Wohnungen für Millionen WBS 70: Die wandelbare Einheitsplatte der DDR

13. Oktober 2020, 16:11 Uhr

Im Frühjahr 1973 zogen in Neubrandenburg die ersten Mieter in den neuen Plattenbautyp der Wohnbauserie WBS 70 ein. Am Ende entstanden 644.900 Wohneinheiten dieses Typs verteilt über die gesamte Republik. Und was anfangs als Einheitsplatte konzipiert war, ließ dann doch Raum für Kreativität.

In der DDR lebte am Ende jeder dritte Einwohner in einer Plattenbauwohnung - viele von ihnen in einer Wohnung der Wohnbauserie 70, kurz WBS 70 genannt. Dieser Plattenbautyp ist eine typische DDR-Entwicklung, bei der aus wenig viel gemacht wurde. Für das ambitionierte Wohnungsbauprogramm, dessen Start die Staats- und Parteiführung für 1972 plante, waren die bisherigen Plattenkonstruktionen und ihre Fertigung noch immer zu teuer. Also lautete der Auftrag, die Platte weiter zu standardisieren. Die Architekten und Stadtplaner Wilfried Stallknecht und Achim Felz entwickelten daraufhin die sogenannte "Einheitsplatte". Bis zur Baureife wurde der neue Typ zuerst im Wohnungsbaukombinat Neubrandenburg gebracht. Dort zogen vor 45 Jahren, im Frühjahr 1973, die ersten Mieter ein.

Grundriss des Plattenbaus WBS 70

WBS 70 bestand aus weniger Bauteilen als die Vorgänger-Platten. Es gab zunächst auch weniger Varianten der Ausführung. Die Plattenelemente sollten in großer Zahl rationell gefertigt werden und DDR-weit auf einheitliche Weise zusammengebaut werden.

Für die Wohnungsgrundrisse bedeutete dies, dass das Bad immer innen lag. Die sogenannten Sanitärzellen wurden im Plattenwerk vorgegossen und montiert, inkl. Ausstattung und Rohrbündel.

Die Küche wurde anders als bei den Plattenbautypen aus den 1960er-Jahren wieder vom Wohnzimmer abgetrennt. Die Entwickler verzichteten aus Rationalisierungsgründen auf großzügige und offene Grundrisse. Die Quadratmeterfläche der verschiedenen Wohnungstypen wurde kleiner. Die Nutzung der Räume als Wohn-, Schlaf- oder Kinderzimmer war durch die Größe vorgegeben. 3-Raum-Wohnungen der WBS 70 waren zwischen 60 und 66 Quadratmeter groß. In der Wohnung, aber auch im Gebäude, wurde der Platz für die unabdingbaren Wege, die sogenannten Verkehrsflächen wie Korridore oder Treppenhäuser, so weit es ging, minimiert.

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Wie viele Plattenwohnungen gab es eigentlich zu DDR-Zeiten? Und wo in Ostdeutschland stehen heute noch die meisten von ihnen? Hier die interessantesten Fakten.

MDR FERNSEHEN Do 13.10.2011 19:44Uhr 01:24 min

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Siegeszug der Einheitsplatte

Trotz des hohen Standardisierungsgrades mit all seinen Schattenseiten trat die Einheitsplatte einen ungeahnten Siegeszug an. Bis Anfang der 1990er-Jahre wurden insgesamt 644.900 Wohneinheiten dieses Typs errichtet. Das waren 42 Prozent des insgesamt in der DDR gebauten Plattenbauwohnungen. WBS 70 hatte ein Grundraster von 1,20 mal 1,20 Meter. Dies erlaubte innerhalb der Gebäude viel Variationen bei den Wohnungsgrößen: Von der 1-Zimmer-Klause bis zur 5-Raum-Wohnung.

WBS 70 wurden als 5-, 6- oder 11-Geschosser errichtet. Die deutlich sichtbaren Fassadenplatten prägten in allen Teilen der DDR das Bild der Städte und Dörfer. Nach und nach wurden in den Wohnungsbaukombinaten aber Varianten für WBS 70 entwickelt. So gab es abgeschrägte Ecken, Erker, auch Giebel-Balkone sowie verschiedene Varianten für Loggia und Wintergarten. Sogar Maisonetten, Mansarden und Atelierwohnungen wurden gebaut. Auch die Fasssaden konnten in der Folge anders gestaltet werden.

(pkl)

Über dieses Thema berichtete MDR aktuell auch im TV: 11.08.2017 | 21:45 Uhr