Design-Geschichte(n) nach 1945

04. März 2019, 15:00 Uhr

In den Nachkriegsjahren, als es den Menschen an allem mangelt, müssen Alltagsgegenstände praktisch sein und funktioneren, wie Granathülsen, die zu Wärmflaschen werden. Mit dem Alltag, hier im Wirtschaftswunderland, da im neue sozialistischen Land, schleicht sich der Wunsch nach schönen Dingen ins Leben: Wie soll der neue Alltag aussehen, was ist schön, was modern und im Osten die Frage: Wie sieht "sozialistisch" aus? Ein Blick in die Design-Geschichte in Ost und West.

In den Nachkriegsjahren gilt für Alltagsgegenstände zunächst ein klares Motto: Funktion schlägt Schönheit. Aus dem, was da ist, macht man das, was man braucht.

Die nach dem Krieg noch funktionsfähigen Firmen verarbeiten ihr Material jetzt für Gebrauchsgegenstände statt für Kriegsausrüstung. Statt Stahlhelmen, Soldaten-Alugeschirr, Granatenhülsen, Gasmasken oder Feldflaschen werden Kochtöpfe, Siebe, Schöpflöffel, Trichter und Tee- oder Kaffeekannen hergestellt. Material aller Art wird umgenutzt und umgeformt. In Online-Auktionen findet man solche Objekte bis heute - Wärmflaschen, Messinglampen, Schirmständer, Blumenvasen oder Spardosen aus Granaten-Geschosshülsen.

Nachkriegswohnen Ost

Oberstes Gebot der Nachkriegszeit im Osten: Wichtig ist, es funktioniert, das Volk braucht keinen Kitsch und keinen Luxus, denn für Überflüssiges fehlen Rohstoffe. Die Formgestalter der jungen DDR üben sich im Spagat: Einerseits sollten sie mit ihren Design-Ideen eine kulturelle Identität schaffen, andererseits mussten sie sich mit Materialmangel und eingeschränkten Produktionsbedingungen arrangieren. Allerdings fragte sich mancher Gestalter auch: Wie sollte eine sozialistische Tasse eigentlich auch aussehen?!

Tatsächlich entwarfen sie, angelehnt an die Bauhaus-Moderne, funktionale Möbel und Gebrauchsgegenstände, deren Design sich als zeitlos modern entpuppte. Sehr zum Ärger der Machthaber – die empfanden die Baushaustradition als dekadent und kosmopolitisch: Schließlich hatten Baushaus-Künstler in den 1930/40er-Jahren ihren Stil in den USA weiterentwickelt und amerikanisch sollte nun der neue sozialistische Realismus keinesfalls aussehen. Arbeiter sollten nach Auffassung von Walter Ulbricht Dinge besitzen, die schwer aussahen, schwer wogen, sich an historischen Vorbildern orientierte - jedenfalls theoretisch. In der Praxis setzen sich Produkte durch, deren Aussehen unabhängig vom Zeitgeist besteht und international erfolgreich ist.

Nachkriegswohnen West

Im anderen Teil Deutschlands, in der Bundesrepublik, wurde in den Nachkriegsjahren die Sehnsucht nach traditioneller Behaglichkeit gelebt: Schwere, massive Möbel aus dunklem, glänzendem Holz dominierten die Wohnstuben. In großen, mehrteiligen Buffets mit Glasvitrinen, messingbeschlagenen Schubladengriffen, stellte man zur Schau, was man wieder hatte: "Gelsenkirchener Barock" nennt sich dieser pompöse Stil, der zeigt, selbst in einer unauffälligen Kleinstadt kann man sich wieder schweren, beständigen Luxus leisten. Wenn man genau hinschaut, eigentlich das, was sich Walter Ulbricht im anderen Teil Deutschlands für seine Bürger wünscht.

