Teasergrafik Altpapier vom 13. Juni 2019: rbb Bürgertalk
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Das Altpapier am 13. Juni 2019 Jetzt red i

Zwei neue Talks in den Öffentlich-Rechtlichen setzen auf Bürgerbeteiligung und ein “Influencer-Gesetz“ könnte die Abmahnwelle wegen Schleichwerbung beenden. Außerdem: Gewalt gegen Journalisten weltweit und der Umgang mit Hass im Netz. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.

Bürger-Talks sind in den Dritten Programmen schon lange fester Teil des Programms, schreibt Peer Schader bei Übermedien, und nennt als Beispiele “Mal ehrlich“ im SWR, “Ihre Meinung“ im WDR, “Jetzt mal Klartext!“ im hr und “Jetzt red i“ im Bayerischen Fernsehen. Am heutigen Donnerstag startet im rbb-Fernsehen ein neuer Bürger-Talk mit dem Titel Wir müssen reden!. An unterschiedlichen Orten in Brandenburg und Berlin sollen Bürger einmal im Monat diskutieren bis streiten, über die Themen, die sie bewegen. Ab Montag läuft mit "Fakt ist! - Bürgertalk aus Magdeburg" ein MDR-Format, das um eine Publikumsdebatte erweitert wird.

Das Konzept von “Wir müssen reden!“: maximal zwei Politiker für Pro und Contra und das Saalpublikum als Stimmungsbarometer. Die unterschiedlichen Meinungen sollen sich auch räumlich gegenüberstehen. “Wir wollen eine Atmosphäre nach dem Muster des britischen Unterhauses schaffen“, zitiert Übermedien Thomas Baumann, Leiter der Gesprächsformate beim rbb. (Das ist weniger revolutionär, als es verkauft wird, im Tagesspiegel, dazu gleich mehr, wird an eine Sendung nach ähnlichem Muster aus den 70ern erinnert, “Pro und Contra“ in der ARD, in der die Zuschauer am Ende abgestimmt haben.)Bei Übermedien thematisiert Schader in einer umfangreichen Analyse, was diese “Wiederentdeckung des Bürgers als Gesprächspartner“ mit der in letzter Zeit gewachsenen Kritik an den Medien zu tun hat. Er schreibt:

“In den vergangenen Jahren ist das Misstrauen gegenüber Medien, nicht zuletzt den öffentlich-rechtlichen, größer geworden. Journalistinnen und Journalisten müssen zunehmend erklären, wie nah sie eigentlich an dem sind, was ihre Zuschauerinnen und Zuschauer im Alltag bewegt. Die Sender sehen sich vielfach damit konfrontiert, ihrem Auftrag und ihrer Rolle in der Gesellschaft stärker gerecht zu werden. Zum Beispiel, indem sie ihr Publikum stärker einbeziehen und beteiligen – und zwar nicht nur, wenn es um den Streit über die Flüchtlingspolitik geht.“

Das Thema der ersten Sendung ist nun ausgerechnet: “Wolf und Biber schützen oder schießen?“

“Der Wolf ist also offenbar wichtiger als die AfD“, kommentiert ein überraschter Markus Ehrenberg im Tagesspiegel, “im Bundesland, das demnächst von der AfD als stärkster Kraft mit-regiert zu werden droht“:

“Kaum ein Thema spaltet Brandenburg so sehr wie das Thema AfD. In drei Monaten wird dort gewählt. Laut jüngster Umfrage könnte die AfD im einst so roten Brandenburg mit über 20 Prozent stärkste Partei werden.

‚Kaum ein Thema spaltet Brandenburg so stark wie der Wolf.‘ Das sagt der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) zum Start seines neuen Bürgertalks am Donnerstag und fragt seine Zuschauer: ‚Sollte man die wilden Tiere schützen oder schießen, um weitere Angriffe auf Nutztiere zu vermeiden?‘“

Die Gefahr, dass ein brisantes Thema das neue Format in den Schatten stellt, besteht jedenfalls nicht.

