Collage zur Medienkolumne Das Altpapier am 09. Oktober 2019: Hanna Zimmermann (ZDF) und Luisa Neubauer (fridays for future)
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Das Altpapier am 09. Oktober 2019 Germany’s next Karla Kolumna

09. Oktober 2019, 14:10 Uhr

Wie eine ZDF-Interviewerin einmal Luise Neubauer beinahe zur Verzweiflung trieb. Außerdem: “Journalismus ist kein Sekt, sondern Wasser“, sagt ein in Honorarfragen gefrusteter Journalist. Ein Altpapier von René Martens.

Im Zuge der in dieser Kolumne tendenziell natürlich nur in Bruchstückchen abbildbaren Debatte zu Greta Thunberg sind wir hier kürzlich auf einen konkret-Artikel von Mela Eckenfels eingegangen, in dem die Autorin konstatierte, in besagter Debatte seien unter anderem "Küchenpsychologen" unterwegs, die "alle Vorurteile der letzten 50 Jahre" aufwärmen, "wie Autisten so sind“.

Nun hat Eckenfels in einem Thread einen Küchenpsycholgen ganz besonderer Kajüte ins Visier genommen, den “mit sattelfestem Illustriertenhalbwissen“ gesegneten Tagesspiegel-Starschreiber Christoph von Marschall. Der hat gerade unter anderem Folgendes formuliert:

“Selbstverständlich wäre es unethisch, Greta ihre Krankheit und deren Symptome vorzuhalten, darunter eine Störung der körperlichen Entwicklung, Schwächen in der sozialen Interaktion, fehlendes Einfühlungsvermögen für Menschen mit anderen Problemen, ausgeprägte Spezialinteressen samt der Forderung, die Mitmenschen müssten die Welt so wie sie sehen. Man muss aber auch nicht den genialen Propagandatrick mitmachen, Krankheitsmerkmale wie die autistische Verengung der Wahrnehmung zu einem Verhalten zu erklären, das preiswürdig ist.“

Eckenfels dazu in ihrer gethreadeten Brandrede, die diverse Grundsatzfragen touchiert:

“Wenn deutsche Redaktionen über Behinderungen schreiben, dann tauchen Formulierungen und Gedankengut auf, dagegen wirken die 50er frisch und progressiv.“

Im Kern läuft Eckenfels’ Argumentation darauf hinaus, dass ein Text auch dann, wenn “Kommentar“ oder “Meinung“ drüber steht, gewissen journalistischen Standards genügen, die Redaktion also nicht jeden sach- und fachfremden Quatsch durchwinken sollte.

Zunder aus dem Tagesspiegel-Kollegenkreis bekommt von Marschall auch noch. Paul Gäbler wirft ihm vor, Fritz Vahrenholt, einen nach janz weit draußen abgedrifteten ehemaligen Umweltsenator Hamburgs, zu einem ernstzunehmenden Experten zu adeln. Dabei sei dieser “beim Klimawandel-Leugner Verein EIKE“ - siehe zum Beispiel einen “Monitor“-Beitrag von Dezember - aufgetreten. Gäbler:

“Aussagen wie die von Vahrenholt halten keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand, dennoch stehen sie als scheinbares Argument in einer seriösen Zeitung.“

“Ein Drama“

Aus anderen Gründen in der Kritik steht der Klima-Journalismus, den gerade die “Heute plus“-Moderatorin Hanna Zimmermann zur Aufführung gebracht hat. Ausgangspunkt ist ein im Netz halbwegs viral gegangener Zusammenschnitt eines Interviews, das Zimmermann mit der Klimaschutz-Aktivistin Luise Neubauer zu den Protesten von Extinction Rebellion (XR) in Berlin geführt hat. Die Kurzfassung zeige “das ganze derzeitige Drama von Teilen des (deutschen) Journalismus, zusammengefasst in 2:20 Minuten“ (@igorpianist), während Zimmermanns ZDF-Kollege Daniel Bröckerhoff es für “ein Drama“ hält, “dass unsere Interviews verkürzt zusammengeschnitten werden & niemand den Kontext prüft“.

