Teasergrafik zum Altpapier vom 22. August 2019: Topfschlagen auf Topf mit Schrift "Wahrheit"
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Das Altpapier am 22. August 2019 Topfschlagen um die Wahrheit

Falsche Berichterstattung beim Spiegel oder Falschaussagen bei der SPD? Vizekanzler Olaf Scholz will nun doch Vorsitzender der SPD werden, um die Umstände seiner Kandidatur wird ein Geheimnis gemacht, dabei würde der angeschlagenen Partei Transparenz gut stehen. Außerdem: Soziale Medien fördern stereotype Geschlechterbilder. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.

Seit vergangenen Freitag wissen wir dank einer Exklusiv-Geschichte im Spiegel, dass Olaf Scholz nun doch als Parteivorsitzender der SPD kandidiert. Wann und unter welchen Umständen die kommissarischen Parteivorsitzenden davon erfahren haben, darüber wird schon die ganze Woche diskutiert. Es geht dabei um diesen Absatz aus der Spiegel-Geschichte:

“Am frühen Montagmorgen wählt sich Scholz noch vor neun Uhr in eine Telefonschalte mit den drei kommissarischen Parteichefs ein, Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel. Er sagt: 'Ich bin bereit anzutreten, wenn ihr das wollt.‘ Es regt sich kein Widerspruch, damit steht der Plan. Es wird Stillschweigen vereinbart, doch in allerhöchsten Parteikreisen wird bestätigt: Scholz sei fest entschlossen. Er wolle antreten.“

Unnötig und unsäglich das szenische Präsens am Anfang des Absatzes, das suggeriert, die Reporter seien bei dem Telefonat dabei gewesen, aber ich fange jetzt nicht mit der Modelleisenbahn im Keller an. Am Montag jedenfalls gab es Widerspruch von einem der Teilnehmer der angeblichen Telefonschalte. Thorsten Schäfer-Gümbel sagte in einer Pressekonferenz mit Dreyer und Schwesig, wie die Süddeutsche Zeitung am Montag online berichtet:

“Wir erleben es regelmäßig, dass es Meldungen gibt, die mit der Realität nichts zu tun haben. Beispielsweise diese angebliche Telefonkonferenz in der vergangenen Woche zwischen uns drei und Olaf Scholz: Die hat's nie gegeben.“

Im SZ-Artikel wird außerdem ein SPD-Sprecher zitiert, der sagt, es habe “am Montag, den 12. August, vor 9 Uhr keine Schalte der drei kommissarischen SPD-Vorsitzenden mit Olaf Scholz gegeben“.

Hier beginnt schon das Chaos. Gab es “nie“ eine solche Telefonkonferenz oder nur nicht am 12. August vor neun Uhr? Dass man bei der SPD nicht will, dass der Eindruck entsteht, Entscheidungen würden in Hinterzimmertreffen oder -telefonaten gefällt, ist nachvollziehbar, das Gezeter um das Gespräch, wann und wie es stattgefunden hat oder nicht, schürt jedoch nur noch mehr Misstrauen.

Der Spiegel bleibt bei seiner Darstellung und bezieht sich in einer Meldung in eigener Sache von Dienstag auf zwei “voneinander unabhängige, vertrauenswürdige Quellen“, die nach Konfrontation mit Schäfer-Gümbels Aussagen dabei bleiben.

Scholz selbst sagte am Mittwoch in einer Bundespressekonferenz (Video-Ausschnitt unter anderem hier), dass er keine Auskunft über “vertrauliche und interne Gespräche“ gebe. Auf die Frage, ob die Version aus dem Spiegel oder die der SPD stimme, sagte er, das sei “Topfschlagen, das man den Kindern überlassen sollte“, und am Schluss: “Seit Montag wissen alle Bescheid.“

Unbeeindruckt von Scholz‘ Versuch, die Vorwürfe kleinzureden fordern unter anderem Parteikollegen und Journalisten Aufklärung. Abgesehen davon, dass der angeschlagenen Partei Transparenz gut stehen würde, ist das Telefonat nicht nur ein Randaspekt von Scholz‘ Kandidatur. Es geht um die Frage, ob er sich selbst oder die Darstellung im Spiegel ihn in eine Sonderrolle bringt, als Wunschkandidat der kommissarischen Parteiführung, als designierter Retter der Partei.

