Teasergrafik Altpapier vom 19. Dezember 2019: US-Präsident Trump steht vor einer amerikanischen Flagge. Daneben ein Schild mit der Aufschrift "Fake News Ahead".
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Das Altpapier am 19. Dezember 2019 Falschbehauptungen haben kurze Beine

20. Dezember 2019, 07:21 Uhr

Im dritten Trump-Jahr tun Journalisten sich im Umgang mit Donald Trump weiterhin schwer. Immerhin aus Relotius haben Redaktionen gelernt. Und Facebook-Chef Mark Zuckerberg spürt gerade, dass einem die Unwahrheit irgendwann auf die Füße fällt. Ein Altpapier von Ralf Heimann.

Wenn es nicht zum Verzweifeln wäre, müsste man vermutlich laut drüber lachen. Der sogenannte US-Präsident Donald Trump hat der Sprecherin des Repräsentantenhauses wegen des da noch drohenden und inzwischen beschlossenen Amtsenthebungsverfahrens einen sechsseitigen Brief geschrieben, über den Berthold Kohler in heutigen FAZ schreibt, er stelle "in seiner kalkulierten Maßlosigkeit alles in den Schatten, was Trump bisher von sich gab".

Pelosi selbst sagte, sie habe den Brief gar nicht komplett gelesen ("Wir haben gearbeitet"). Sie nannte das Schreiben "lächerlich" und "krank". Und "krank" daran erscheint wieder einmal, dass sogar dieses offizielle Dokument voller Falschbehauptungen ist. Noch am Montag hatte die dpa gemeldet, hier zu lesen beim ZDF: "Trump hat Zahl fragwürdiger Aussagen 2019 verdoppelt." Aber auch knapp drei Jahre nach seinem Amtseintritt halten Journalisten es anscheinend nach wie vor für möglich, dass Trump immer wieder aus Versehen die Unwahrheit sagt und diese Unwahrheiten versehentlich immerzu wiederholt, obwohl er längst korrigiert worden ist.

"US-Präsident Trump ist bekannt dafür, es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau zu nehmen. Kritiker werfen ihm vor, zu lügen", schreibt das ZDF in vorauseilender Hasenfüßigkeit, statt es einfach zu benennen, wie es ist:

"US-Präsident Trump ist bekannt dafür, die Unwahrheit zu sagen. Und nicht nur das: Er wiederholt falsche Behauptungen auch dann immer wieder, wenn man ihm falsche Behauptungen nachweist."

Ob Trump tatsächlich lügt, lässt sich schwer sagen, denn dazu müsste er bewusst die Unwahrheit sagen. Und bei der unglaublichen Zahl an Falschbehauptungen – die Washington Post hat seit seinem Amtsantritt bis zum 10. Dezember 2019 insgesamt 15.413 falsche oder irreführende Aussagen gezählt – muss man wahrscheinlich auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er aus irgendeinem Grund nicht in der Lage ist, zu erkennen, was eine Lüge ist, oder ein Verständnis von Wahrheit hat, das sich von der gängigen Idee deutlich unterscheidet. Das würde allerdings nichts daran ändern, dass er Tag für Tag falsche Behauptungen in die Welt setzt und diese immer und immerzu wieder wiederholt.

Wie auch immer, Verzweifeln ist natürlich keine Option. Marty Baron, Chefredakteur der Washington Post, hat vor drei Jahren gesagt: "Wir sind nicht im Krieg, wir sind bei der Arbeit." Und diese Überzeugung teilen auch die Kollegen und Kolleginnen bei der New York Times, wo man den sechseitigen Wutbrief Trumps nun einfach, wie Journalisten es eben machen, überprüft und kommentiert veröffentlicht hat (€). Ergebnis: An 19 Stellen übertreibt Trump, drückt sich missverständlich aus oder behauptet die Unwahrheit.