Natürlich ist es empfehlenswert, sich die kompletten 21 Minuten der Live-Stream-Aufzeichnung anzuschauen, die aus dem Interview und diversen Einspielern besteht. Aber dass die kurze Fassung entstellend ausfällt, würde ich jetzt auch nicht unbedingt sagen. Zimmermann variiert auf recht großmütterliche (früher hätte man wohl gesagt: spießige) Weise recht oft die Frage, ob die Protestform von XR nicht zu “radikal“ sei - woraufhin Neubauer unter anderem sagt, es sei bedauerlich, “dass wir es nicht schaffen, von der Frage wegzukommen: Wie kann Protest aussehen?“

Bei Neubauer sind mehrere Stufen von Irritation und Genervtheit zu beobachten, aus ihren Blicken lässt sich die Frage “Wer hat diese Frau bloß ausgebildet“ ablesen? - und das bereits, bevor Zimmermann gewissermaßen die krönende Frage stellt (“Nun ist das Klimapaket aber doch eigentlich für 'Fridays for Future' ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, oder?“) Wie eine 31-jährige (Zimmermann) mit ihrer radikalen Karla-Kolumna-Haftigkeit - “Es gibt ja diese Meinung, und die habe ich heute vielfach in den sozialen Medien gelesen …“ - eine 23-Jährige (Neubauer) fast zur Verzweiflung treibt, das ist allemal anschauenswert.

Funkes derwesten.de hat die Kurzfassung quasi protokolliert (und den Text aus unerfindlichen Gründen noch mit einem vierbuchstabigen Kabarettisten-Nachnamen gepökelt). Dass es Kritisches über zu XR zu sagen gäbe - zum Beispiel auf diese Art -, steht auf einem anderen Blatt.

Lokalfernsehen retten?

Verdienen privatwirtschaftliche Lokal-TV-Sender Unterstützung aus öffentlichen Geldern, sei es aus Steuermitteln oder, wie es etwa in der Schweiz gehandhabt wird, aus dem Rundfunkbeitrag? Diese Frage wirft aktuell “@mediasres“ auf.

Ein Aufhänger des Deutschlandfunk-Beitrags: Im Juni bzw. August beschlossen der Landtag in Brandenburg und das Berliner Abgeordnetenhaus das “Gesetz zum Sechsten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich der Medien“, es sieht eine Erweiterung der Kompetenzen der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) vor. Diese soll künftig “lokaljournalistische Angebote von Rundfunkveranstaltern, Telemedienanbietern oder Anbietergemeinschaften zur Stärkung ihres Beitrags zu lokaler und regionaler Information“ fördern - “allerdings mit einer Einschränkung: wenn wir dafür Geld aus den Haushalten der Länder Berlin oder Brandenburg bekommen“, wie MABB-Direktorin Anja Zimmer in dem DLF-Beitrag sagt.

Die MABB verteilt also das Geld, darf für die Förderung aber keine Mittel aus dem eigenen Etat verwenden. Warum? Die Medienanstalten finanzieren sich durch Rundfunkbeitragsgelder - und diese dürfen derzeit nicht für die programmliche Förderung von privatwirtschaftlichen Rundfunkveranstaltern und Online-Plattformen verwendet werden.

Zu regeln, wie man lokaljournalistischen Angeboten staatliche Gelder zukommen lässt - das ist dann ja immerhin mal eine anspruchsvolle Aufgabe für die MABB. Allzu viele relevante Aufgaben haben Landesmedienanstalten ja sonst nicht bzw. nicht mehr.

