Teasergrafik Altpapier vom 14. Oktober 2019: Portrait von Mathias Döpfner
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Das Altpapier am 14. Oktober 2019 Jeder darf alles

14. Oktober 2019, 15:36 Uhr

Deniz Yücel antwortet auf Mathias Döpfner. Friedrich Küppersbusch erfindet das Wort “Kollateralgoebbeln“. Außerdem: Hätte das ZDF Jörg Meuthen nicht interviewen sollen oder hätte es bessere Fragen stellen müssen? Ein Altpapier von René Martens.

Mohammad Ikinji, Arsene Jakso, Dilsuz Deldar, Amal Younis - so lauten die Namen der vier Journalisten, die am Sonntag verletzt wurden bei einem Angriff der türkischen Armee auf einen Konvoi mit Zivilisten in Nordsyrien. Ein weiterer Journalist starb bei der Attacke. Sein Name: Saad Ahmed, Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Hawar News (ANHA).

Das Commitee to Protect Journalists (CPJ) berichtet über den Vorfall - und auch die französische Fernsehjournalistin Stéphanie Perez, die ebenfalls Teil des Konvois war, aber unverletzt blieb. “Such attacks are expressly prohibited by international law and may constitute war crimes“ - mit diesen Worten zitiert das CPJ Maria Salazar Ferro, die Direktorin ihres Emergencies Departments.

Yücels Döpfner-Kritik

Und nun zu den natürlich ebenfalls wichtigen, aber vielleicht nicht ganz so wichtigen Dingen: Mathias Döpfners nach dem Terroranschlag von Halle in die Welt gesetzte “Verschwörungstheorie“ (Altpapier von Freitag) hat auch innerhalb der Welt-Gruppe Widerspruch hervorgerufen: In der “Chronik“-Rubrik der Welt am Sonntag war gestern eine sarkastische Passage zu finden, die sich auf Döpfners Text bezog - allerdings ohne den Namen des Springer-Häuptlings zu nennen. Außerdem ist mittlerweile ein Kommentar Deniz Yücels erschienen, in dem er Döpfner direkt kritisiert - und vorher einige grundsätzliche Anmerkungen zum Zustand der hiesigen Debatten über Debatten macht:

“Natürlich darf Mathias Döpfner das schreiben und dürfte das auch, wenn er nicht gerade Chef eines Medienhauses wäre. Überhaupt ist das Verb ‚dürfen‘ in diesem Zusammenhang irreführend (…) Abgesehen von strafrechtlich relevanten Dingen, die festzustellen Sache der Gerichte ist, gilt für den politischen Diskurs: Jeder darf alles.“

Vermutlich bezieht sich Yücel dabei unter anderem auf einen Spitzendenker der rechten Publizistik, der nach der schnell aufkommenden Kritik an Döpfner pseudowitzig “Darf man die @welt noch offen lesen?“ geraunt hatte, um auf diese Weise “die Meinungsfreiheit derjenigen infrage (zu stellen), die Döpfners unsäglichen Kommentar mit den Mitteln der freien Rede scharf kritisieren“.

Im, grob gesagt, eher allgemeinen Teil von Yücels Meinungsbeitrag heißt es weiter:

“Der Kritiker, gerade der, muss sich seinerseits der Kritik stellen, ohne einer aggressiven Weinerlichkeit zu verfallen – eine Übung, in der es die AfD zur Perfektion gebracht hat: in jedes Mikrofon der Republik plärren zu können und sich zugleich darüber beklagen, man werde ‚mundtot’ gemacht; einen Popanz von vermeintlichen Redeverboten aufbauen, um sich sodann selber als 'mutigen Kämpfer gegen Tabus‘ zu inszenieren.“

Und es ist natürlich gut, dass jemand das in der Welt schreibt, also einer Zeitung, in der generell recht viele dieser Popanz-Aufbauer unterwegs sind. An einer Stelle, an der es konkret um Döpfner und Halle geht, würde ich Yücel aber widersprechen:

“Vor allem aber ist der Bogen irgendwann so weit, dass der eigentliche Anlass – der rechtsterroristische Anschlag in Halle – zu quasi einer Nebensache verkümmert. So entsteht eine Schieflage, die nicht in Döpfners Sinne sein kann.