Im Ticker vom Münchner Merkur kommen Maximilian Kettenbach, Florian Naumann und Daniel Geradtz zum Fazit:

“In der SPD brodelt es mal wieder. Es geht um Unparteilichkeit und Glaubwürdigkeit der Parteispitze um Schwesig, Dreyer und Schäfer-Gümbel - und schlicht um Transparenz.“

Um Glaubwürdigkeit geht es auch beim Spiegel, dem falsche Berichterstattung vorgeworfen wird und der aus Gründen (siehe Altpapiere) unter kritischer Beobachtung steht.

Geld verdienen mit Stereotypen

In den Netzwerken ist die Themenaufteilung konservativ: Schmink- und Rezept-Videos für Frauen, Politik und Gaming für Männer. In der Taz schreibt Carolina Schwarz, schuld an dieser Entwicklung – oder eher Nicht-Entwicklung – seien daran nicht nur InfluencerInnen. Es gebe “auch bei Instagram & Co erfolgreiche Frauen, die sich mit Politik und Klimaschutz auseinandersetzen, oder Männer, die Schmink-Tutorials geben.“ Die Vielfalt sei da – “bei Instagram wie in unserer Gesellschaft“. Weiter schreibt sie:

“Dass Influencer*innen geschlechterstereotype Themen besetzen und damit nicht als Vorbilder für progressive Frauenbilder taugen, ist nicht nur ihren Interessen geschuldet. Denn sie suchen ihre Themen auch danach aus, wie lukrativ und sicher sie sind – also wie viel Hass sie für ihre Themensetzung ernten.“

Bereits 2017 und Anfang 2019 wurden mehrere Studien zum Thema Frauenbilder in den neuen Medien sowie in Film und Fernsehen vorgestellt, die die MaLisa Stiftung der Schauspielerin Maria Furtwängler und ihrer Tochter Elisabeth Furtwängler durchführen ließ. (siehe Altpapier)

Ausgewertet wurden Youtube-Videos, Instagram-Beiträge und Musikvideos sowie Kino- und Fernsehfilme, mit dem Ergebnis, dass Frauen dort jeweils unterrepräsentiert sind und ihre Darstellung außerdem auf stereotypen und veralteten Geschlechterrollen beruht. Weitere Studien brachten ähnliche Ergebnisse.

“So bedienen weibliche YouTuberinnen vor allem Themen wie Beauty, Kochen oder Beziehungen – während die männlichen ein deutlich breiteres Themenfeld abdecken von Politik über Comedy bis hin zu Sport“,

schrieb ebenfalls Carolina Schwarz Anfang des Jahres in der Taz über die Studien und relativierte die Studienergebnisse fast im gleichen Wortlaut:

“Es ist (...) nicht allein persönlichen Interessen geschuldet, dass geschlechter­stereotype Themen unter YouTuberinnen dominieren, sondern auch Trollen und einem sexistischen Markt.“

Es ist die alte Frage nach Angebot und Nachfrage – wer richtet sich nach wem, und kann es im Kapitalismus überhaupt Gleichberechtigung geben? Fakt ist, dass sich mit Stereotypen viel Geld verdienen lässt. Das ist auf jeden Fall eine bewusste Entscheidung, kein Unterwerfen im Markt oder Hasskommentaren.

