Teasergrafik Altpapier vom 18. Juli 2019: Presse-Person hält Abwehrschild mit der Aufschrift "Reporter ohne Grenzen - für Informationsfreiheit - Help Desk".
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Das Altpapier am 18. Juli 2019 Verdrängte Bedrohungsszenarien

Der neue Helpdesk von Reporter ohne Grenzen ist ein bisschen wie Zahnseide (für die Datensicherheit von Journalist*innen). Apple spitzt das Game of Thrones bei den Audioangeboten zu. Die türkische Justiz ist für eine Überraschung gut. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Im Vergleich zu den brasilianischen Kolleg*innen haben wir deutschen Journos wohl ein recht sorgenfreies Leben. Ok, Arbeitsverdichtung hier, prekäre Arbeitsverhältnisse dort, Lügenpresserufer und seltsame Anwandlungen zum Quellenschutz aus dem Innenministerium sind auch nicht gerade elysische Zustände. Aber dass aus Deutschland mal jemand mit dem International Press Freedom Award des CPJ (Committee to Protect Journalists) ausgezeichnet wurde, daran kann ich mich nicht erinnern.

Die Ehrung geht im November unter anderem an die Brasilianerin Patrícia Campos Mello. Die Journalistin und Kolumnistin der Zeitung Folha de S. Paulo arbeitete viel als Auslandskorrespondentin, bevor sie vor der Präsidentschaftswahl 2018 online angegriffen wurde. Vorher hatte sie über illegale Wahlkampffinanzierung bei der Verbreitung von WhatsApp-Wahlwerbung für den rechten Kandidaten und jetzigen Präsidenten Jair Bolsonaro berichtet. Mello wurde dabei gedoxt: Ihr WhatsApp-Account wurde gehackt, persönliche Informationen online verbreitet, sie wurde bedroht und Ziel von Desinformationskampagnen, berichtet die Rio Times.

In Deutschland ist Doxing (also die strategische Veröffentlichung persönlicher Daten wie offizieller Dokumente, Chatverläufe, Bilder, etc. nach einem Hack persönlicher Accounts oder dem Zusammentragen im Netz) als Einschüchterung, Vergeltung, Machtdemonstration, Selbstvergewisserung oder sonst wie motiviertes Mittel, um Journalist*innen zu schaden, noch vergleichsweise wenig verbreitet.

Zahnseide für die Cybersicherheit

Seit dem kurzen Aufruhr nach den Anfang des Jahres bekannt gewordenen Doxing-Fällen (Link zum Altpapier) gegen Politikerinnen, Journalisten und Prominente ist es um Cyber-Sicherheit für Journalist*innen – zumindest in der Öffentlichkeit – wieder deutlich ruhiger geworden. Einer der Betroffenen war Hajo Seppelt, der vor allem durch seine Recherchen über Doping im russischen Spitzensport bekannt wurde. Nach dem G0d-Leak sagte er bei Deutschlandfunks "@mediasres":

"Ich finde es viel schlimmer, wenn sensible und vertrauliche Informationen aus dem privaten Sektor oder Recherche-Ereignisse öffentlich werden, oder wenn man Leute versucht, zu kompromittieren. Also allgemein gesagt ist Datensicherheit im öffentlichen Raum, gerade bei Journalisten, ein wichtiges Thema, das auf jeden Fall diskutiert werden muss. Auch in meinem Berufsalltag war über die Jahre wahrscheinlich nicht immer die nötige Sensibilität vorhanden, das muss ich schon zugeben."

Und da das Thema für viele noch immer super unsexy und anstrengend ist und in etwa den Status eines Zahnarztbesuchs hat – erst wenn’s wehtut geht man hin – versuchen die Reporter ohne Grenzen gerade mal wieder, einen Spot auf die Problematik zu lenken. Dr. med. dent. Christian Mihr (ähm, eigentlich Geschäftsführer der RoG) diagnostiziert:

"Digitale Gefahren gehen in der journalistischen Arbeit längst einher mit physischen Bedrohungen. Dennoch wissen viele Journalistinnen und Journalisten nicht genug, um sich selbst und ihre Quellen zu schützen."

