Teasergrafik Altpapier vom 16. September 2019: Laufender Björn Höcke vor ZDF Kogo
Bildrechte: MDR/Collage MEDIEN360G / ZDF

Das Altpapier am 16. September 2019 Vorbildlich bis wegweisend

16. September 2019, 12:06 Uhr

Björn Höcke droht dem ZDF, das sich nicht beeindrucken lässt. Juan Morenos Buch über den Relotius-Fall erscheint. Der Luke-Mockridge-PR-Stunt ist abgeschlossen. Von heute an geht es ARD-intern um die Verlegung des “Weltspiegels“. Und bei Axel Springer stehen sogenannte Umschichtungen an. Ein Altpapier von Klaus Raab.

“Im ZDF-Fernsehrat gibt es Kritik an der Berichterstattung des Senders zu den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg.“ So begann am Freitagnachmittag eine epd-Agenturmeldung, die alsbald von welt.de, tagesspiegel.de oder indirekt von spiegel.de aufgegriffen worden ist. Bild war ebenfalls rasch informiert, laut Zeitstempel veröffentlichte bild.de schon 16 Minuten vor dem Evangelischen Presse-Dienst einen Text: “In der Debatte im Fernsehrat hatte unter anderem der frühere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) als Vertreter der Bundesregierung bemängelt, Journalisten würden sich oft nicht gründlich auf Gespräche mit AfD-Vertretern vorbereiten“, heißt es dort.

Nach dem MDR (Altpapier, siehe auch Altpapierkorb weiter unten), auf dessen Seiten bekanntlich dieses Blog erscheint, wurde nun also das ZDF für die Wahlberichterstattung kritisiert. Sicher nicht rundum unberechtigt (anderes Altpapier) – wobei Journalisten eigentlich klar ist, wie schwierig es ist, AfD-Leute so zu interviewen, dass die nicht selbst am meisten Gewinn daraus ziehen.

ZDF-Intendant und -Chefredakteur verteidigten die Berichterstattung, räumten ein, erklärten, wiesen auf Schwierigkeiten und Verpflichtungen hin usw. usf. – aber die beste Verteidigung lief dann wohl am Sonntagabend in “Berlin direkt“. Das Interview mit Thüringens AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke vom völkischen Parteiflügel, das dort teilweise ausgestrahlt und in voller Pracht – Transkript inklusive – in der Mediathek zugänglich gemacht wurde, scheint vielen vorbildlich bis wegweisend zu sein (Tweet 1, Tweet 2, Tweet 3).

“In dem Gespräch (…) ging es zunächst um die Sprache von Björn Höcke, der zum rechtsnationalen Flügel seiner Partei gerechnet wird und sich, so der Interviewer, bewusst Formulierungen bediene, die an NS-Vokabular erinnern“ (zum Beispiel sueddeutsche.de). Der AfD-Sprecher will das Interview nach knapp 12 Minuten von vorne beginnen, damit Höcke überlegter antworten könne. ZDF-Journalist David Gebhard schließt das aus: “Da kommen wir jetzt auch in den sensiblen Bereich der Pressefreiheit rein, in dem Moment, wo ich die Fragen so oft stellen soll, bis Sie mit den Antworten zufrieden sind.“

Schließlich bricht Höcke, nachdem er “Konsequenzen“ angekündigt hat, das Interview ab. Und gefällt sich nun möglicherweise gut in der Opferrolle – weshalb der Rechtsextremismusforscher Matthias Quendt empfiehlt, die Diskussion auf den Anfang des Beitrags, nicht auf sein Ende zu konzentrieren.

Über Juan Morenos Buch über den Fall Relotius

Erst von Dienstag an darf laut Verlag das Buch von Juan Moreno über den Fall Relotius (Altpapiere) besprochen werden. Von einem hier schon erwähnten Zeit-Interview mit dem Autor und ausführlichen Texten in der Süddeutschen Zeitung vom Samstag, der Welt am Sonntag und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Blendle, 0,45 €) abgesehen, gibt es deshalb noch relativ wenig Material darüber. Der Vorschlag des Verlags, eine Sperrfrist bis zum 17. September einzuhalten, hat offensichtlich Wirkung gezeigt. Ähm, ja.

Auch hier noch “kein“ Wort über das Buch – außer dass Juan Moreno ein Kunststück gelingt: Man kann gerade das am schlechtesten recherchierte Pflichtkapitel eigentlich nicht überblättern. Es heißt: “Der Text, der alles veränderte“. Unterzeile: “'Jaegers Grenze‘ von Juan Moreno und Claas Relotius, erschienen im 'Spiegel‘ am 27. 11. 2018“. Der besagte Text mag auch online (pdf) auffindbar sein; trotzdem gehört er natürlich in dieses Buch. Im Lauf der unabhängig voneinander geführten, dann aber von Relotius zu einem gemeinsamen Text zusammengeschraubten Recherchen kam Moreno seinem ehemaligen Kollegen auf die Schliche.

