Collage zur Medienkolumne Das Altpapier vom 25. September 2019: Ausgestreckte Hand mit Smartphone. Daraus zu sehen ist der Youtuber Rezo.
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Das Altpapier am 25. September 2019 Die "Rezolution"

25. September 2019, 12:44 Uhr

Eine Woche vor den Wahlen in Österreich versuchen sich gleich zwei Youtube-Videos an der "Zerstörung der ÖVP", Rezos Vorlage hat auf jeden Fall die Politisierung der Videoplattform angestoßen. Außerdem: Kritik an der Schadenfreude über Klaas Heufer-Umlaufs gescheiterte Seenotrettungsaktion und einem allzu unkritischen Interview mit Andreas Gabalier. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.

Das "Ibiza-Video" (siehe Altpapiere) hat im Mai die Regierung in Österreich gestürzt, am Sonntag finden deswegen vorgezogene Nationalratswahlen statt. Am vergangenen Wochenende, genau eine Woche vorher, sind auf YouTube gleich zwei Videos im "Rezo-Style" erschienen, wie Leonhard Dobusch von der Uni Innsbruck bei Netzpolitik.org schreibt. Wir erinnern uns, vor den EU-Wahlen brachte der Youtuber Rezo mit seinem Video "Die Zerstörung der CDU" (siehe Altpapiere) Union und SPD in Erklärungsnot.

"Die Zerstörung der ÖVP." von einem User namens "Working Class Hero" (eigenen Angaben zufolge seit Sommer Mitglied der Grünen, die nichts mit dem Video zu tun haben sollen) und "Die echte Zerstörung der ÖVP" von Jurastudent Konstantin Kladivko sind zwar technisch nicht auf dem Niveau von Rezo, der im Gegensatz zu den beiden ein erfahrener Youtuber ist, aber sie funktionieren wie seine Vorlage und belegen mit jeweils mehr als 150 Quellenangaben sehr genau ihre Vorwürfe gegen die Bildungs-, Sozial- und Klimapolitik im Land. Netzpolitik.org bescheinigt ein neues Genre: "des mit zahlreichen Quellen belegten, politischen Rants".

"Die Zerstörung der ÖVP." hatte am Mittwochmorgen knapp 27.000 Klicks, "Die echte Zerstörung der ÖVP" knapp 50.000.

Dobusch schreibt dazu bei Netzpolitik:

"Dass die beiden Videos einen relevanten Einfluss auf das Wahlergebnis am Sonntag haben werden, ist bei diesen Abrufzahlen natürlich unwahrscheinlich. Die Veröffentlichung eine Woche vor der Wahl erfolgte außerdem vergleichsweise spät. Als Indiz für eine breitere Politisierung von YouTube können diese und ähnliche Videos im Rezo-Style aber allemal gelten."

Rezos Video wurde inzwischen mehr als 16 Millionen Mal geklickt, nach der Wahl spekulierten unter anderem Spiegel Online, Focus Online, und Watson einen möglichen "Rezo-Effekt" auf Kosten der Union und zugunsten der Grünen. Belegen lässt sich freilich nichts. Auf jeden Fall aber hat Rezo zur Politisierung der Video-Plattform beigetragen – und eine neue Form des politischen Hinterfragens angestoßen.

Der Standard (€) schreibt dazu:

"Der Blauschopf (Rezo, Anm.) steht damit als Synonym für die junge Generation, die mehr und mehr das Gefühl hat, dass die politische Klasse ihnen gerade die Zukunft verbaut. Mitunter wird von der 'Rezolution' gesprochen – und diese ist inzwischen auch in Österreich angekommen."

Geballte Schadenfreude

2018 sammelte Klaas Heufer-Umlauf Geld für sein Seenotrettungsprojekt "Civilfleet". Mindestens ein Schiff wollte er dafür chartern und versprach, das Geld werde dort ankommen, wo es gebraucht werde. Knapp 300.000 Euro kamen damals zusammen, ein Rettungsschiff ist trotzdem nicht ausgelaufen. Die "Golfo Azzurro" hat man nach einer teuren Umrüstung und mehreren gescheiterten Anmeldeversuchen aufgegeben.

Die Schadenfreude in den Medien war erwartbar groß.

"300.000 Euro Spenden und keinen einzigen Flüchtling gerettet" titelt Welt Online.

"207.000 Euro weg, ohne dass ein Rettungsschiff startete", heißt es beim Tagesspiegel.

"Finanzielle Kreuzfahrt", schreibt die FAZ (Blendle).

Man kann Heufer-Umlauf und Civilfleet vorwerfen, dass zu spät zu wenig über die Probleme kommuniziert worden ist. Aufgedeckt hat das österreichische, von der Privatstiftung des Red-Bull-Milliardärs Dietrich Mateschitz finanzierte Rechercheportal "Addendum" (Text im Original), aber dazu gleich mehr. Jetzt wird die gescheiterte Aktion zur Munition für Hetze gegen Seenotrettung.

"Populisten nahmen das alles (...) genüsslich zum Anlass für Häme: 'Heufer-Umlauf ist mit seiner pseudohumanitären PR-Kampagne zur sog. #SeenotRettung gescheitert', twitterte einer, immerhin Mitglied des deutschen Bundestags. 'Eine erfreuliche Selbstenttarnung jener Kreise, die Porsche fahren und dem Bürger immer neue Lasten zumuten'",

schreibt Martin Zips in der Süddeutschen Zeitung. Man kann sich denken, welcher Partei der twitternde Politiker angehört und liegt damit richtig (siehe hier und hier). Im Interview geht es auch um die Schadenfreude, wenn Prominente – wie Madonna oder Til Schweiger – mit Hilfsprojekten scheitern.

Im Tagesspiegel thematisiert auch Joachim Huber die Häme:

"Neben berechtigter Kritik gibt es im Netz heftige Attacken. Wieder so ein Promi, der es warm und sicher hat, der zur Ego-Satisfaktion irgendein Projekt aufsetzt, das bitteschön andere bezahlen soll. Der gewünschte Ruhm aber soll beim Fernsehclown hängenbleiben. Null Nachhaltigkeit, nur Selbstbefriedigung.

Was befremden muss, ist dieser (falsche) Aktionismus, der sich zur Schadenfreude über gescheiterte Hilfsprojekte und -organisationen auswächst. Oxfam, das ist doch dieser Verein, bei dem übler Sexismus wütet, und Amnesty International hat die schlimmsten Arbeitsbedingungen ever."

Und für Übermedien hat Stefan Niggemeier mit Heufer-Umlauf unter anderem darüber gesprochen.

"Man ahnt natürlich eine gewisse Schadenfreude: Da hat der Fernsehclown sich ja schön übernommen.

Ja, das ist ein Elfer ohne Torwart. Nach dem Motto: Der Komiker, der sich beruflich einen Donut in den Kopf spritzen lässt, denkt jetzt, er könnte EU-Politik im Alleingang aushebeln. Aber weder die Häme, die von irgendwelchen Idioten mit Nazisymbolik im Profilbild jetzt über mich ausgekippt wird, noch die systematische Verhinderung von Seenotrettung durch die Politik wird mich davon abhalten, immer wieder nach Wegen zu suchen, sie zu ermöglichen oder zu unterstützen. Ich habe deutlich mehr Kritik einstecken müssen von Leuten, die Seenotrettung eh scheiße finden, als von denen, die Geld gegeben haben."

Am Ende bleibt wohl vor allem Futter für rechtspopulistische Hetze.

In der @mediasres-Kolumne im Deutschlandfunk beschäftigt sich Susanne Lettenbauer mit dem Recherchebüro "Addendum", das zum Medienimperium des Red-Bull-Gründers Dietrich Mateschitz (u.a. Servus TV) gehört und über eine Privatstiftung mit dem Namen "Quo Vadis Veritas?", "Wohin gehst du, Wahrheit?", finanziert wird. "Sie agiert vollkommen unabhängig und verfolgt das Ziel, an der Wiederherstellung einer gemeinsamen Faktenbasis für eine qualifizierte politische Debatte zu arbeiten", heißt es in der Selbstbeschreibung der Stiftung. Ihre reißerischen Artikel werden als "Alternative zur Lügenpresse" verkauft.

"Provokante Fragen, tendenziöse Fragen, die bei Addendum immer von einem traditionell-konservativen Blickpunkt aus konsequent gegen den Strich gebürstet werden. Ein Breitbart der Alpen? So provokant rechts dann doch nicht",

urteilt Susanne Lettenbauer, die zuvor schreibt:

"Aber immer kehrt Addendum zurück an die Anfänge vor zwei Jahren, zum Klickgaranten Asyl/Flüchtlinge: 'Seenotrettung. Wie wichtig sind die NGOs?' Oder: 'Entwicklungshilfe: Wie wichtig ist Entwicklungshilfe?'"

Mein Rechtspopulismus-Trigger-Favorit: "Können Gerettete zurück nach Afrika gebracht werden?" 

Kuschelrock

In der taz kritisiert Volkan Ağar ein Interview in der NDR-Radiosendung "Stars am Sonntag" vom vergangenen Wochenende, das der Moderator Roger Lindhorst mit dem sogenannten "Heimatrocker" Andreas Gabalier führte.

"Ein Interview mit einem Künstler zu führen bedeutet nicht unbedingt, dass man sich mit ihm und seinen Ansichten gemein macht. Wenn von einer halbstündigen Redezeit aber nur knapp zwei Minuten kritischen Fragen gewidmet sind, dann wirkt das bei einem Gabalier aber schon etwas komisch",

schreibt Volkan Ağar. Gabalier darf in dem Interview sogar unkommentiert behaupten, er habe sich "klipp und klar" gegen rechts distanziert.

"An dieser Stelle hätte ein kritischer Journalist, der kein Fan ist, nachgehakt: das Album-Cover, das Eiserne Kreuz, die Männerkameradschaft. Aber Lindhorst ist im Gespräch mit Gabalier kein Journalist, er ist wie ein Fan. Und deshalb spricht er lieber über Gabaliers Beziehung und dessen Frisur. Er schwärmt, dass Gabalier den 'cooleren Mikrofonständer' habe als Helene Fischer, und verabschiedet sich mit warmen Worten: 'Lieber Andreas, ich wünsche dir eine schöne Auszeit.'"

Michael Ernst empfiehlt bei MDR Kultur dazu passend das Buch "Pop und Populismus" von Jens Balzer, das sich mit dem Phänomen "Heimatrockern" befasst – aber in kritisch.

Altpapierkorb (öffentliche Rundfunkratssitzung des MDR, Radiopreis, Klima):

+++ Nach der ersten öffentlichen Rundfunkratssitzung des MDR (siehe Altpapier von gestern), sind Alexander Nabert und Erica Zingher noch nicht zufrieden mit der Transparenz, wie sie in der taz schreiben: "Um sie (die Rundfunkratssitzung, Anm.) zu verfolgen, muss man allerdings vor Ort sein, einen Livestream gibt es nicht. Auch Ton- und Bildaufnahmen durften, während das Gremium tagte, nicht gemacht werden. Die Sitzungsunterlagen waren als vertraulich eingestuft und wurden dem Publikum nicht bereitgestellt."

+++ Beim Deutschen Radiopreis werden heute erstmals Podcasts ausgezeichnet, Joachim Huber hat für den Tagesspiegel mit dem NDR-Hörfunkdirektor Joachim Knuth über Opulenz und Tiefe von Podcasts und die Stärken des Mediums Radio gesprochen.

+++ Auf der SZ-Medienseite geht’s ebenfalls um den Radiopreis und die ebenfalls neu eingeführte Newcomer-Kategorie.

+++ Okka Lou Mathis beschäftigt sich in der taz mit dem Begriff "Klima". Ihre These: Das Modewort lenkt vom Wesentlichen ab.

Mit diesem Altpapier verabschiede ich mich. Neues Altpapier gibt’s am Donnerstag!

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