Unsere Adress- und Notizbücher oder Laptops würden wir ja auch nicht wahllos und kaum gesichert im Café oder der Bahn rumliegen lassen. Warum tun wir es also im Netz häufig noch? Mit einem neuen Online-Helpdesk stellt die Organisation nun Infos rund um Verschlüsselung, Anonymisierung, Account-Sicherheit, einen professionellen Umgang mit Hassrede und Falschnachrichten bereit. Mit einem interaktiven Tool können User eigene Bedrohungsszenarien angeben und werden dann automatisch auf mögliche Gegenmaßnahmen hingewiesen. Das ist im Prinzip wie Zahnseide: Kostet etwas Mühe, belastet Nerven und Konto aber nicht annähernd so hart wie Kronen, Wurzelbehandlungen oder halt in der im Netz verstreute persönliche Daten. Also Leute, hin da!

Game of Podcasts

Eine solche Aufforderung muss man nicht aussprechen, wenn es um Podcasts geht. Im Vergleich zum Zeitungsmarkt (siehe z.B. Altpapier vorgestern) herrschen in der Podcast-Branche vergleichsweise elysische Zustände. Eine Jubelmeldung jagt die nächste: Nutzerzahlen und Werbeausgaben steigen stark an (manches ist allerdings lediglich Kosmetik), Werbung scheint eine enorme Akzeptanz unter den Hörer*innen zu haben und Monetarisierungsmöglichkeiten tun sich auf. Ein neuer Boom auf dem Markt wird seit gefühlt einem Jahrzehnt alle paar Monate auf’s Neue verkündet.

Interessant ist die Branche nicht nur durch das fröhlich in die Breite gedeihende Angebot, den engen Kontakt zwischen Hörern und Podcaster*innen und vergleichsweise niedrigen Hürden, um neue Formatideen umzusetzen. Der nun wohl von Apple in den Blick genommene Schritt, selbst ins Podcast-Geschäft einzusteigen und nicht mehr nur Aggregator zu sein, wird noch mehr Wirbel in den Markt bringen. Bei Bloomberg berichten Lucas Shaw und Mark Gurman:

"Executives at the company have reached out to media companies and their representatives to discuss buying exclusive rights to podcasts, according to the people, who asked not to be identified because the conversations are preliminary. Apple has yet to outline a clear strategy, but has said it plans to pursue the kind of deals it didn’t make before.”

Apple ist laut Bloomberg der größte Player in dem Bereich. 50 bis 70 Prozent der Nutzung findet demnach in der Podcast-App von Apple statt. Auch Spotify ist in der Branche natürlich nicht untätig und hat vergangenes Jahr die Podcast-Produktionsfirma Gimlet Media gekauft. Man wolle die "führende Plattform für Podcast-Entwickler auf der ganzen Welt und der führende Hersteller von Podcasts [...] werden", berichtete t3n. Allerdings rutschte der Aktienkurs der Schweden durch die Ankündigung von Apple nun erstmal etwas ab (ebenfalls t3n). Das Game of Audio-Throne spitzt sich etwas weiter zu.

Apples Schritt war absehbar, vor allem weil der Konzern mit der Podcast-App, dem iPhone, dem HomePod der Sprachassistentin Siri wichtige Komponenten der Audio-Verbreitung bündelt. Das verleiht nun der Frage nach gleichberechtigter Auffindbarkeit eine neue Dringlichkeit. Denn wenn viele der Verbreitungskomponenten in einer Hand zusammenlaufen ist es natürlich verlockend, eigene Angebote zu pushen. Das könnte auf die aktuell blühende Vielfalt etwa so Wirken wie Glyphosat.

Seit der Veröffentlichung des zweiten Entwurfs für den neuen Medienstaatsvertrag ist klar: Zumindest in Deutschland will die Rundfunkkommission der Länder regeln, dass Inhalte auch auf "akustisch vermittelten" Benutzeroberflächen

"bei der Auffindbarkeit, insbesondere der Sortierung, Anordnung oder Präsentation in Benutzeroberflächen, nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich behandelt werden [darf]; ihre Auffindbarkeit darf nicht unbillig behindert werden. Zulässige Kriterien für eine Sortierung oder Anordnung sind insbesondere Alphabet, Genres oder Nutzungsreichweite. Alle Angebote müssen mittels einer Suchfunktion diskriminierungsfrei auffindbar sein."

Damit schickt die federführende Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz schon mal Grüße an Alexa, Siri, Google und Co. Etwas detaillierter aufgedröselt habe ich das Ganze vergangene Woche für epd Medien.

Aber nochmal zurück zu Apple: Der Konzern ist hier sicher nicht nur der Bösewicht. Eine Zusammenarbeit mit einem solchen Riesen könnte für Medienunternehmen und Podcaster*innen durchaus lukrativ sein und neue Tore öffnen: Die Finanzierung und die damit verbundenen Produktionsmöglichkeiten könnten neue Chancen für gut recherchierten, weit in die Tiefe gehenden Content geben.