Das Berlin-Brandenburger Modell ist zwar neu. In Bayern fließen unter anderen Rahmenbedingungen aber schon lange Steuergelder ins private Lokalfernsehen. Die andere Fördervariante kann sich laut @mediasres

“in Sachsen-Anhalt (…) Ministerpräsident Reiner Haseloff (…) vorstellen, nämlich die Finanzierung des Lokalfernsehens aus Mitteln des Rundfunkbeitrages (…) Martin Heine, Direktor der Medienanstalt Sachsen-Anhalt, unterstützt die Forderung seines Ministerpräsidenten“.

Ob (und wenn ja, welche) Sender, über deren Unterstützung jetzt diskutiert wird, im Bereich politische Information inhaltlich überhaupt Relevantes zustande bringen, ist eine andere Frage. Zu den pekuniären Problemen des lokalen Privatfernsehens hat DLF-Autor Höpfner im Übrigen vor einigen Monaten auch einen Podcast für das Medienmagazin von Verdi produziert.

“Arschloch-Zahlungsmoral“

Finanziellen Kalamitäten etwas anderer Art nimmt sich der freie Autor Christian Gesellmann an, und zwar in sehr eigener Sache. In einem bei Facebook veröffentlichten Rant formuliert er eine auf den ersten Blick nicht unsteile These: “Wenn vom Zustand der Pressefreiheit in Deutschland die Rede ist“, dann gehe es unter anderem um die “Bedrohung von Journalisten“, und “natürlich“ sei das ein “Problem“: Aber: Ein “viel größeres“ seien die “unanständig niedrigen Honorare und die Arschloch-Zahlungsmoral unserer Auftraggeber“. Letztere sieht, was einige seiner Auftraggeber betrifft, im Detail folgendermaßen aus:

“Im Moment habe ich Honorare in vierstelliger Höhe ausstehen, teilweise aus dem Juni noch. Jetzt ist Anfang Oktober und mein Dispo schon wieder so gut wie ausgereizt. Hervorragend. Zum Glück arbeite ich nebenbei an einer Bar. Da wird pünktlich gezahlt. Und vom Trinkgeld kann ich mir ja das Nötigste leisten. Als ich im Sommer eine depressive Phase hatte, vom Schreiben ein Pause machte und als Bauhelfer arbeitete, wurde ich sogar wöchentlich bezahlt.“

Die Freien und die Honorare - das ist im Altpapier immer mal wieder in unterschiedlichen Kontexten Thema gewesen. Zum Beispiel im Zusammenhang mit der Entscheidung einer Studentin für die PR und gegen den Journalismus - oder anhand eines Erfahrungsberichts eines freien Autors, der für ein von einer großen Schweizer Tageszeitung veröffentlichtes Interview mit dem ZDF-Mann Harald Lesch null Franken bekam.

Kommen wir noch einmal zurück auf Gesellmanns Stichwort Bauhelfer. Der Job des Journalisten werde

“nicht attraktiver. Als freier Reporter für Lokalzeitungen zu schreiben ist ein Aufstocker-Job. 10 Euro (ZEHN) für einen Aufmacher im Lokalteil sind keine Seltenheit. In einer Stunde als Bauhelfer verdient man unter Umständen mehr, als als studierter und gelernter Journalist.“

Gesellmanns Schlussbotschaft ist - und das ist jetzt gar nicht sarkastisch gemeint - geradezu kalenderweisheitsreif:

“Journalismus ist kein Sekt, sondern Wasser!"

Altpapierkorb (Politikerinnen als Hater-Opfer, Deniz Yücels neues Buch, Flers Hausbesuch, Märkische Oderzeitung, Thomas Brasch)

+++ Auf die teilweise fernsehweltfremden Äußerungen Julian Reichelts im Zusammenhang mit den Planungen eines Bild-TV-Senders (siehe zuletzt Altpapier von Dienstag) geht Samira EL Ouassil bei Übermedien ein. Sie fasst zusammen: “Die Inhalte sollen (…) ‚emotional‘ sein und Lebensrealitäten präsentieren, die angeblich von den Reportagen und Dokumentationen bei den Öffentlich-Rechtlichen und den Lebenswelt-Formaten der Privaten nicht genügend abgedeckt werden.“ Man kann davon ausgehen, dass - um nur drei Beispiele zu nennen - Reichelt “37 Grad“ (siehe erneut Altpapier von Dienstag) “Echtes Leben“ (siehe ein Altpapier aus dem November 2017), und “Mensch Leute“ (SWR) nicht kennt.