Sind die politischen Gäste nach Pro- und Contra-Meinung ausgesucht, für die geplante Eskapation, soll sonst “im strengeren Sinne“ niemand “gecastet“ werden, zitiert der Tagesspiegel außerdem Baumann. Man werde auch Menschen zu Wort kommen lassen, deren Haltung man vorher nicht kenne. Es bleibt also noch ein Rest Überraschungspotenzial.

Neuland 2019

Auf Instagram kann man schon seit einer Weile vorauseilenden Gehorsam beobachten. Ist dort ein Produkt mit Markenname zu sehen oder wird eine Marke namentlich genannt und ist kein Geld dafür geflossen, dann nur noch selten ohne Zusätze wie:

[Unbezahlte Werbung]

*unbezahlte Werbung wegen Markennennung

#Werbung #markennennung #selbstbezahlt

Auch auf privaten Accounts tauchen die Hinweise auf, aus Angst vor einer Abmahnung wegen Schleichwerbung. Influencer, die mit Produktvorstellungen Geld verdienen, mussten sich in der Vergangenheit häufiger nach Abmahnungen wegen angeblicher Schleichwerbung vor Gericht verantworten, darunter prominente Beispiele wie Cathy Hummels und Pamela Reif. Und die Gerichtsurteile sind bisher widersprüchlich ausgefallen.

In vielen Fällen ist der Kläger der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW), schreibt Benedikt Frank in der Süddeutschen Zeitung, der auch mit VSW-Geschäftsführer Ferdinand Selonke gesprochen hat. Wer die “350 Unternehmen aus einer Vielzahl von Branchen“ sind, aus denen sich der Verband zusammensetzt, darüber hielt man sich lange bedeckt, darunter sind der SZ zufolge Verlage wie Bauer, Klambt und Wort & Bild.

“Von Influencern fordert Geschäftsführer Selonke: 'Wenn sie werben, müssen sie das kennzeichnen.‘ Zum Problem für die Justiz wird die so einfache wie nachvollziehbare Forderung, weil unterschiedliche Ansichten darüber bestehen, was Werbung ist. Klar: Gibt es für die Präsentation eines Produkts oder einer Dienstleistung eine Gegenleistung, ist das Werbung, die in der Regel gekennzeichnet werden muss.

Der Verband aber argumentiert, dass auch Verlinkungen von Produkten ohne Bezahlung Werbung sein kann, da Influencer sich dadurch künftige Werbedeals erhoffen. Als Reaktion auf die unterschiedlichen Urteile kursieren nun wilde Arten der Kennzeichnung, unter den Instagram-Fotos stehen nun auch Dinge wie 'Nicht beauftragte Werbung‘ oder 'Unbezahlte Werbung‘“,

heißt es in der SZ. Die Gesetzgebung lässt bisher viele Fragen offen, nicht nur für Influencer, sondern auch die Nutzer der Plattformen, die solche Formulierungen auch in privaten Accounts übernommen haben.

In der SZ-Wirtschaft schreibt Valentin Dornis über die Verwirrung, wenn “jeder harmloser Post“ als Werbung gekennzeichnet wird:

“Doch wenn alles Werbung ist, dann ist nichts mehr Werbung. Das kann nicht das Ziel der Regulierung sein. Es profitieren ausgerechnet diejenigen, die ihre Produkte möglichst unauffällig unter die Leute bringen wollen. Werbevorschriften sollten dafür sorgen, dass bestimmte Inhalte hervorstechen - nämlich solche, die tatsächlich Werbung sind. Nur dann können Nutzer ein Video oder einen Instagram-Post verlässlich einschätzen.“

