9. November 1989 Gerhard Lauter: Der Ghostwriter des Mauerfalls

09. November 2015, 09:33 Uhr

Mit Ende 30 hatte Gerhard Lauter eine Bilderbuchkarriere im DDR-Verwaltungsapparat hingelegt. Im November 1989 war er als Abteilungsleiter für Pass- und Meldewesen im Innenministerium verantwortlich für die neuen Reiseregelungen. Zusammengefasst hatte er sie auf dem berühmten Zettel, den Günter Schabowski am Abend des 9. November vor den laufenden Kameras des DDR-Fernsehens verlas - ohne auf die Sperrfrist zu achten. So wurde Gerhard Lauter zum Ghostwriter des Mauerfalls. Bei GMD erzählt er seine Geschichte.

Er hat im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte "geschrieben", als er im November 1989 auf Anordnung des DDR-Innenministers ein Papier zur „Veränderung der Situation der ständigen Ausreise von DDR-Bürgern nach der BRD über die ČSSR" ausarbeitete: Gerhard Lauter nutzte seine Macht als Abteilungsleiter der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen des Ministeriums des Inneren der DDR und fügte dem Entwurf zur beabsichtigten Möglichkeit der "Ständigen Ausreise" einen Passus für "Besucherreisen" hinzu. Offensichtlich hatte im Chaos der Novembertage niemand diesen Entwurf kontrolliert, bevor Politbüromitglied Günter Schabowski auf der legendären Pressekonferenz die neuen Regelungen verkündete. Doch wer ist der Mann, der hinter den Kulissen die Weltgeschichte änderte?

Maurer mit Abitur

Seine Herkunft ebnete Gerhard Lauter den Weg für eine steile Karriere im Arbeiter- und Bauernstaat. Seine Großeltern und Eltern kamen aus einfachen Verhältnissen, waren als Kommunisten und Sozialdemokraten politisch aktiv und wurden im Nationalsozialismus verfolgt. Der richtige Klassenstandpunkt schien dem Sohn eines SED-Funktionärs geradezu in die Wiege gelegt zu sein. Interessiert an Sport und Kultur, politisch engagiert und zuverlässig stand ihm der Weg auf die "Erweiterte Oberschule" und damit zum Abitur offen. Das damalige Bildungssystem sah es aber vor, dass neben der Hochschulreife auch eine Berufsausbildung absolviert werden musste. Es mutet daher als ein Augenzwinkern der Geschichte an, dass der "Ghostwriters der Mauerfalls" den Beruf des Maurers erlernt hatte.

Bitterfeld statt Baku?

Den jungen Abiturienten packte allerdings auch das Fernweh, wie er Später berichtet. Durch sein Interesse am Fach Chemie und angesteckt durch Reportagen und Dokumentationen über die Erdölbohrinsel Neftanyje Kamnie im Kaspischen Meer reifte der Plan zu einem Auslandsstudium. Im fernen Baku wollte er Petrolchemie studieren, die ersten Weichen wurden gestellt. Doch plötzlich wurde Gerd Lauter zum Gespräch beim Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen in der Leipziger SED-Bezirksleitung gebeten. Dem jungen Mann wurde eröffnet, dass "man" ihn bereits an anderer Stelle sähe. Das Ministerium für Staatssicherheit warb ihn für die Spionageabwehr mit dem Angebot, nicht nur den Wehrdienst auszulassen, sondern ein Jura-Studium in Leipzig zu absolvieren.

Nach dem Ende des Studiums folgte jedoch keine Laufbahn als Offizier sondern eine Stellenzuweisung als Staatsanwalt in Bitterfeld. Hatte die Stasi den frisch gebackenen Juristen fallen gelassen, weil sein Vater in der Zwischenzeit bei der Partei in Ungnade gefallen war? Nach dem Einwirken der SED-Bezirksleitung kam er dann zur Leipziger Kriminalpolizei.

Der Mann für alle Fälle

Leutnant Lauter machte sich schnell einen Namen, tat er sich doch bei den Ermittlungen in schwierigen Fällen hervor. Dabei ging es nicht immer um Mord und Totschlag, sondern auch um Bereiche, in denen Fingerspitzengefühl gefragt war. Er kümmerte sich in den Folgejahren um den hoch brisanten Umgang mit Deserteuren der Roten Armee und baute mit gerade einmal 24 Jahren die Anti-Terroreinheit der Volkspolizei auf. Als Persönlicher Referent des Chefs der Volkspolizei betreute er unter anderem Staatsgäste, wurde mit 33 Jahren Fahndungschef und Mitte der 1980er-Jahre Untersuchungschef der DDR-Kriminalpolizei.

Der neue Posten

Als Oberst übernahm er die Hauptabteilung Pass- und Meldewesen erst im Sommer 1989. Nur einen Tag vor dem 9. November traf Lauter in dieser Position mit drei weiteren hochrangigen Offizieren zusammen, um Regelungen zu finden, die vor allem die Ausreisewelle über die Tschechoslowakei beenden sollten. Doch wollte man die Leute nur raus, aber nicht wieder rein lassen. Gerhard Lauter stellte sich quer. Wie er heute schreibt, befürchtete er einen noch tieferen Riss zwischen Staat und Bürgern, wenn sie nur die Wahl gehabt hätten, das Land zu verlassen, ohne Möglichkeit zurückzukehren. So wurde auf seine Initiative ein Passus eingefügt, der auch Privatreisen möglich machte. Nach dem Mauerfall blieb Gerhard Lauter vorerst in verantwortlicher Position im Innenministerium. Nach der Wende war er für Unternehmen tätig, später baute er zusammen mit seiner Frau eine Anwaltskanzlei in Leipzig auf.

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