Falscher kann man es kaum formulieren. “Dass der rechtsterroristische Anschlag in Halle zu quasi einer Nebensache verkümmert“ - das ist doch der eigentliche Kern des “wirren Manifests“ (Leo Fischer, ND) bzw. der “Kampfansage“ Döpfners (@agitpopblog). Der lange Vorsitzende hat hier “die letzten eventuell noch vorhandenen Schranken fallen lassen“ (Fischer again), und so etwas tut man ja nicht versehentlich.

Wen die FAS für einen “Öko-Aktivisten“ hält

Ich halte es darüber hinaus für instruktiv, Döpfners Text im Zusammenhang mit anderen Eskalationen rechtskonservativer Publizisten zu sehen, die alles, was sich auch nur entfernt “links“ einordnen lässt, als demokratiefeindlich oder demokratiegegefährdend brandmarken. Aktuell fällt mir da Rainer Hanks unter der Überschrift “Das Diktat der Populisten“ veröffentlichte FAS-Kolumne ein, in der er dem “Ökoaktivisten Bernd Ulrich“ vorwirft, dieser sei ein “Apokalyptiker“, der “puren Populismus“ verbreite. Dass Bernd Ulrich Journalist bei der Zeit ist, findet hier keine Erwähnung, er wird hier reduziert auf seinen vermeintlichen “Aktivismus“.

Und heute findet sich auf der FAZ-Titelseite (€) ein Kommentar Reinhard Müllers , in dem er über die Stichworte, Pu­tin, Trump und John­son zu folgendem Gedankengang gelangt:

“Die Bewunderung der vor allem bildergeprägten Medienwelt (trägt) das Ihre zu einer eher unzeitgemäßen Heldenverehrung bei, deren Folgen sie lieber nicht tragen will. Das gilt nicht nur für präpotente Präsidenten und Möchtegern-Mini-Churchills, sondern auch für Greta die Große und Kapitänin Rackete. Hier ist neben der berechtigten Offenheit für neue soziale Bewegungen oft eine naive Bewunderung für Radikalität auch gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat zu spüren, wo er eigentlich eher in Schutz genommen werden sollte.“

Abgesehen davon, dass man die um Ironie bemühte Formulierung “präpotente Präsidenten und Möchtegern-Mini-Churchills“ euphemistisch finden kann - die Quasi-Gleichsetzung von Donald Trump und Carola Rackete kann man schon fast als konservative Neo-Agitprop-Meisterleistung bezeichnen.

Ehrensache natürlich, dass Müller mittendrin noch raunend döpfnert:

“Einschüchterungen und Bedrohungen von Minderheiten und Andersdenkenden muss konsequent entgegengetreten werden – und nicht erst, wenn terroristische Mörder die Waffe ziehen, wie in Halle. Es darf zugleich nicht der Eindruck entstehen, bestimmte Themen würden unterdrückt.“

Auch hier haben wir ihn also wieder: den “Popanz“ (Yücel) der Themenunterdrückung.

Aber da es ja bei den allgemeinen Frankfurtern, wie bei der Welt auch (siehe oben), einen Binnenpluralismus gibt, können wir an dieser Stelle auch Imran Ayata zitieren. Er schreibt in einem derzeit ebenfalls nicht frei online zu habenden Beitrag für das Feuilleton/Literatur-Spezial der FAS zum Thema “Deutschland jetzt“ über andere Erscheinungsformen der Radikalisierung bei jenen, die sich selbst wohl der “Mitte“ zurechnen:

“Es gehört wohl zu den bedeutungsvollsten Phänomenen des Deutschlands im Jahre 2019, dass die tektonische Verschiebung nach rechts sich nicht nur darin zeigt, dass die AfD sich im politischen System verankert. Sie begegnet uns auch im Überbietungswettbewerb, Rechtsextreme als Rechtspopulisten zu verharmlosen, sich in Toleranz gegenüber Rechten zu üben (…) oder in Geflüchteten eine individuelle wie gesellschaftliche Bedrohung zu sehen. Die Folgen dieser neuen politischen Kartographie zeigen sich auch darin, dass in Medien und im Alltag vermehrt wieder von 'Ausländern‘ oder 'Ausländerfeindlichkeit‘ die Rede ist und sich die Twitter-Timelines von selbsternannten Liberalen regelmäßig mit menschenverachtendem Hass füllen.“

“Der langweiligste Interviewpartner“

Die taz beschäftigt sich auf zweierlei Weise mit dem vom ZDF zu verantwortenden “Morgenmagazin“-Interview mit Jörg Meuthen in Sachen Halle. Alexander Nabert schreibt dazu.