Allerdings steht dem pompösen Möbelwerk die Platznot jener Zeit gegenüber – Wohnraum ist knapp. 20 Prozent der Häuser zerstört, Millionen Flüchtlinge aus einstigen Ostgebieten brauchen ein Dach über dem Kopf. Für eine vierköpfige Familie wurden damals 50 Quadratmeter Wohnraum veranschlagt. Die Möbelindustrie verlegt sich auf so genannte Verwandlungsmöbel, die Platz sparend mehrere Funktionen übernahmen:

Couches wurden zum Bett, Schreibtische zur Couch umgebaut, leicht verstaubare Klapp- oder Schrankbetten zogen in die bundesdeutschen Wohnungen ein. So ziehen neben den schweren Pomp des Gelsenkirchner Barocks Möbelstücke mit feinen, leichten Linien wie der Nierentisch, der als Prototyp des 50er-Jahre Wohnens in der Bundesrepublik gilt.

Geniale Möbel oder "einfach bloß Bretter"?!

Mitte der 1960er-Jahre sorgt Designer Rudolf Horn für einen Paukenschlag in der DDR-Möbelproduktion. Er entwirft das Möbelprogramm Deutsche Werkstätten,  kurz MDW: An- und Aufbaumöbel, die sich jeder so auf-, um- und anbauen kann, wie er will. Von 1966 bis 1989 produziert man in Hellerau das Möbelsystem. 1972 kostet eine MDW-Schrankwand viermal so viel wie ein durchschnittlicher Lohn eines Arbeiters in der DDR. Das kleine Stückchen Individualität für Zuhause ist auch im Osten teuer.

Die MDW-Reihe wird ein voller Erfolg, obwohl sie Walter Ulbricht, dem gelernten Tischler auf einer Möbelmesse missfällt, wie sich der MDW-Erfinder Rudolf Horn erinnert. Demnach konstatierte der Politiker kopfschüttelnd: "Ich sehe hier keine Möbel, ich sehe hier nur Bretter."  

Wenn Politik Design bestimmt

1972 wird in der DDR das Amt für Industrielle Formgestaltung gegründet. Alle Designprozesse in den Betrieben sind jetzt zentral gesteuert. Die Zwangsprivatisierungen der 70er-Jahre und die Planwirtschaft verlangsamen die Produktion und zwängen die Formgestaltern in bisweilen absurde Zwänge, zum Beispiel wenn Formgestalter Vasen entwerfen müssen, die in bestimmte Kartonsorten passen müssen.

West-Entspannung aus dem Osten

Eine Ironie der Geschichte: Während sich die DDR in den 1970er-Jahren immer strenger vom Westen abschottete, entspannte man sich im Westen gemütlich in Rudolf Horns DDR-Freischwingern. Horn, der in einem Museum in einem unbeobachteten Moment einen originalen Bauhaus-Freischwinger getestet hatte, der jedoch völlig starr seinem Namen widersprach. Formgestalter Horn entwickelte daraufhin den sogenannten "Konferstar", einen freischwingenden Sessel. Das Sitzmöbel wurde in der DDR hergestellt - für den Export und außer in die BRD auch im Norden und Süden, Schweden und den Kanaren, verkauft.

Nach 1989 verpönt, jetzt Zeitgeist

Ende der Achtzigerjahre ist die DDR am Ende. Als die Mauer fällt und der Glanz der Produkte aus dem Westen auch im Osten erstrahlt, geraten die Produkte der DDR unter politischen Generalverdacht. Im Osten wird ausrangiert, was das Zeug hält - containerweise werden DDR-Möbel und DDR-Produkte ausrangiert und enden auf dem Sperrmüll.

Doch seit einiger Zeit erleben manche DDR-Produkte eine Renaissance. Viele Alltagsgegenstände kann man 27 Jahre nach dem Mauerfall wieder kaufen. Ihre Eigenschaften passen in den Zeitgeist: Sie sind haltbar, zeitlos modern im Design und haben keine "Sollbruchstellen" - denn, wie Rudolf Horn sagt,

Wir haben kein Produkt so gestaltet und konstruiert oder mit Werkstoffen hergestellt, damit es in einer bestimmten Zeit nicht mehr nutzbar ist, sondern im Gegenteil, wir wollten diese Langlebigkeit, als ethisches Prinzip.

Rudolf Horn

Über dieses Thema berichtete der MDR auch in "Schwalbe und Plasteschüssel - Alltagsdesign in der DDR" 05.03.2019, 22.05 Uhr