Auch die Besprechungen des Buchs sind freilich schwer überblätterbar, wenn man sich für die Angelegenheit interessiert. In ihnen zeigt sich, welche Fragen an Buch und Fall gestellt werden. Es sind in FAS und SZ recht unterschiedliche Fragen.

SZ-Rezensent Ralf Wiegand beginnt mit einem Aspekt, den der Perlentaucher als “die uninteressanteste aller Fragen“ bezeichnet: “Darf der das? Darf Moreno, der freie Journalist, der die meisten seiner Aufträge vom Spiegel erhält, ein Buch über die größte Katastrophe schreiben, die dem Magazin je widerfahren ist? (…) Die kurze Antwort: Klar darf der das. Und gut, dass er es gemacht hat.“

Harald Staun kommt in der FAS aus größerer Distanz und fragt, ob Relotius’ Texte eigentlich gut wären, wenn er sie nicht zu weiten Teilen erfunden hätte. Die Ergebnisse seiner Methodik jedenfalls hätten, schreibt er, “außerhalb der preissüchtigen Reporterwelt ja nicht erst seit dem Bekanntwerden der Fälschungen oft als kunstvoll arrangierter, haltungsloser Kitsch“ gegolten. Hier setzt eine Journalistenpreiskritik an, in die Staun auch Moreno einbezieht:

“(T)rotz aller Kritik scheint auch er die Währung anzuerkennen, in der Relotius’ Ruhm belohnt wurde – nicht nur die Relevanz der Preise, sondern auch die Gültigkeit der Kriterien, die seine Märchen zu gutem Journalismus machten. Der Reporterpreis, den Relotius in Serie gewann, ist auch für ihn ein 'Ritterschlag‘; 'jeder Journalist will ihn gewinnen‘, behauptet er, und 'der Feuilletonist, der sein Büro seit Jahren nicht verlassen hat und Reportern erklärt, sie würden die Welt falsch beschreiben‘, sei ihm ohnehin 'zuwider‘.“

Die Welt am Sonntag derweil beschäftigt sich, stärker als die beiden anderen, mit dem Spiegel selbst und fragt etwa nach der Zukunftsfähigkeit seiner Struktur (“Ist die KG heute mehr Fluch als Segen?“).

Eine Causa immerhin ist abgeschlossen

Wenn etwas umso relevanter ist, je relevanter es auch nach einem Jahr noch erscheint, ist der Fall Mockridge (Altpapier) – oder sollte man “Causa“ sagen? – tendenziell nicht das heißeste aller Eisen. Aber solche Überlegungen spielen im aufregungsorientierten Bereich des Journalismus nicht die allergrößte Rolle. Die Anzahl der Texte darüber ist am Wochenende, an dem Mockridge Aufklärung über seinen PR-Stunt im “Fernsehgarten“ lieferte, jedenfalls noch einmal vorbildlich bis wegweisend gewesen. Sie reichten von “Fernsehgarten“-Skandalverlängerungsberichterstattung über “Mockridge macht noch einen Obstwitz“-Klickviehtexte bis zum “Fernsehgarten“-Liveticker. Aber immerhin kann nun verkündet werden: Der Skandal ist vorbei.

Bei Zeit Online braucht der letzte Spex-Chefredakteur Daniel Gerhardt nur einen Vierwortsatz, um “die Aufdröselung des ganzen Fernsehgarten-Stunts“ in der Show zu rekapitulieren – was die tatsächliche Bedeutung des vermeintlichen Eklats grob abbildet: “Das seien Kinderwitze gewesen.“

Ein klein wenig weiter ins Detail geht in der Sache Christian Buß bei Spiegel Online (für dessen Kulturressort ich – Transparenzhinweis – über Fernsehen schreibe). Im Vordergrund steht aber auch bei ihm die Frage, wie die neue Mockridge-Show ist. Den Kern des Pudels entdeckt er in den Werbeblöcken: “Von Pflästerchen für pickelige Zwölfjährige bis zur Haftcreme für die dritten Zähne wurden Produkte für wirklich alle Altersklassen beworben; Zielgruppenansprache geht anders“, schreibt er – und kommt zur Deutung, dass es sich um Absicht handeln könnte: Die Show verbinde “auf sehr eigentümliche Weise die Generationen“. Etwas, was man sonst derzeit nur über das sogenannte Unterhaltungsprogramm der öffentlich-rechtlichen Hauptsender von Pflaume (“Klein gegen Groß“) bis von Hirschhauen (“Frag doch mal die Maus“) sagen kann.