InfluencerInnen sind nicht alleine Schuld an Stereotypen, aber sie verstärken sie weiter und beschleunigen sie sogar, weil sie zwischengeschaltet sind zwischen Markt und KonsumentInnen und omnipräsent in der Hosentasche auf allen möglichen Kanälen. Und das hat nicht nur Einfluss auf Mode und Kosmetik, sondern auch auf Weltbilder. In der Studie (PDF) von Plan International gaben 35 Prozent der befragten Frauen, die täglich soziale Medien nutzen, an, dass “Frauen in erster Linie den Haushalt und den Alltag der Familienmitglieder im Griff haben sollten“. Für mehr als die Hälfte der Männer, die täglich in sozialen Netzwerken sind, ist es “in Ordnung, wenn Frauen für die gleiche Arbeit weniger Geld erhalten als sie.“


Altpapierkorb (Rezo-Update, Facebooks “News Tab“, Pressefreiheit in Belgien, gefürchtete Investigativjournalisten):

+++ Obligatorisches Rezo-Update: Am Mittwoch hat sich der DJV-Vorsitzende Frank Überall bei Rezo entschuldigt, nachdem er in Bezug auf seinen Print-Rant (siehe Altpapiere hier und hier) unter anderem von “Hetze“ sprach (dieses Altpapier), schreibt Joachim Huber im Tagesspiegel. Kritik am Journalistenverband gabs unter anderem von Anja Reschke.

Rezo hat die Entschuldigung angenommen, auf Twitter schrieb er: “Update: Der Vorsitzende hat sich entschuldigt, und damit ist diese Sache für mich erledigt. Da sollte jetzt auch niemand respektlos nachtreten.“

Alexander Nabert fasst in der Taz die Reaktionen auf das Rezo-Video zusammen: “Rezo hat es nicht 'wieder getan‘ (Redaktionsnetzwerk Deutschland), sich nicht die Medien 'vorgenommen‘ (dpa) und schon gar nicht 'zerlegt‘ (Watson). Dass Rezo nicht erneut wochenlang recherchiert hat, merkt man.“ Sein Fazit: Cool down. “Rezos Meinungen kann man teilen oder eben nicht. Aushalten aber sollte man sie können. Und nicht in Panik verfallen.“

+++ Der geplante Nachrichtenfeed “News Tab“ sei “Facebooks neuester Trick, sein angekratztes Image aufzupolieren“, kommentiert Tanja Tricarico in der Taz. Die Plattform, der seit Jahren vorgeworfen wird, Fake News weiterzuverbreiten, sei “kein Berichterstattungsorgan, das Nachrichten nach journalistischen Standards aufbereitet und verbreitet.“ Bei Medienpolitik.net kritisiert Dr. Eduard Hüffer, Verleger und Geschäftsführer von Aschendorff Medien (u.a. Westfälische Nachrichten) die geplante pauschale Vergütung von Verlagen für deren Inhalte. Wichtig sei es, “die Nutzungsrechte nicht unter Wert abzugeben und einen angemessenen Preis dafür auf einem freien Markt zu erhalten“.

+++ Brüssel-Korrespondentin Karoline Meta Beisel schreibt auf der SZ-Medienseite über einen Gesetzesentwurf in Belgien, der vergangene Woche bekannt wurde und demzufolge Journalisten und Whistleblower Strafen von bis zu 5.000 Euro zahlen müssen, wenn sie geschützte Informationen veröffentlichen. Netzpolitik zufolge drohen dort Beamten, die geheime Dokumente weitergeben, um Missstände aufzudecken, bis zu fünf Jahre Gefängnis.

+++ Apropos Pressefreiheit: Bei einer Pressekonferenz in Moskau haben Heiko Maas und der russische Außenminister Sergej Lawrow heftig über die Festnahme eines Korrespondenten der Deutschen Welle bei nicht erlaubten Protesten im Juli in Moskau diskutiert, meldet Spiegel Online.

+++ Die meist gefürchteten Investigativredaktionen in Deutschland sind “Frontal 21“ und der Rechercheverbund aus NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, ergab eine Umfrage unter Fach- und Führungskräfte von Pressestellen und aus der PR, meldet Meedia. Günter Wallraff schafft es nur auf Platz fünf.

+++ Auf der FAZ-Medienseite (Blendle) berichtet Axel Weidemann von der World Science Fiction Convention, kurz Worldcon, in Dublin, in der es auch um Geschlechterrollen im Genre geht.

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.