Gerd Billen, Staatssekretär im Justizministerium, hat bereits am Dienstag im ZDF ein Gesetz angekündigt, das endlich Klarheit schaffen soll. “Noch in dieser Legislaturperiode“, so Frank in der SZ, solle es eine Regelung geben. Je nachdem, wie lange die noch geht, könnte die Regierung hier einmal mehr der Entwicklung hinterherhinken. Dornis schreibt dazu:

“Bisher stehen die Regeln vor allem im Rundfunkstaatsvertrag und dem Telemediengesetz. Ein neues Gesetz, das solche Fragen regelt, muss künftig ständig und zügig überarbeitet werden. Denn schon bald kann es neue Plattformen, neue Werbe- und Kennzeichnungsmöglichkeiten geben. Wenn das neue ‚Influencer-Gesetz‘ bei diesen Entwicklungen auch schon wieder alt aussieht, dann ist niemandem geholfen.“

Auch offen ist die Frage, wer beim Thema Influencer am Ende Ansprechpartner sein soll, weiterhin die 14 Landesmedienanstalten oder eine neue, zentrale Stelle, und auch, wer dazu am Ende zählt, auch Sportler, Musiker, Schauspieler, die Produkte vorstellen, oder sogar Politiker (siehe Altpapier von letzter Woche).


Altpapierkorb (Iwan Golunow, Gewalt an Journalisten, News und Hass im Netz, Deepfake und  SZ Familie)

+++ Nach der überraschenden Freilassung des russischen Investigativjournalisten Iwan Golunow (siehe Altpapier von gestern) aus der Haft geben Alice Bota und Julia Smirnova in der Zeit einen Überblick über Medien- und Meinungsvielfalt in Russland.

+++ Medienberichten zufolge wurde die Reporterin Norma Sarabia in der Stadt Huimanguillo ermordet. Es ist bereits der sechste Mord an JournalistInnen in diesem Jahr in Mexiko, meldet die Deutsche Welle.

+++ Der Kameramann Vadim Makarjuk aus der ostukrainischen Metropole Charkiw ist am Freitag von Vertretern des rechtsradikalen “Nationalen Corps“ überfallen und schwer verletzt worden, schreibt Bernhard Clasen in der taz. Es ist nicht der erste Angriff auf Journalisten in der Stadt.

+++ Junge Menschen konsumieren Nachrichten überwiegend auf Instagram, zitiert Süddeutsche.de aus dem Reuters Institute Digital News Report. Gleichzeitig halten zwei Drittel der Internetznutzer soziale Medien für nicht vertrauenswürdig, wie man bei Zeit Online nachlesen kann.

+++ Noch eine Umfrage: Der Landesanstalt für Medien NRW zufolge haben drei Viertel der Befragten schon persönlich Hate Speech im Internet wahrgenommen, meldet die FAZ (Blendle). In der Gruppe der 14- bis 24-Jährigen sind es sogar 94 Prozent.

+++ Noch mehr Hass: Was passiert auf Youtube mit den antisemitischen Kommentaren gegen Marcel Reich-Ranicki? Michael Hanfeld wollte für die FAZ wissen, ob die Video-Plattform Hassrede und Verleumdung nachgeht und hat den Legal Support konfrontiert.

+++ Ein Deepfake-Video, das Teil einer Kunstaktion ist und den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg über “gestohlene Daten von Milliarden Menschen“ sprechen lässt, macht die soziale Medienrunde (teilweise mit dem Label “falsch“). Wie Deepfake funktioniert und welche Auswirkungen – medial und privat – die Technik haben kann, erklärt Johannes Kuhn in der Süddeutschen Zeitung.

+++ Weekly bad print news: Der Süddeutsche Verlag stellt – trotz wachsender Abozahlen – ihr Magazin SZ Familie ein, meldet Meedia. Die letzte Ausgabe soll im Oktober erscheinen. Das Wendeheft für Kinder und Erwachsene ist seit April 2017 auf dem Markt. Erst vergangene Woche kündigte Gruner + Jahr das Aus vom Elternmagazin Nido an. (siehe Altpapier)

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag!