Zweiter Weltkrieg 1939-1945. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS (Abkürzung SD) war Teil des nationalsozialistischen Machtapparates.
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Rasse statt Recht Polizeiarbeit in Nazi-Deutschland

28. April 2020, 13:38 Uhr

Für die Nationalsozialisten ist die "politische Säuberung" der Polizei eine der ersten und wichtigsten Maßnahmen bei der Errichtung ihres Unrechtsstaats.

Der Umbau der Polizei, der Aufbau neuer Strukturen innerhalb des polizeilichen Verwaltungsapparates ging rasant. Bei der Polizei selbst stoßen die Umbaupläne kaum auf Widerstand. Viele Polizisten handeln opportunistisch – so wie der Dessauer Polizist Artur Jetzinger. Jetzinger ist Anfangs kein Nazi, aber er erkennt 1933 die Zeichen der Zeit und macht schnell Karriere. Arthur Jetzinger ist 42 Jahre alt und erst seit kurzem bei der Kripo, als er 1933 einen Benzindiebstahl aufklären soll. Ein Verdächtiger ist der arbeitslose Elektriker Friedrich Schiedewitz – ein ehemaliger Funktionär der Kommunistischen Partei.

Der Benzindiebstahl wird bei der polizeilichen Ermittlung allerdings schnell zur Nebensache – stattdessen geht es darum, Kommunisten zu bekämpfen. Das belegen Aktenfunde im Landesarchiv von Sachsen-Anhalt. Der ermittelnde Polizist Arthur Jetzinger schreibt in einer Notiz:

Bei Beginn der Nationalen Erhebung (30. Januar 1933, die Red.), hat sich Schiedewitz vollkommen umgestellt und hat ohne, dass Druck auf ihn ausgeübt wurde, der Polizei äußerst wertvolle Dienste geleistet. Durch seine Mitarbeit ist es möglich gewesen, die illegale Tätigkeit der KPD in Dessau und bis über die Grenzen Anhalts aufzudecken und die Führer festzunehmen.

Polizist Arthur Jetzinger

Ein Benzindiebstahl - 120 Inhaftierungen

Der Diebstahl löst eine Verhaftungswelle aus, an deren Ende über 120 Inhaftierungen stehen. Die Verhafteten werden massenhaft  in Gefängnisse, KZs gebracht. Proteste oder Kritik aus den Reihen der Polizei gibt es nicht.  Die schon aus der Illegalität operierende Organisation der KPD ist in Anhalt damit zerschlagen. 

Das Beispiel zeigt, wie sich die Polizeiarbeit gleich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verändert hat, sagt der Historiker und Spezialist für die Polizeigeschichte Anhalts, Alexander Sperk, der auch ein Buch über den Aufbau der Gestapo in Anhalt schreibt:

Viele Polizisten fühlten sich ja eigentlich durch diese Machtergreifung der Nationalsozialisten fast ein bisschen befreit in ihrer Polizeiarbeit. Vor 1933 mussten sie sich an demokratische Grundregeln halten. Jetzt, mit  dieser Diktatur, hat man die Möglichkeit ganz anders gegen solche Leute vorzugehen. – Das Stichwort heißt "Vorbeugende Verbrechensbekämpfung".

Alexander Sperk

Wie die NSDAP Einfluss auf die Polizei gewinnt

Die Polizei als staatliches Machtinstrument spielt eine entscheidende Rolle beim Aufbau des nationalsozialistischen Terror-Regimes.  Ihr Dienstherr in Preußen, dem größten und wichtigsten Land des Reiches, ist seit dem 30. Januar 1933 Hermann Göring. Er spielt eine entscheidende Rolle bei der Gleichschaltung der Polizei.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen lässt er alle Polizisten auf ihre politische Gesinnung überprüfen, sondert so aus, wer weiterhin im Amt bleibt, wer versetzt oder in den Ruhestand geschickt wird. Wer bleiben will, hat sich dem neuen Regime unterzuordnen. Noch entscheidender: Göring sorgt dafür, dass Mitglieder der SA oder der SS zu Hilfspolizisten ernannt werden können – völlig legal gewinnt die NSDAP mit ihren Kampforganisationen wichtigen Einfluss innerhalb der Polizei.

Am 17. Februar 1933 wird mit dem sogenannten "Schießerlass" die neue Härte Gesetz: Von nun an ist die Polizei ermächtigt, auf Gegner des NS-Regimes zu schießen.

Neue Härte nach dem Reichstagsbrand

Der Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 stellt eine weitere Zäsur für die Arbeit der Polizei dar. Verfassungsmäßige Grundrechte werden mit der "Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat" aufgehoben. Mit der Einführung der sogenannten "Schutzhaft" können "staatsfeindliche Elemente" schon vorbeugend in Haft genommen werden. Damit ist der polizeilichen Willkür Tür und Tor geöffnet. 25.000 Regimegegner werden bis April 1933 in "Schutzhaft" genommen. So sieht die sogenannte "vorbeugende Verbrechensbekämpfung" der Nazis aus - nur drei Monate sind vergangen, seit Adolf Hitler Reichskanzler ist.

Himmler und die Gestapo

Schon im April 1933 wird die Gestapo als politische Polizei gegründet. Zwar gab es in den Ländern schon vorher politische Polizeien. Die Gestapo aber bewegt sich von Anfang an außerhalb der Grundrechte.

Chef der Gestapo wird 1936 Heinrich Himmler. Er baut sie Schritt für Schritt zum gefürchteten Terror-Instrument aus. Hauptamtliche Polizisten im Staatsdienst bauen ein ausgedehntes Überwachungssystem auf. Aufgabe der Gestapo ist die Überwachung der politischen Gegner. Mit Hilfe zahlreicher Spitzel im gesamten  Reich verfolgen sie im Namen von Recht und Gesetz Regimegegner, Andersdenkende, Juden. Himmlers Doppelfunktion als "Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei" zeigt: Spätestens jetzt muss die Polizeiarbeit auch offiziell der nationalsozialistischen Ideologie voll und ganz entsprechen.

Auch der Dessauer Polizist Artur Jetzinger unterschreibt seine Berichte schon bald zuerst mit "SS-Hauptsturmführer" und erst danach mit "Kriminalkommissar".

Deutsche Polizei in den besetzten Gebieten

Die Einrichtung des Reichssicherheitshauptamtes 1939 bedeutet eine weitere Zäsur in der Polizeiarbeit. Mit dem Beginn des Krieges und der Eroberung neuer Gebiete ab 1939 kommen neue Aufgaben auch auf die Polizei zu. Die Sicherheitspolizei, bestehend aus politischer Polizei und Kriminalpolizei, wird mit dem Sicherheitsdienst der SS (SD) zusammengelegt. Es sind auch normale Polizisten, die jetzt ihren Dienst in den sogenannten "Einsatzgruppen" des SD leisten.

Diese Einsatzgruppen durchkämmen im Rücken der Wehrmacht die besetzten Gebiete. Sie sind es, die hundertausendfache Morde an Juden, an Intellektuellen, an der politischen Elite in den besetzten Ländern begehen. Massenerschießungen, Hinrichtungen, Vergasungen – das sind die Aufgaben der Einsatzgruppen in Osteuropa.

Artur Jetzinger verrichtet seinen Dienst während des Krieges zeitweise im Westen, im besetzten Paris. Dort verliebt er sich in eine Französin – und ist bei der Pariser Gestapo zuständig für die Überwachung der sog. Ostmigranten (Russen, Rumänen etc.). Ab Mai 1943 ist er verantwortlich für die Transporte der bereits im Land Verhafteten in die jeweiligen Lager und Gefängnisse. Er ist ein wichtiger Teil im Getriebe des Terrorapparates, der genau protokolliert - in mehrfachen Formblättern - wer von wo nach wo geschickt wird, damit niemand verloren- oder der Vernichtung entgeht.

Noch während des Krieges wird Jetzinger nach Dessau zurückversetzt, wo er im April 1945 als Chef der dortigen Kriminalpolizei die Ermordung von drei abgeschossenen amerikanischen Kampfliegern anordnet. Vor Gericht verantworten musste er sich nach dem Krieg nicht – das mussten nur wenige Polizisten.