Teasergrafik Altpapier vom 19. September 2019: Gaslaterne
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Das Altpapier am 19. September 2019 Gaslichter und Insiderrunden

19. September 2019, 11:58 Uhr

Brauchen Redaktionen spezielle “Gaslight-Desks“, um besser mit Lügen und Provokationen klarzukommen? Der Kampf um Informationen von Bundesbehörden ist seit Jahren zäh. Und (Achtung, Aufmerksamkeits-Hack) Rezo hat wieder was über Medien gesagt. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Der britische Autor Patrick Hamilton hat seit einiger Zeit Hochkonjunktur unter Medienkritiker:innen. In dem Theaterstück “Gas Light“ spinnt er ein Beziehungsdrama, bei dem ein Mann seine Frau so lange psychisch manipuliert, dass sie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht mehr traut. Er behauptet z.B. konsequent, Dinge nicht zu sehen, wie etwa das Flackern einer Gaslampe, und treibt seine Frau damit an den Rand des Wahnsinns.

Sind auch Journalist:innen zu anfällig für solches “Gaslighten“, also Manipulationen? Wir rennen ja gern mal irgendwelchen Behauptungen hinterher, bei denen eigentlich auf den ersten Blick erkennbar ist, dass sie nichts mit der Realität zu tun haben oder einfach eine gezielte Provokation sind. Dabei machen wir doch eigentlich nur das, was wir immer gemacht haben: Nachrichten nach den seit Jahren verinnerlichten Faktoren auswählen. Ein zu dem Thema immer wieder die Altpapier-Bühne betretender Wissenschaftler ist Jay Rosen.

Für Deutschlandfunks “@mediasres“ hat Bettina Schmieding nun wieder einmal mit dem Journalismusforscher von der New York University gesprochen. Er schlägt vor, Redaktionen sollten eine Art “Gaslight-Desk“haben. Da würde kein flackerndes Licht drauf stehen, sondern bei den Kolleg:innen dort sollten Rosens Vorschlag nach Äußerungen zusammenlaufe, die nur gesagt werden, um Aufmerksamkeit und Berichterstattung zu generieren. Rosen hat dabei die US-Brille auf und meint damit vor allem Aussagen von Präsident Trump.

“Äußerungen aus dieser Kategorie sollte die Redaktion behandeln und Beschriften wie Teile eines Zirkus‘. Die Frage, wie die Presse mit Politikern umgehen soll, die eine Menge Aufmerksamkeit bekommen, ohne ihnen zu noch mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, ist ein großes Problem“,

sagt Rosen in dem Interview. Wie genau er das mit dem Zirkus-Vergleich meint, wird leider nicht ausgeführt. Allerdings geht es wohl nicht darum, die kreative Maskerade des Clowns oder die atemberaubenden Salti der Trapezkünstlerinnen zu loben. Stattdessen empfiehlt der Wissenschaftler, “eine sehr klare eigene Agenda zu entwickeln“, an der Journalist:innen sich orientieren können, ohne “ständig in die Aufmerksamkeits-Fallen zu tappen, die clevere populistische Politiker überall aufstellen“.

Einen ähnlichen Vorschlag des Wissenschaftlers haben wir hier und hier schon mal aufgegriffen. Mit solch einer Agenda ist aber kein Ego-Durchmarsch von Journalist:innen gemeint, sondern eine klare Hinwendung zum Publikum.

“Während des Wahlkampfes sollte die Presse sich bei den Wählern informieren und sie fragen, über welche Fragen die Kandidaten mit den anderen Kandidaten in einen Wettstreit um die Wählergunst treten sollen. Wenn es der Presse gelingt, ihre Leser, ihre Hörer und ihre Zuschauer zu animieren, Themenvorschläge zu machen, könnte das die Agenda für die Berichterstattung sein.“

Zu oft sähen politische Journalisten sich allerdings als eine Art politische Insider, kritisiert Rosen. Mitten in der Maschinerie zu stecken, habe dem Journalismus nicht gutgetan, sondern eher zu Skepsis beigetragen und dazu, “dass die Öffentlichkeit glaubt, dass Journalisten Teil der politischen Klasse sind.“

BND öffne dich

Ein Teil der Saat, aus dem solch ein politischer Insiderjournalismus in Deutschland gesprossen ist, mag in Eitelkeit, Geltungsbedürfnis und einem Personenkult unter Journalist:innen liegen. Ein anderer Teil liegt aber sicher auch in der Gesetzgebung. Auskunftsrechte sind nicht immer klar geregelt oder in einigen Fällen mit enorm viel Aufwand, Wartezeiten oder Gebühren verbunden. Um Entscheidungsträger herum zu scharwenzeln mag dabei helfen, weiter oben auf der Liste der Menschen zu landen, denen zwischendurch mal die ein oder anderen exklusiven Informationsbröckchen zugesteckt werden.

Einen kleinen Schritt gegen intransparente Insiderrunden beim Bundesnachrichtendienst hat nun das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gemacht. Gestern wurde dort über eine Klage von Tagesspiegel-Redakteur Jost Müller-Neuhof entschieden, der im Frühjahr 2017 wissen wollte, wie viele Journalisten, wann und wo in Hintergrundgesprächen (unter 3) von welchen BND-Mitarbeiter:innen informiert wurden. Der Geheimdienst suche

“die Medienvertreter selbst aus und adressiert die Einladungen an sie persönlich. Sie müssen sich zu Stillschweigen verpflichten. Im Gegenzug erhalten Sie Informationen, die anderen Pressevertretern vorenthalten bleiben. Solche sogenannten Hintergrundgespräche werden in ähnlicher Weise auch von Verfassungsschutzämtern, Bundeskriminalamt, Kanzleramt und Ministerien praktiziert“,

fasst Fatina Keilani im Tagesspiegel zusammen. Die Richter entschieden nun, dass der BND Auskunft über solche Hintergrundgespräche erteilen muss. Der Geheimdienst habe nicht ausreichend begründen können, warum es ein “schutzwürdiges Interesse“ an den Infos über die Unter-3-Gesprächen gebe, berichtet u.a. Zeit Online. Das Informationsinteresse der Presse wiege zudem schwerer als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der eingeladenen Journalist:innen.

Müller-Neuhof forderte auch “endlich ein Gesetz zur Medieninformation durch Bundesbehörden“, das Zugang zu Informationen und einen Anspruch auf gleiche Behandlung von Pressemenschen stärken soll. Ein solches Bundespresseauskunftsrecht gebe es bisher nicht, erinnert Tina Groll im bereits verlinkten Zeit-Text:

“Einen ersten Anlauf für ein entsprechendes Gesetz hatte es 2013 gegeben. Damals hatte das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass Journalistinnen und Journalisten auf Basis der Landespressegesetze keinen Auskunftsanspruch gegenüber Bundesbehörden herleiten können. Ein Auskunftsanspruch auf Grundlage von Artikel 5 des Grundgesetzes – die Pressefreiheit – reicht in vielen Fällen nicht aus. (…) Und auch das seit 2006 bestehende Informationsfreiheitsgesetz, das einen Auskunftsanspruch für jede Person über amtliche Informationen von Bundesbehörden vorsieht, ist für viele Journalistinnen und Journalisten nicht zweckdienlich. Der Grund: Die Behörden dürfen für die Zusammenstellung der Informationen Gebühren verlangen, die sich besonders bei tiefgehenden Recherchen auf sehr hohe Summen belaufen können. Zudem dauert es oft sehr lange, bis ein IFG-Antrag bearbeitet wird.“

Eine Verfassungsbeschwerde zu einem solchen Auskunftsrecht auf Bundesebene lehnte das Bundesverfassungsgericht 2015 ab. Damals forderte Manfred Redelfs, Auskunftsrechts-Experte bei Netzwerk Recherche:

“Nun ist der Gesetzgeber gefordert, schnell ‎eine Regelung auf den Weg zu bringen, die die Rechercherechte stärkt und auch bei Anfragen an Bundesbehörden für Klarheit sorgt.”

2019 ist das allerdings immer noch so klar wie Kloßbrühe.

Altpapierkorb (Restle und die AfD, Streiks in der ARD, Richtigstellung bei Twitter, Rezo)

+++ In der neuen Zeit (€) schreibt “Monitor-Chef“ Georg Restle über seine Einstellung zum Umgang mit der AfD. Nach den Morddrohungen wegen eines “Tagesthemen“-Kommentars (Link zum Altpapier), in dem er die Partei als “parlamentarischen Arm“ der rechtsextremen Szene in Deutschland bezeichnete, ruft er nun dazu auf, der AfD keine große Bühne zu bieten.

+++ Bei verschiedenen ARD-Anstalten wurde gestern wieder gestreikt. FAZ.net, die Süddeutsche und der Kölner Stadtanzeiger haben einen Überblick: “Den Gewerkschaften schwebt eine Lohnerhöhung ähnlich wie bei Angestellten im öffentlichen Dienst der Länder vor, für die eine Anhebung der Gehälter um 7,8 Prozent auf 33 Monate vereinbart worden war. An einer solchen Steigerung könne man sich nicht orientieren, sagte der ARD-Vorsitzende Wilhelm in Stuttgart. Im Angebot sei ein ‚fairer Inflationsausgleich‘ von 1,7 bis 2,1 Prozent pro Jahr“, schreibt Michael Handfeld bei der FAZ und berichtet auch über die Ergebnisse der Intendant:innen-Sitzung in Stuttgart.

+++ Richtigstellungen sind nicht nur auf Printmedien beschränkt, sondern finden zuweilen auch bei Twitter statt, wie Welt-Häuptling Ulf Poschardt nun feststellen musste.

+++ Achtung, Achtung, Service-Hinweis für alle, die sich gern an Rezo abarbeiten. Der Youtuber hat im neuen politischen Fragebogen der Zeit schon wieder was über Politik gesagt und Medienhäuser kritisiert. Bitte nicht in Panik verfallen.

+++ Gerichte und Gefängnisse als “zweite Heimat“: Der Karikaturist Musa Kart spricht beim österreichischen Standard über Pressefreiheit in Türkei und seine Erfahrungen mit den Behörden.

+++ Bei der Video-App Tik Tok gibt’s im Gegensatz zu Twitter kaum Inhalte zu den Protesten in Hongkong, berichtet Jörg Schieb beim WDR-Blog Digitalistan.

+++ Bei t3n (dpa) gibt’s Infos zu dem neuen Facebook-Gremium, das über Beschwerden gegen ungerechtfertigt gelöschte Beiträge beraten soll. Die Initiative Article19 sieht dabei aber noch Luft nach oben.

+++ Comcast will einen eigenen Streamingdienst auf den Markt bringen, berichtet der Standard

Am Freitag gibt es zum Internationalen Tag des Kindes, der in Thüringen erstmals ein Feiertag ist, eine Sonderausgabe des Altpapiers.

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