Späte Entschädigung Erst 2001 werden ausländische NS-Zwangsarbeiter entschädigt

02. Mai 2023, 05:00 Uhr

Millionen Ausländer wurden während des Zweiten Weltkrieges zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Die meisten stammten aus Polen und der damaligen Sowjetunion. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und jahrelangen Verhandlungen sowie mehreren Gerichtsprozessen konnte die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" 2001 mit der Auszahlung von Entschädigungen beginnen.

Deutschland wirbt im Ausland um Arbeitskräfte

Schon mit Beginn des Zweiten Weltkrieges fehlen in Deutschland mehr als eine Million Arbeitskräfte. Die Fabriken füllen sich mit Frauen, was zum NS-Bild der "deutschen Mutter" nicht recht passen will und auch den wachsenden Bedarf in allen Bereichen des Wirtschaftslebens vom Privathaushalt über die Landwirtschaft bis zur Rüstung nicht stillt. Zunächst werden Freiwillige aus ganz Europa mit großen Versprechungen zur Arbeit in Deutschland angeworben - eine halbe Million Menschen kommt, doch dann versiegt der Strom.

Die Kriegswirtschaft braucht mehr "menschlichen Nachschub", inzwischen setzt man nicht mehr auf Freiwilligkeit. Ende 1940 werden bereits 1,5 Millionen Kriegsgefangene Polen, Franzosen, Engländer und Holländer als billige Zwangsarbeiter missbraucht. Doch mit dem Scheitern von Hitlers Blitzkriegstrategie und den immer größer werdenden Verlusten in der Sowjetunion bleiben wieder Millionen Arbeitsplätze unbesetzt.

Fritz Sauckel soll Arbeitskräfte im Ausland anwerben

Abhilfe schaffen soll ab 1942 Fritz Sauckel als "Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz in Deutschland". Die Empfehlung für den Posten kommt von Martin Bormann. Der einstige Fahrer des Gaugeschäftführers Sauckel und Kampfgefährte aus Weimarer Tagen ist nämlich inzwischen zu Hitlers Sekretär aufgestiegen. 1,7 Millionen Arbeitskräfte soll Fritz Sauckel sofort beschaffen.

Porträt des NSDAP-Gauleiters in Thüringen, Fritz Sauckel
Fritz Sauckel, NSDAP-Gauleiter in Thüringen Bildrechte: imago/United Archives International

Voller Elan stürzt der sich in seine neue Aufgabe. Er reist durch ganz Europa, um Arbeitskräfte zu rekrutieren, richtet überall Anwerberbüros ein - allein in den Ostgebieten etwa 1.200. Mit der Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht auch in den besetzten Gebieten hat er dafür ein handfestes Druckmittel in der Hand.

Millionen Arbeiter kommen nach Deutschland, nur ein Bruchteil freiwillig

Im Mai 1942 fliegt Fritz Sauckel in die Ukraine und nach Weißrussland, um nun auch die sogenannten "bolschewistischen Untermenschen" zur "Arbeit für Deutschland" zu verpflichten. Er tritt eine regelrechte Medienkampagne los, lässt Plakate drucken: "Arbeitet für Deutschland gegen den Bolschewismus" und Propagandafilme drehen, die die wahren Lebensumstände der Zwangsarbeiter in Deutschland verschleiern. Geschickt nutzt er die politische Situation, herrschen unter Stalins Terrorregime doch Hunger und Verfolgung. Gerade viele Ukrainer empfinden die Deutschen zunächst als Befreier.

Ende 1942 berichtet Fritz Sauckel stolz seinem Führer, dass er die geforderte Zahl von 1,7 Millionen sogar um eine Million überboten habe. Nicht einmal 200.000 davon kommen freiwillig nach Deutschland.

"Wo die Freiwilligkeit versagt ..."

Anfang Januar 1943, als das große Sterben der 6. Armee von General Paulus im Kessel von Stalingrad schon begonnen hat, hält Fritz Sauckel vor seinen 800 Mitarbeitern eine flammende Rede:

Wo die Freiwilligkeit versagt (und nach meinen Erfahrungen versagt sie überall), tritt die Dienstverpflichtung an ihre Stelle ... Wir werden die letzten Schlacken unserer Humanitätsduselei ablegen! Jede Kanone, die wir mehr beschaffen, bringt uns eine Minute dem Sieg näher!

Fritz Sauckel

Zwangsarbeit kann die fehlenden Arbeitskräfte nicht ersetzen

Allein der deutschen Rüstungsindustrie fehlen 1943 wieder zwei Millionen Arbeitskräfte, die NS-Führung entschließt sich, eine der letzten Reserven zu mobilisieren: die russischen Kriegsgefangenen. 3,7 Millionen hat man schon verhungern lassen. Jetzt heißt die Devise: "Vernichtung durch Arbeit". Doch viele der Männer sind so entkräftet, dass sie schon nach kurzer Zeit sterben. Das Arbeitskräfteproblem in der Rüstungsindustrie - deren Bedarf steigt, je aussichtsloser der Krieg wird - lässt sich so nicht lösen.

Nach den Luftangriffen der Alliierten auf Peenemünde taucht die Rüstungsindustrie Anfang 1944 unter – unter die Erde. Hitlers "Wunderwaffen", die V2 und der Düsenjäger Messerschmitt 262, sollen dem längst verlorenen Krieg die Wende geben.

Messerschmidt JU-262 in einem Hanger
Messerschmidt JU-262 in einem Hangar. Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland. | Kalousek Rostislav

In unterirdischen Werken wie im Kohnstein bei Nordhausen und im Walpersberg bei Kahla in Thüringen wird nun fieberhaft produziert. Und Fritz Sauckel, der mit seiner Wilhelm-Gustloff-Stiftung 1936 auch eines der größten deutschen Rüstungsunternehmen mit rund 20 Produktionsstätten begründet hat, muss dafür die nötigen Arbeitskräfte beschaffen. Seine bewaffneten Anwerber machen inzwischen regelrecht Jagd auf Menschen. Herangezogen werden verstärkt KZ-Häftlinge, etwa aus dem Lager Mittelbau-Dora, das nach dem Ende des Krieges als das "Auschwitz im Harz" bezeichnet werden wird.

Späte Entschädigung für Zwangsarbeiter

Erst mit dem Fall des Eisernen Vorhanges und damit Jahrzehnte nach dem Kriegsende geraten die Ausbeutung von Millionen von Zwangsarbeitern und die davon profitierenden Unternehmen wieder in den Fokus der Öffentlichkeit.

Massiver internationaler Druck ermöglicht Einigung über Milliarden-Zahlungen

Nach massivem internationalen Druck und wiederum Jahre dauernden Verhandlungen kommt schließlich eine Einigung über die Entschädigung ausländischer Zwangsarbeiter der NS-Zeit zustande: Deutschland wird zehn Milliarden DM für einen Entschädigungsfonds aufbringen, je zur Hälfte von Bund und Wirtschaft getragen. 2000 wird die Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" eingerichtet, die überlebende ehemalige Zwangsarbeiter entschädigen soll, wenn die meist hochbetagten Antragsteller denn in der Lage sind, die nötigen Nachweise zu bringen oder beispielsweise als Kriegsgefangene nicht von vornherein von Ansprüchen ausgeschlossen werden.

Dieser Artikel erschien in einer früheren Fassung bereits 2011 bzw. 2015.

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