“Eine wegweisende Entscheidung für die ARD“

Aber apropos Qualitätsinseln der Öffentlich-Rechtlichen: Ein Medienthema dieser Woche steht schon ziemlich fest – die Diskussionen über die Verlegung des “Weltspiegels“ der ARD auf einen früheren Termin (Altpapier). Denn heute und morgen treffen sich die ARD-Intendanten in Stuttgart, um unter anderem über den Sendeplatz zu beraten und “eine wegweisende Entscheidung für die ARD“ zu treffen – so formulierte es laut Medienkorrespondenz Diemut Roether von epd Medien “am 13. September in Stuttgart in ihrer Rede beim Festakt zur Übergabe des SWR-Intendantenamts von Peter Boudgoust an Kai Gniffke“. Sie appellierte demnach an letzteren:

“Es geht um die Frage, ob der 'Weltspiegel‘, das Fenster der ARD zur Welt, am Sonntag seine angestammte Sendezeit vor der 'Tagesschau’ behält oder ob er dem Sport weichen muss. Ich kann Sie nur herzlich bitten: Denken Sie an den Auftrag und stimmen Sie für das bessere Programm!“

Dieter Anschlag leitartikelt zum Thema in der, ebenfalls, Medienkorrespondenz, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse sich

“mehr denn je darauf besinnen, dass er mit einer Programmsubstanz kenntlich wird, die anderswo so nicht zu haben ist. (…) Wenn die derzeitigen 'Weltspiegel‘-Pläne eines anregen werden, dann die Diskussionen, ob die real existierenden öffentlich-rechtlichen Sender noch die Grundphilosophie des öffentlich-rechtlichen Systems repräsentieren und ob man den Rundfunkbeitrag nicht in Teilen lieber für eine neues, qualitativ hochwertiges Netzwerk verwenden sollte – im Sinne der Beitragszahler.“

Im Grunde müsste man meinen, die Intendantinnen und -ten wüssten auch ohne Beratung, wie wichtig der “Weltspiegel“ für die ARD ist – es steht ja auf den eigenen Seiten: “Die besondere Stärke der ARD sind ihre Korrespondentinnen und Korrespondenten in den 30 Auslandsstudios.“

Allerdings werden gute Marktanteile und Quoten, wenn man sie denn hat, intern wie extern gemeinhin ebenfalls als besondere Stärken erachtet. Die Argumente sind bekannt. Wir werden sehen, wie es ausgeht.

Altpapierkorb (“Umschichtungen“ bei Springer, Talkshow-Diskussion, taz-Zukunft, Personality-Magazine)

+++ Die Medienredaktion der Süddeutschen Zeitung hat ihre Seite für ein Interview mit Friede Springer, Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner und Johannes Huth, dem Europachef der eben bei Axel Springer eingestiegenen Investmentfirma KKR, freigeräumt (frei online steht eine Zusammenfassung). Darin äußert sich das Triumvirat auch zu Welt und Bild. Zur Welt gibt es ein “Bekenntnis“, aber auch diese Aussage von Döpfner: “Eine unbedingte Bestandsgarantie für die Welt ist doch ein Mythos. Das hatte sie unter Axel Springer nicht, das hatte sie auch unter dem Börsenregime erst recht nicht. Da stand die Welt quasi jedes Quartal zur Disposition und hat trotzdem 34 Jahre lang überlebt. Aus meiner Sicht ist die Sicherheit der Welt-Gruppe heute größer, als sie je in den vergangenen Jahrzehnten war. Welt online hat als intellektuelles Leitmedium großes Wachstumspotenzial.“ Zudem kündigt er, ohne Details zu nennen, “eine Umschichtung“ an – “wo strukturell Umsatzrückgang herrscht, müssen wir restrukturieren und Arbeitsplätze abbauen“. “Aber Sie können sicher sein: Wer leidenschaftlich und kompetent ist, hat hier eine spannende Zukunft. (…) In Summe werden wir Arbeitsplätze aufbauen. (…) Grundsätzlich aber gilt: Wir werden eher bei den Häuptlingen als bei den Indianern sparen.“

+++ MDR-Intendantin Karola Wille sagt im FAZ-Interview (€), das Hel­mut Har­tung, Chefredakteur des Blogs medienpolitik.net­, für die Samstagsausgabe mit ihr geführt hat, auf die Frage, ob der AfD eine zu breite Plattform geboten werde: “Es ist immer eine Abwägung, welche Themen relevant sind und ob für deren Erörterung AfD-Vertreter eingeladen werden müssen. Diese Frage diskutieren wir bei jedem Beitrag, bei jeder Sendung immer wieder neu. Wer etwas zu sagen hat, soll gehört werden. Aber wir können nicht zulassen, dass Unwahrheiten unwidersprochen bleiben.“

+++ Im Deutschlandfunk diskutierten Kritiker Oliver Weber und ZDF-Chefredakteur Peter Frey über Talkshows.

+++ Um die Zukunft der gedruckten und der Gesamt-taz ging es bei der Genossenschaftsversammlung (taz-Text).

+++ Wie geht es nach dem angekündigten Ende von JWD (Altpapierkorb vom Donnerstag) weiter mit den Personality-Magazinen von Barbara bis Boa – und “wann kommt das Magazin mit Robert Habeck“? Fragt Horizont keck.

Neues Altpapier gibt’s wieder am Dienstag.

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