Der Undercover-Reporter Günter Wallraff in der "Stimme der DDR"

29. September 2017, 15:11 Uhr

Günter Wallraff, Journalist und Schriftsteller, taucht seit den 70er-Jahren immer wieder mit falschen Identitäten über längere Zeit in verschiedene Branchen ein und plaudert danach aus dem Nähkästchen. Seine Undercover-Recherchen und Erfahrungen aus verschiedenen Branchen, die er später in Reportageform veröffentlicht, machen ihm berühmt, bringen ihn aber auch mehrfach vor Gericht.

Als "Hans Esser" bei der BILD Hannover

So auch für seine Schilderungen über seine Zeit als Journalist Hans Esser, der 1977 ein paar Monate bei der "Bild"-Redaktion in Hannover arbeitet. In seinem Buch "Der Aufmacher" schildert Wallraf seine Erlebnisse und Erfahrungen, und macht Methoden der "Bild"-Redaktion öffentlich. Diese Erfahrungen des Investigativ-Journalisten sind ein gefundenes Fressen für die DDR: Wallraffs Schilderungen untermauern das vom DDR- Staat propagierte Bild des Westens als korrumpierter und kaputter - eben kapitalistischer - Gesellschaft. Dazu kommt noch, das, was daraufhin mit Wallraff selbst passiert: Der Schriftsteller und Undercover-Rechercheur wird selbst zum Opfer des Mediums, das er öffentlich vorgeführt hat: Er wird als "Untergrundkommunist" angeprangert und damit im Sprachgebrauch jener Zeit zum "Terroristen" stilisiert.

Wallraff im Radio der DDR

Auch in der DDR sind einige der Wallraff-Bücher zu bekommen. Wallraff engagiert sich 1976 für den ausgebürgerten Liedermacher Wolf Biermann. Doch das ist 1985 offenbar vergeben und vergessen, denn der Schriftsteller wird in einem halbstündigen Radio-Interview von DDR-Radiojournalist Alfred Eichhorn über seine Arbeit und seine Recherchen befragt. Wallraff nimmt in dem Interview kein Blatt vor den Mund und schildert die damaligen Recherche-Methoden der "Bild"-Zeitung, die er als Undercover-Reporter Hans Esser erlebt. Gegenfragen zum Journalismus und wie es um die Arbeitsweise der Zeitungs-, Fernseh- und Radiojournalisten in der DDR bestellt ist, gibt es in dem Interview nicht.

Undercover vor Ort für das Selbst-Erleben

Günter Wallraff ist bis heute als Undercover-Journalist unterwegs und sorgt fast schon regelmäßig für Schlagzeilen. Er wurde am 1. Oktober 1942 in Burscheid in Nordrhein-Westfalen geboren. Nach der 10. Klasse lernte er den Beruf des Buchhändlers. Weil er zu spät seine Befreiung vom Wehrdienst beantragte, wurde er in die Bundeswehr eingezogen. Eine Waffe fasste er dort aber nicht an. In dieser Zeit entstand sein "Bundeswehrtagebuch". Es folgten nach der Entlassung aus der Bundeswehr zahlreiche zahlreiche Industrie-Reportagen, für die Wallraff persönlich vor Ort malochte. Seine größten publizistischen Erfolge waren das Sachbuch "Ganz unten" (1985) und das schon erwähnte Buch "Der Aufmacher" von 1977. Für "Ganz unten" schuftete Günter Wallraff als Türke Ali maskiert bei Thyssen, McDonalds und auf dem Bau. Außerdem ließ er an sich Medikamente testen.

(zuerst veröffentlicht am 04.04.2017)

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR Zeitreise18. April 2017 | 21:15 Uhr