönch quälte sich der Reformator mit der eigenen Fehlerhaftigkeit und Unzulänglichkeit. Auch die Bußübungen im Kloster verschafften ihm keine Linderung. Wie der Mensch mit Gott und sich selbst in Einklang leben könne, fragte der Theologe, wo er doch ganz von der Sünde bestimmt sei? Luther erkannte: der Mensch kann die Sünde nicht aus eigener Kraft überwinden. Er ist dabei ganz auf Gottes Zuwendung angewiesen. Denn die Gnade Gottes kann er nicht durch eigene Leistung, sondern nur im Glauben erlangen.

Hineingedrehtsein in uns selbst

Was Martin Luther damals in die Begriffe von Sünde und Gnade fasste, sei auch heute noch aktuell, meint der Reformationshistoriker Volker Leppin. Die Sünde sei der Egoismus, die Ichbezogenheit des Menschen, in Luthers Worten das "Hineingedrehtsein in uns selbst". Aus dieser Selbstbezüglichkeit könne sich der Mensch nicht durch eigene Leistungen befreien.

Das ganz Wichtige an Martin Luthers Botschaft ist, dass er sagt, dass wir im Grunde nicht unser gelingendes Leben garantieren können. Und ich glaube, das ist für uns im 21. Jahrhundert eine ganz zentrale Botschaft. Wir versuchen ständig, unser Leben zu optimieren. Aber das ist nicht entscheidend. Denn der Sinn des Lebens kann mir nur von außen geschenkt werden.

Volker Leppin, Reformationshistoriker

Auch Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sieht Parallelen zwischen Luthers verzweifelten Bußübungen und dem heutigem Leistungsdenken:

Wenn damals Menschen gefragt haben, wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Dann müssen wir uns heute fragen, wie wir uns heute quälen. Wo sind bestimmte Standards, die wir erfüllen müssen, bestimmte Ideale, an denen wir gemessen werden oder uns selbst messen?

Heinrich Bedford-Strohm, EKD-Ratsvorsitzender

Der moderne, aufgeklärte Mensch empfinde sich nicht als unzulänglich oder sündhaft, meint dagegen der Historiker und Theologe Benjamin Hasselhorn. In seinem Buch "Das Ende des Luthertums?" wirft er der evangelischen Kirche vor, Luthers Botschaft längst verwässert zu haben. So sei aus Gott dem liebenden Vater, der von seinen Kindern aber auch Einsicht in die eigenen Fehler fordere, ein bedingungslos liebender Großvater geworden.

Aus Luthers Botschaft: 'Gott liebt dich so, obwohl du bist, wie du bist (und er will dich deshalb besser machen, als du jetzt bist)' wurde die angeblich evangelische Botschaft: 'Gott liebt dich so, wie du bist.'

Benjamin Hasselhorn, Autor des Buches "Das Ende des Luthertums?"

Damit aber, so Hasselhorn sei jede Schwäche, jede Unzulänglichkeit und jede Bequemlichkeit als gottgewollt abgesegnet.

Der Mensch ist ein Sünder - und nur Gott kann ihn erlösen, davon war Martin Luther im Innersten überzeugt. Doch zur Frage, was seine Botschaft im 21. Jahrhundert bedeutet, gehen auch im Jahr des Reformationsjubiläums die Meinungen noch weit auseinander.

Über dieses Thema berichtet MDR KULTUR auch im Radio: ► Spezial | 14.04.2017 | 18:05-19:00 Uhr

Geplante Themen:
● Die Qual des Zweifels: was trieb Luther um?
● Sünde und Gnade - was heißt das heute?
● Was ist lutherisch? Ein Praxistest unter Kirchgängern
● Luthers Botschaft - weichgespült?