Bitte entschuldigen Sie meine anhaltende Verwunderung. Aber ich kann es nicht ändern, ich erinnere mich noch immer an Zeiten, in denen so etwas einen Präsidenten in Bedrängnis bringen konnte – oder zumindest zu einer öffentlichen Diskussion führte. Doch diese Zeiten sind anscheinend vorbei. Das wussten wir längst, sehen es jetzt aber noch einmal ganz deutlich. Der normale Fortgang wäre, so naiv das auch klingen mag, die Dinge richtigzustellen. Die inzwischen gängige Vorgehensweise dagegen ist: sich bloß nicht aufs Glatteis der Fakten zerren lassen und inhaltlich auf irgendetwas eingehen, sondern einfach der Gegenseite Lügen vorwerfen. Dem an die eigene Partei gläubigen Publikum genügt das anscheinend.

Der US-Präsident twittert inzwischen, nach der Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens schon wieder wie im Wahn. Allein den vergangenen zwölf Stunden (Stand: 6 Uhr) hat er 26 Tweets geschrieben oder verbreitet, unter anderem die im Original nur aus Großbuchstaben bestehende Nachricht:

"So schreckliche Lügen der radikalen linken Nichts-tun-Demokraten. Das ist ein Angriff auf Amerika und auf die republikanische Partei."

Was Relotius verändert hat

Diese Strategie des "Selber!", die wir unter anderem vom vierjährigen Nachbarssohn Fynn-Paul kennen, feiert, wie wir wissen, inzwischen auch außerhalb der USA große Erfolge. Claas Relotius ging ähnlich vor, als er Juan Moreno nach dessen Buchveröffentlichung verklagte. Es war auch der Versuch, das öffentlich entstandene Bild wieder schiefzurücken und den richtigen Eindruck, hier finde eine Auseinandersetzung zwischen einem Hochstapler und einem Enthüller statt, in eine Richtung zu drehen, die einen anderen Eindruck entstehen lässt: Zwei Journalisten streiten um die Wahrheit.

Dass diese Strategie anders als bei Trump in den USA in Deutschland nicht verfängt, liegt möglicherweise bis sicherlich auch daran, dass der Glaube an Trump in den USA fast religiöse Ausmaße zu haben scheint, und da lässt sich dann mit Factchecking bekanntlich nicht viel machen, während in Deutschland an Relotius nicht mehr ganz so viele Menschen glauben.

Das Medium-Magazin hat Juan Moreno soeben völlig verdient zum Journalisten des Jahres gewählt. Das hat Annette Milz, Chefredakteurin des Magazins, auf Twitter verraten. (Hier sind die übrigen Gewinner.)

Daniel Bouhs hat sich ein Jahr, nachdem die neue Spiegel-Affäre bekannt wurde, in einem 18 Minuten langen Beitrag für den Deutschlandfunk mit der Frage beschäftigt, was sich in den Redaktionen seitdem verändert hat. SZ-Redakteurin Gianna Niewel fasst das Ergebnis in dem Beitrag so zusammen: "Diese neue Zeit ist für die Journalisten bisweilen auch belastend."

Konkret bedeutet das: Es gelten höhere Standards. Die Süddeutsche Zeitung etwa arbeitet an einer Recherchedatenbank, in der Reporter ihre Rechercheergebnisse hinterlegen müssen (Altpapier). Jurys von Journalistenpreisen verlangen Rechercheprotokolle. Auch der Deutschlandfunk selbst plant Änderungen. Bouhs:

"Im Frühjahr nächsten Jahres soll ein Update des journalistischen Selbstverständnisses erscheinen. Vor allem bei subjektiven Berichten sollen Autorinnen und Autoren ihren Redaktionen konsequenter als bisher belegen, dass ihre Geschichten auch stimmen."

Zudem sollen in den Funkhäusern in Köln und Berlin Vertrauenspersonen eingesetzt werden, "die Hinweisen nachgehen und selbst auch Stichproben machen".

Anna Ringle hat für die dpa zusammengetragen (hier zu lesen bei Meedia), wie Redaktionen auf die Relotius-Enthüllung reagiert haben. Sie hat unter anderem mit SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach gesprochen, der die Idee der Recherchedatenbank noch etwas präzisiert. Die Datenbank basiere auf künstlicher Intelligenz und erlaube es der Redaktion, "Recherchen im Zweifelsfall schneller und genauer zu prüfen".