+++ “Wie viele Politikerinnen werden im Netz bedroht, beleidigt, angefeindet?“ - diese Frage haben sich Anna Tillack und Thomas kießling von “Report München“ gestellt und eine Umfrage unter allen weiblichen Bundestagsabgeordneten durchgeführt. Ergebnis: 87 Prozent der 77 Abgeordneten, die geantwortet haben, “wurden bereits Opfer von Hass im Netz, ein Großteil wird sogar regelmäßig und extrem häufig bedroht.“ Elf Prozent der Befragten hätten nun “Zweifel, ob sie ihren Beruf als Politikerin unter diesen Umständen weiter ausüben wollen“.

+++ Benjamin Moldenhauer lobt bei Spiegel Online Deniz Yücels gerade erschienenes Buch “Agentterrorist“: “(Es) reicht weit über die Hafterfahrung seines Autors hinaus, und das nicht nur, weil Yücel ausgiebig über seine Mithäftlinge und weitere inhaftierte Journalistinnen und Journalisten schreibt. Spätestens auf halber Strecke entpuppt der Text sich als eine präzise Beschreibung der politischen Lage in der Türkei seit dem Beginn der Proteste im Gezi-Park 2013.“

+++ In der SZ befasst sich Harald Hordych heute mit dem offenbar entwicklungsfähigen Sozialverhalten des Gangster-Rappers Fler, der zu dem Tagesspiegel-Reporters Sebastian “nach Hause gefahren ist, um ... ja, um was genau zu tun? Das wird man nie erfahren, denn Leber war nicht da. Fler konnte lediglich sein Klingelschild abfotografieren und das Bild im Social Web posten - inklusive der Namen aller anderen Hausbewohner“. Der Tagesspiegel selbst hat zu dem Vorfall am Wochenende dies geschrieben. Und was hat den “Hausbesuch“ ausgelöst? Dieser chronologische Bericht.

+++ Aufmacher der FAZ-Medienseite (derzeit nicht frei online heute: ein Besuch bei  der Märkischen Oderzeitung (MOZ), die zu profitieren versucht vom, wie es ein Redakteur formuliert, “friedvollen und interkulturellen Zusammenleben in der deutsch-polnischen Doppelstadt Frankfurt-Slubice“, das wiederum “eines der größten Wunder der Nachwendezeit“ sei. Und so erscheint in der MOZ zum Beispiel einmal im Monat “eine deutsch-polnische Partnerschaftsseite“ zu gestalten. Hier werden die Themen der Grenzregion verhandelt, Kulturtipps auf der jeweils anderen Seite vorgestellt, oder es kommen deutsch-polnische Vereinigungen und Initiativen zu Wort. Um auch in der Partnerstadt effektiv recherchieren zu können, hat die Redaktion Zuwachs von mehreren jungen polnisch-sprachigen Redakteuren bekommen.“

+++ Annekatrin Hendels vor knapp einem Jahr im Kino angelaufener Dokumentarfilm “Fa­mi­lie Brasch – Ei­ne deut­sche Ge­schich­te“ mache unter anderem “die bis heute unterschätzte Dimension“ des Schriftstellers Thomas Brasch “als Filmemacher deutlich (gleich zwei seiner Filme liefen im Wettbewerb von Cannes)“. Das hebt Oliver Jungen in der FAZ (Blendle-Link) hervor. Die SZ lobt Hendels Arbeit ebenfalls, es handle sich hier um einen “Dokumentarfilm, der die Politik wie nebenbei geschehen lässt, und dabei seinen Fokus nie verliert: eine Familiengeschichte zu erzählen.“

Neues Altpapier gibt’s wieder am Donnerstag.

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