Wenn Zeit und Geld da sind, bietet das Format Podcast hier ja Chancen wie kaum ein anderes Medium. Andererseits wäre da eben auch die Frage der Abhängigkeit von einem Tech-Riesen, die das Gatekeeping für Medieninhalte wieder einen Schritt weiter Richtung Silicon Valley verschieben würde.


Altpapierkorb (Freisprüche in Türkei, Falschmeldungen zu Spahn, Felix Kovac und die APR)

+++ "Ab und zu ist selbst die türkische Justiz noch für eine Überraschung gut", freut sich Korrespondent Jürgen Gottschlich bei der taz. Der Anlass: Gestern wurden der türkische Vertreter von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoğlu, der Journalist und Autor Ahmet Nesin, und die Professorin und Menschenrechtsaktivistin Şebnem Korur Fincancı vom Vorwurf der Terrorpropaganda (schon gestern im Altpapier erwähnt) freigesprochen. Aber: "Während Önderoğlu, Nesin und Fincancı jetzt freigesprochen wurden, stehen andere wegen desselben Vorwurfs noch immer vor Gericht oder sind bereits verurteilt oder haben lange in Untersuchungshaft gesessen."

+++ Auf der Medienseite der Süddeutschen (leider bisher nicht online) wundert sich Clara Lipkowski über die halbherzigen Korrekturen der Falschmeldung "Jens Spahn wird neuer Verteidigungsminister" (z.B. Focus). Und bei dwdl.de wundert sich Alexander Krei über ein Interview mit Annegret Kramp-Karrenbauer in den "Tagesthemen", das zu seiner Sendezeit schon längst wieder veraltet war. Irgendwie aber auch amüsant, denn in dem Nachrichtenmagazin "war ein Interview zu sehen, das Moderatorin Pinar Atalay mit der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer führte - und zwar noch bevor bekannt wurde, dass sie neue Verteidigungsministerin wird. Dementsprechend druckste die Politikerin herum, als Atalay sie auf Jens Spahn ansprach, dem zu diesem Zeitpunkt die besten Chancen für die Nachfolge von Urusla von der Leyen nachgesagt wurden." Was die ARD selbst dazu sagt, steht ebenfalls bei dem grünen Branchendienst.

+++ Antenne Bayern-Chef Felix Kovac will raus aus dem Amt des APR-Vorsitzenden (Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk), berichtet Gregory Lipinski bei Meedia.de. Über die Gründe seiner Entscheidung werde "heftig spekuliert."

+++ "Seit 2008 wurde fast jeder zweite Arbeitsplatz in US-Zeitungsredaktionen eingespart", berichtet der österreichische Standard über die Studie "State of the News Media" des Pew Research Centers. Medienübergreifende Zahlen gibt’s dort auch.

+++ Vor Risiken bei Facebooks Krypto-Währung Libra warnen laut Zeit Online die US-Regierung und der Notenbankchef.

+++ Heute schon die Zeit gehört? Die Wochenzeitung macht einen weiteren Schritt in die Richtung des wachsenden Audio-Geschäfts und bietet in ihrer neuen App verschiedene Artikel zum Hören an. Das Ganze ist freemium, also teils kostenpflichtig. Als Alexa-Skill gibt es ein ähnliches Angebot schon seit Jahresbeginn.

+++ Henrik Rampe hat sich für Horizont+ (Registrierung erforderlich) angeschaut, welche Strategien Medienhäuser verfolgen, um die junge "Info-Elite" zu erreichen. Dabei geht es unter anderem auch um Podcasts und Audio-Inhalte: "‘Durch eine erfolgreiche Podcast-Episode schießen in der nächsten Woche nicht unsere Abozahlen in die Höhe. Aber darum geht es auch erst mal nicht. Es geht um Markenbildung‘, erklärt Röpke [Christian, Zeit-Online-Geschäftsführer]. Dafür nehmen Leitmedien auch in Kauf, als Trittbrettfahrer die Hoheit über Userdaten an Plattformbetreiber wie Facebook oder Spotify abzutreten."

+++ Für die Emmys ist in diesem Jahr nur "Game of Thrones” nominiert. Ach ne, nur in 32 Kategorien, berichtet der Tagesspiegel und lenkt den Blick auch auf die anderen Nominierungen.

Neues Altpapier gibt’s wieder am Freitag.