Die Zeit hat so eine Technik noch nicht, arbeitet aber inzwischen mit Stichproben. Ein Zufallsgenerator wählte einen Artikel aus, den dann ein Journalist oder eine Journalistin auf sachliche Richtigkeit überprüfe, erklärt Chefreporter Stefan Willeke.

Auch taz und WDR haben ihre Arbeitsweise überdacht. Beim WDR arbeite man an einem Papier, das unter anderem vorsieht: "Dokumentation und Transparenz des Rechercheweges mit Nennung der Quellen und Kennzeichnung von Archivmaterial, ob vor Ort recherchiert wurde oder nicht." Auch Prüfstandards seien ausgeweitet worden. Die taz bemüht sich laut Chefredakteur Georg Löwisch inzwischen um mehr Transparenz bei Quellen, auch um den Preis, dass Texte dann unter Umständen etwas sperriger werden.

Facebooks ramponierte Glaubwürdigkeit

Dass das Verbreiten von Unwahrheiten auch in den USA in den Zeiten von Donald Trump noch immer nicht folgenlos bleibt, erlebt gerade Mark Zuckerberg, mit dessen Konzern sich Uwe Jean Heuser und Ann-Kathrin Nezik in der aktuellen Ausgabe der Zeit beschäftigen. Das Thema des Artikels ist die von Zuckerberg immer wieder geäußerte Bereitschaft, auf den Wunsch von Kritikern einzugehen und das Unternehmen regulieren zu lassen, wobei die Bereitschaft laut Heuser und Nezik nur Stellen betrifft, an denen die Regulierung dem Unternehmen nützt. Im Weg steht Facebook dabei seine ramponierte Glaubwürdigkeit.

"Viele, die in Brüssel Politik gestalten, misstrauen Facebook. Sie haben nicht vergessen, dass das Unternehmen vor der Übernahme von WhatsApp versprach, die Profile der Nutzer von Facebook und WhatsApp nicht zusammenzuführen, um zwei Jahre später genau das zu tun. Sie erinnern sich daran, dass Facebook behauptete, es sei technisch unmöglich, Hasskommentare mithilfe von Algorithmen zu finden, eine Technik, für die Zuckerberg sein Unternehmen nun gern selbst lobt. Ein EU-Berater drückt es so aus: 'Facebook hat jahrelang nur gelogen. Warum sollten wir denen nun glauben?'"

In dem Zusammenhang erwähnen Heuser und Nezik auch die Ankündigung des Unternehmens, Wissenschaftlern Zugang zu 30 Millionen Nutzerdaten zu geben, um überprüfen zu lassen, inwieweit über Facebook der Ausgang von Wahlen beeinflusst wurde.

"Aus Deutschland wird der Münchner Politikwissenschaftler Simon Hegelich ausgewählt. Mit seinem Team will er untersuchen, wie sich Desinformationskampagnen auf die Bundestagswahl 2017 auswirkten. Doch heute, ein halbes Jahr nach dem Start des Projekts, ist Hegelich ernüchtert: Facebook habe ihm gerade einmal 0,01 Prozent der versprochenen Daten zur Verfügung gestellt. Auf Nachfragen habe Facebook mit rechtlichen Bedenken argumentiert. Hegelich findet das merkwürdig, denn Facebook sei sehr wohl bereit, vergleichbare Daten mit seinen Geschäftspartnern zu teilen, also dann, wenn es um Werbung gehe."

Vor diesem Hintergrund lesen sich natürlich auch aktuelle Ankündigungen anders, wie etwa die, dass Facebook mithilfe von Faktencheckern dafür sorgen wolle, Falschmeldungen weniger Reichweite zugeben, wie Konstantin Kumpfmüller für den ARD-Faktenfinder berichtet.

Auch an diesem Vorhaben gibt es Zweifel. Anfang Dezember war es Wissenschaftlern für eine Studie gelungen, "Zehntausende Likes, Kommentare und Seitenaufrufe auf Facebook, Twitter, Youtube und Instagram zu kaufen". Man habe herausfinden wollen, ob die Seitenbetreiber selbst erkennen, dass die Inhalte nicht authentisch sind.