“Es ist das seit Jahren etablierte System Meuthen. Wann immer es kritische Fragen zur AfD gibt, Meuthen leugnet, relativiert, lenkt ab und wiederholt seine immer gleiche Floskel, dass die AfD eine ‚Rechtsstaatspartei‘ sei. Meuthen ist womöglich der langweiligste Interviewpartner, den das deutsche Fernsehen zu bieten hat. Das ZDF hat ihm ohne jede Not und ohne jeden Erkenntnisgewinn die Gelegenheit gegeben, dem geneigten Publikum noch einmal zu sagen, wie bürgerlich doch alles in der AfD zuginge. Dass weite Teile dessen, was Stephan B., der rechtsextreme Terrorist aus Halle, in seinem Video von der Tat sagt, sich mit dem deckt, was AfD-Funktionäre sagen und ihre Anhänger glauben, tritt da in den Hintergrund.“

Friedrich Küpperbusch sagt im traditionellen Wochenrückschau-Interview dagegen: “Die müssen das nicht nur machen – die müssten das sogar gut machen.“ Haben sie aber nicht, ganz im Gegenteil, so Küppersbusch:

“Im Interview selbst (…) verliebte sich der Moderator suizidal in ein Höcke-Zitat von Wölfen, Hämmern, Ambossen und irgendwas mit Hitler, wofür er sich die Erstohrfeige “Was hat das mit Halle zu tun?“ von Meuthen abholte. Der schwärmte von seiner Rassenbande als “pro-israelisch“, man habe “ganz viele“ jüdische Mitglieder und gar eine “jüdische Gruppe“. Informierte Nachhaken wie “Wie viele jüdische Mitglieder genau, bitte?“ und “Was sagen die zu Halle?“ blieben aus. Oder: “Umvolkung, Massenmigration – warum teilen Sie Vokabeln mit dem Mörder von Halle?“ Oder “Beschneidung, Schächtung – warum will die AfD das verbieten?“ Stattdessen kotaute das Eis in der Unterwerfungswendung des Moderators: “Wir werfen Ihnen persönlich diese Formulierung gar nicht vor.“ Was man im Sportstudio nochmal als Zeitlupe wiederholen kann: Hau dir einen Elfer über 90 Meter rücklings ins eigene Tor.

Mein Problem ist eher das Narrativ des ZDF. “Nach dem Anschlag auf eine Synagoge in #Halle hatten Politiker und Vertreter der jüdischen Gemeinde der AfD eine Mitschuld an der Tat gegeben“, twitterte das “Morgenmagazin“, und zu diesem “Vorwurf“ habe sich Meuthen in der Sendung äußern können. Es handelt sich hier aber nicht um einen “Vorwurf“, sondern eine nüchterne Feststellung, beinahe eine Binse. Abgesehen davon muss man mit Nabert fragen: Warum interviewt man eigentlich jemanden, wenn man sowieso weiß, was er sagt? Das fragt man sich aber oft, nicht nur bei Politikern der AfD, sondern auch bei Politikern anderer Parteien.

Küppersbusch dürfen wir noch danken für den in einem anderem etwas anderen Gesprächs-Zusammenhang kreierten Neologismus “Kollateralgoebbeln“.

“Die Ehrennadel für versehentliches Kollateralgoebbeln jedoch geht an eine Video-Unterzeile der Bild: 'Weil Stefan B. an der Synagoge keinen Erfolg hatte, erschoss er wahllos …‘ Kein Erfolg. Ach so.“

Die hat sich bei Springer also jemand offenbar etwas zu tief in die Perspektive des Täters hinein gedacht.

Yücels Selbstkritik

Schlagen wir noch einmal den Bogen zurück zum oben ausführlich zitierten Deniz Yücel. Im SZ-Ressort “Politisches Buch“ bespricht Christiane Schlötzer heute sein Buch “Agentterrorist "(Altpapier, Altpapier):

“Yücel bleibt auch in der Haft Journalist, er recherchiert, interessiert sich für die Schicksale anderer, nicht nur für sein eigenes. Meist sind es nur kurze Begegnungen, zufällig auf dem Gefängnisgang, über eine Hofmauer hinweg, auf dem Weg zu den Besucherkabinen (…) seine Frau Dilek auf ihn warten.“

Schlötzer stellt unter anderem die selbstkritischen Passagen heraus:

“(Der Autor) schont sich selbst nicht, er erzählt offen und oft bewegend, wie er immer wieder mit Dilek, die er im Gefängnis geheiratet hat, in Streit gerät, wie viel Spannung er aus der langen Isolationshaft (erst nach neun Monaten wird er in eine Zelle verlegt, in der er Kontakt über einen Hof zu einem anderen Journalisten hat) weitergibt an seine Freunde, seine Anwälte. Auch mit seinem Arbeitgeber, der Zeitung Die Welt, gerät er immer wieder aneinander (…) Er nennt sich selbst "ungerecht", geißelt seine “Macken", zum Beispiel alles immer besser wissen zu wollen; so wollte er die Kampagnen für seine Freilassung am liebsten selbst noch aus der Haft heraus führen.“

Mal sehen, ob Yücel nun auch nach seinem Kommentar in Sachen Döpfner mit seinem Arbeitgeber aneinander gerät.

Altpapierkorb (“Der Terrorist als Influencer“, Antifeminismus, Kacheljournalismus mit Videos, Parteien-Newsrooms, “Fett und Fett“)

+++ In Sachen Halle stellt Alexander Rupflin in der FAS den Aspekt “Der Terrorist als Influencer“ heraus - und zitiert dazu den Regensburger Rechtswissenschaftler und Kriminologe Henning Ernst Müller: “Seit zwei Jahrzehnten kann man in so einem Fall nicht mehr von einem Einzeltäter sprechen. Viel­mehr sind das Einzeltäter und Terroristen zugleich. Die Verschwörungstheorien bekommen sie im Internet serviert.“ Rupflin erwähnt das das unter anderen von Facebook, Instagram, Youtube, Twitter und Microsoft 2017 gegründete Global Internet Forum to Counter Terrorism (GIFCT), dessen Maßnahmen aber “leicht zu umgehen“ seien. “Das heißt, dass Video von Stephan B. wird nie wieder verschwinden. Wer will, wird es jederzeit irgendwo im digitalen Raum finden.“

+++ In einem Twitter-Thread erläutert Franziska Schutzbach (siehe zuletzt dieses Altpapier), warum man angesichts des Antifeminismus des Täters von Halle sich mit eben diesem Thema befassen muss. “Mit Antifeminismus lassen sich anti-egalitäre Ideen salonfähig machen und eine hierarchische Gesellschaftsstruktur idealisieren, ohne dass es direkt rechtsextrem und noch nicht mal rechts wirkt. Zweitens bietet Antifeminismus Selbstveropferung an, man kann auch als Mann endlich mal Gefühlen der Verletztheit, Benachteiligung und Ungerechtigkeit zelebrieren.“ In einer Medienkolumne darf da natürlich der Hinweis nicht fehlen, dass manche deutsche Publizisten das Ausleben ihres Antifeminismus als ihren wesentlichen Daseinszweck anzusehen scheinen.

+++ Dass ein Statement Horst Seehofers zum Thema Gamer, die sein Ministerium am Sonntag mit einem Tweet einzufangen versuchte, unter anderem deshalb Verbreitung fand, weil der Twitter-Account von “Bericht aus Berlin“ besagtes Statement “ohne jede Einordnung weiterreichte“, also “PR“ betrieb - das kritisiert Stefan Fries. Wir haben es in diesem Fall mit einer Variante des Zitatkacheljournalismus zu tun (siehe dazu auch dieses Altpapier).

+++ Um beim Stichwort PR zu bleiben: Hier nebenan habe ich über die sog. Newsrooms der Parteien geschrieben.

+++ “Wann ist es ARD und ZDF schon mal so unterhaltsam gelungen, eine Art Lebensgefühl der Generation einzufangen, die ihr im linearen Fernsehen verloren zu gehen droht?“ - Markus Ehrenberg zeigt sich im Tagesspiegel recht begeistert über die ZDF-Serie “Fett und Fett“. Ariane Holzhausen (Stuttgarter Zeitung) ebenfalls: “Das Lebensgefühl junger Städter wollten die Regisseurin Chiara Grabmayr Jakob Schreier, beides Absolventen der Hochschule für Fernsehen und Film München, einfangen. Einfangen klingt gut, trifft es aber nicht. Einfangen klingt nach Umkreisen, Begrenzen. Grabmayr und Schreier gelingt das Staunenswerte, im Gegensatz zu vielen anderen ihre Geschichten einfach laufen zu lassen. Ohne Drama. Ohne Zuspitzung. Ohne Albernheit. Das Echte, das dann noch bleibt, ist so viel gemeiner.“

Neues Altpapier gibt’s wieder am Dienstag.

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