75 Jahre Kriegsende in Thüringen Die Übergabe Gothas an die Amerikaner und der hingerichtete Held

Nachdem Gotha bis 1943 von Luftangriffen verschont geblieben war, trafen alliierte Bomben die Stadt im Februar und November 1944 sowie am 6. Februar 1945 schmerzlich. Als Industriestadt mit einer Waggonfabrik, Fliegerwerft und dem Reichsbahnausbesserungswerk war Gotha ein wichtiges Ziel in Mitteldeutschland. Nur drei Tage nach dem Einmarsch der US-Armee in Thüringen bezogen amerikanische Kampftruppen nordwestlich vor der Stadt Stellung.

Auch die NS-Führung betrachtete Gotha als strategisch wichtiger Ort im Trutzgau Thüringen und sollte wegen seiner strategischen Bedeutung in Mitteldeutschland um jeden Preis gehalten werden. Standortältester und ranghöchster Offizier war Josef Ritter von Gadolla. Der aus Österreich stammende Berufsoffizier war seit Februar 1945 Kampfkommandant der Stadt. In seiner Stellung verpflichtete er sich "zur bedingungslosen Verteidigung des anvertrauten Standortes bis zum Tode".

Der Retter von Gotha

Blick auf Gotha. Auf einem Berg über der Stadt steht das Schloss Friedenstein
Blick auf Gotha. Auf dem Berg steht Schloss Friedenstein. Hier wehte am 4. April eine weiße Fahne. Bildrechte: MDR/Thomas Fettien

Am 3. April 1945 heulten um 10:10 Uhr die Sirenen. Der Volkssturm und alle noch marschfähigen Verwundeten mussten in Kampfstellung gehen. Da jedoch bereits alle Truppen mit schweren Waffen aus der Stadt abgezogen worden waren, waren die US-Truppen den Deutschen militärisch überlegen. Ein paar letzte SS-Männer versuchten, britische Tieflieger mit einem Flakgeschütz zu treffen, woraufhin die Luftkräfte das Landestheater und die umliegenden Gebäude in Brand setzten. Ein Krisenstab um den Gothaer Oberbürgermeister Schmidt, Kreisleiter Busch und SS-Obergruppenführer Hennicke einigte sich schließlich zur kampflosen Übergabe der Stadt, bevor die Funktionäre gegen 16 Uhr aus Gotha flohen.

Angesichts der ausweglosen Lage stoppte Gadolla die Musterung der 16-jährigen Hitlerjungen, schickte den Volkssturm nach Hause und befahl den noch verbliebenen Wehrmachtsangehörigen, sich auf die Linie Arnstadt–Erfurt zurückzuziehen. Als die Amerikaner am Krahnberg vor Gotha standen, ließ er entgegen seinem militärischen Eid weiße Fahnen hissen. Zwischen 19 und 20 Uhr fuhr Gadolla mit weißer Fahne auf der Kühlerhaube den Amerikanern in Richtung Sundhausen als Unterhändler entgegen. Auf seinem Weg wurde er bei einer Kontrolle von fanatischen Wehrmachts-Soldaten festgenommen und abtransportiert. Am 4. April wurde er von einem Standgericht in Weimar wegen der versuchten Übergabe Gothas zu Tode verurteilt. Gegenüber einem katholischen Priester verteidigte er sein Handeln und ließ keinen Zweifel daran, sich der Folgen bewusst gewesen zu sein: "Damit Gotha leben kann, muss ich sterben."

Warten auf das Kriegsende

Nachdem die SS alle weißen Flaggen wieder entfernt hatte, kam es zum Beschuss auf die Stadt. Die Gothaer verbrachten die Nacht zum 4. April 1945 in Luftschutzkellern und Bunkern. Erst im Morgengrauen als erneut weiße Fahnen am Rathaus und Schloss Friedenstein sichtbar wurden, hörte der Beschuss auf. Ungeduldig warteten die im Rathaus verblieben Beamten auf amerikanische Befehlshaber. Inzwischen hatten amerikanische Streitkräfte die Arnoldischule und die Handelsschule besetzt, die als Lazarett genutzt wurden. Die 400 verwundeten Soldaten wurden zu Kriegsgefangenen erklärt.

In den frühen Morgenstunden des 4. April kam ein amerikanischer Offizier mit einem deutschen Unteroffizier als Dolmetscher ins Rathaus, wo kurz nach 9 Uhr die offizielle Übergabe der Stadt an die alliierten Streitkräfte stattfand. Damit endete für Gotha der Zweite Weltkrieg am 4. April 1945. Die Annahme, dass britische Kampflieger wegen der weißen Fahnen über Gotha ihre Route änderten und stattdessen ihre Bomben über Nordhausen niederließen, lässt sich nicht belegen.

Trotz Kapitulation hatte Gotha immense Opfer zu beklagen. So starben in der Zeit vom 24. Februar 1944 bis 3. April 1945 542 Bewohner durch Luftangriffe, etwa 330 Häuser wurden zerstört und 2594 Gebäude beschädigt. Gadolla jedoch ist es zu verdanken, dass neben weiteren zivilen Opfern der historische Stadtkern verschont blieb. Auf die Frage der deutschen Beamten, ob die Amerikaner mit Gadolla verhandelt hätten, erfuhren sie, dass dieser die US-Truppen nicht erreicht hatte. Gadolla wurde am 5. April um 7 Uhr auf dem Ettersberg umgebracht. Erst 1997 wurde das Unrechtsurteil von Weimar aufgehoben und Gadolla voll rehabilitiert. 2012 wurde er in das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts aufgenommen. In Gotha und Graz, der Landeshauptstadt seiner Heimat Steiermark, erinnern heute Denkmäler an den Offizier, der die Übergabe der Stadt an die US-Armee veranlasste.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 03. April 2020 | 18:00 Uhr

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