Kumpfmüller:

"Dies war demnach nur selten der Fall. Vier Wochen nach dem Kauf seien 80 Prozent der gefälschten Unterstützungen weiter online gewesen. Die Erkenntnisse stünden im Kontrast zu den Versprechen der Unternehmen, Manipulationen auszumerzen, so die Autoren der Studie."

Und falls Sie sich für das Thema interessieren: Svea Eckert, Simon Hurtz, Sören Müller-Hansen und Vanessa Wormer vom Rechercheverbund von SZ, NDR und WDR erklären in einem Beitrag für die SZ sehr ausführlich, wie das Geschäft mit den gekauften Likes funktioniert.


Altpapierkorb (Bad Kleinen, Kuciak-Prozess, The Buzzard, TikTok, DuMont, Kollegah)

+++ Der Spiegel untersucht auf Betreiben des ehemaligen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl noch einmal seine Titelgeschichte "Der Todesschuss" aus dem Jahr 1993, die Hans Leyendecker später "meinen verheerendsten Fehler" genannt hatte. Leyendecker hatte damals von einem Informanten erfahren, der RAF-Terrorist Wolfgang Grams sei hingerichtet worden, nachdem er sich schon ergeben hatte. Später hatte sich herausgestellt: Es war Selbstmord. Von Stahl musste damals wie auch Bundesinnenminister Rudolf Seiters zurücktreten. Nachdem Gabor Steingart gestern in seinem Morning-Newsletter über die geplante Untersuchung des Falls berichtet hatte, liefert er heute ein Interview mit von Stahl, der sagt, der Spiegel habe sich bis heute nicht bei ihm entschuldigt und der behauptet: "Den anonymen Zeugen, den der 'Spiegel' angeblich hatte, den hat es meiner Ansicht nach gar nicht gegeben. Der 'Spiegel' hat also die Geschichte erfunden."

+++ In der Slowakei beginnt heute der Prozess um den Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Freundin Martina Kusnirova, berichtet unter anderem der Deutschlandfunk.

+++ Marina Weißband findet die Idee des in Verruf geratenen Startups "The Buzzard" gut, sagt sie in ihrer Kolumne für das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres, weist aber auf ein weit verbreitetes Missverständnis hin: "Zwei möglichst weit voneinander entfernte Meinungen balancieren einen Diskurs nicht aus. Ihre Wertigkeit ergibt sich aus dem Kontext, aus dem zugrundeliegenden Menschenbild, aus Interessen und Hintergründen der Quellen."

+++ Sebastian Meineck hat für die Vice getestet, was passiert, wenn Journalisten bei TikTok auf Polizeigewalt hinweisen. Das Ergebnis: Das Netzwerk löscht die Clips.

+++ Die Medientruppe DuMont verkauft ihre Kölner Zeitungen jetzt doch nicht, wie unter anderem Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite schreibt. Weiter zum Verkauf stehen allerdings die Hamburger Morgenpost und die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle. Wie mit ihnen weitergeht, will DuMont im Januar bekanntgeben.

+++ Der Rapper Kollegah verliert einen Rechtsstreit gegen den BR, berichtet die dpa, hier zu lesen beim Tagesspiegel.

+++ Matthias Hannemann beschäftigt sich ebenfalls auf der FAZ-Medienseite (55 Cent bei Blendle) mit der Joyn-Serie "Dignity" über den 1997 abgetauchten Führer der Sekte "Colonia Dignidad", Paul Schäfer. "Entscheidend für die Resonanz der Serie wird auch sein, wie 'Dignity' (…) mit der politischen Dimension der Geschichte umgeht. (…) Unser Bauchgefühl sagt: 'Dignity' wird das stemmen."

+++ Und noch in eigener Sache: Christian Bartels hatte am Dienstag netterweise schon drauf hingewiesen: Ich habe fürs Bildblog eine Serie über Fehler im Journalismus geschrieben. Bis Montag erscheint täglich eine Folge, gestern kam die dritte – über den Bestätigungsfehler.

Reguläre Altpapiere erscheinen in diesem Jahr noch am morgigen Freitag und am Montag. Zwischen dem 24.12.2019 und dem 1.1.2020 kommen dann fünf monothematische Altpapier-Jahresrückblicke.

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