Teasergrafik Altpapier vom 20. Dezember 2019: Waage mit Geldscheinen auf der linken, leichten Seite und einem Paket Zeitungen, sowie einem Wecker, auf der rechten, schweren Seite.
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Das Altpapier am 20. Dezember 2019 Zurück in die Medienzukunft

20. Dezember 2019, 12:22 Uhr

Sind Zeitungstitel so unattraktiv, dass man für ihren Verkauf mittlerweile eine Mitgift zahlen muss? Spoiler: Nur teilweise. Das Herunterwirtschaften journalistischer Produkte macht wütend. Die Nieman-Predictions für Journalismus im Jahr 2020 geben aber wieder positive Vibes in die Branche. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Kinners, es könnte besser laufen, oder? Zum Jahresende wird der eine oder die andere ja nostalgisch. Bei DuMont ist dafür im Moment allerdings wenig Platz. Im Februar hatte das Kölner Medienhaus, das sich jetzt nicht mehr Verlag sondern lieber Technologieunternehmen nennt, über‘s Abstoßen seiner Regionalzeitungen nachgedacht.

Für den Kölner Standort (Stadtanzeiger und Express) ist das nun erst mal vom Tisch (siehe Altpapier gestern). Ob das allerdings eine gute Nachricht ist, ist zu bezweifeln – wo das Unternehmen doch eher wenig Bock auf Journalismus zu haben scheint. Nachdem man den Berliner Verlag mit der Berliner Zeitung und dem Berliner Kurier an das branchenfremde Paar Silke und Holger Friedrich verkauft wurde (die zehn Folgen aus der ersten Staffel der Neuverleger-Soap gibt‘s im Altpapier-Archiv), steht die Zukunft der Hamburger Morgenpost und der Mitteldeutschen Zeitung aus Halle weiter zur Debatte.

Bei der Mopo sieht es in der Hinsicht etwas kurios aus, wie Marco Carini bei der taz beschreibt. Die langjährige Geschäftsführerin des Morgenpost Verlags, Susan Molzow, soll ein Übernahmeangebot für das Boulevardblatt abgeben wollen, das soll allerdings eine Art Mitgift beinhalten:

"Nach Brancheninformationen will Molzow das Blatt zu einem 'negativen Kaufpreis' erwerben. Sie verlangt von den DuMont-Gesellschaftern Geld für die Übernahme, anstatt welches zu zahlen. Weder Molzow noch die Kölner DuMont-Zentrale äußern sich derzeit zu den laufenden Verhandlungen. Dass Molzow von DuMont eine Mitgift verlangen soll, erklärt sich aus den Verlusten vor allem im Print-Bereich."

Online laufe es zwar ganz gut, die Print-Ausgabe gelte intern aber nur noch als eine Art Abfallprodukt.

An der Mitteldeutschen Zeitung hat wohl die Mediengruppe Bauer Interesse, berichtet Alexander Meier bei der Welt. Den Hamburgern gehört auch die Magdeburger Volksstimme – Synergieeffekte winken am Horizont.

"Eigentlich sollte noch vor Weihnachten ein Verkauf verkündet werden, doch nun heißt es, man habe sich auf Januar vertagt. Was darauf hindeutet, dass es letztlich nur noch um den Preis geht."

Zum Wert der Zeitung schreibt Meier:

"Der Verlag der Mitteldeutschen Zeitung dürfte im vergangenen Jahr einen mittleren bis hohen einstelligen Millionengewinn erzielt haben. Doch wegen der seit Monaten anhaltenden Unsicherheit über die Zukunft der Zeitung, die noch eine Auflage von rund 161.000 täglich verkauften Exemplaren erreicht, soll im Haus weitgehender Stillstand herrschen. Denn wer investiert noch Geld, wenn eigentlich verkauft werden soll?"

Aus der Perspektive einer jungen Journalistin, der beim Einstieg in die Branche vor fast zehn Jahren sehr bewusst war, dass es nicht einfach wird und allerorts 180Grad-Wendungen anstehen, macht das wütend! Da arbeitet man sich das Hinterteil ab, beobachtet neue Ansätze, sieht wie Medien-Startups scheitern und andere kleine Erfolge feiern, wie viele junge Menschen hustlen und struggeln, um was Zukunftsfestes auf die Beine zu stellen. Und gleichzeitig wirtschaften andere ihre journalistischen Produkte stetig weiter runter. Sorry, not sorry für diese undifferenzierte Kritik, zum Jahresende muss so was mal raus.

Wiebke Möhring, Professorin für Online- und Printjournalismus an der TU Dortmund (Disclaimer: dort hab ich selbst studiert) sagte kurz nach Bekanntwerden der DuMont-Verkaufspläne im Gespräch mit Max Wiegand bei dem Lokaljournalismus-Forum Drehscheibe:

"Man sollte darüber nachdenken, wie wichtig das Lokale innerhalb eines Verlagshauses ist und ob es nicht noch viel stärker im Vordergrund stehen sollte. Darüber reden wir seit 20 Jahren und es gibt immer wieder Verlage, die mit einer stärkeren Fokussierung auf lokale Themen gute Erfahrungen machen. Das würde jedoch eine radikale Veränderung der Zeitungsstruktur erfordern. Bis heute ist es beispielsweise nicht möglich, nur den Lokalteil einer Zeitung zu abonnieren. Es wäre daher wichtig für die Verlage, herauszufinden, welcher Zeitungsteil die anderen Zeitungsteile in welchem Maße mitfinanziert. Die Bedeutung des Lokalen wird tatsächlich von allen hervorgehoben, doch das Geld fließt zumeist in die anderen Ressorts. Von einer Stärkung des Lokaljournalismus kann also zumeist keine Rede sein."

Back to the Future

In dieser Hinsicht mal was anzupacken, oder zumindest eine unverstellte Bestandsaufnahme zu wagen, dazu inspirieren jedes Jahr die "Predictions For Journalism 2020". Wenn man dieses Jahr einen Blick in diese Glaskugel der Harvard Nieman Labs wirft, gibt es auffallend viele Positionen, die dafür plädieren, sich trotz überbordender technischer Möglichkeiten zurückzubesinnen auf verschiedene Grundlagen. Dabei wird die Community eines Mediums – anders als in der Vergangenheit, als es an vielen Stellen noch deutlich weniger Rückkopplungskanäle gab – stark ins Zentrum der Bemühungen gestellt, die unsere Branche 2020 voranbringen könnten.

So erinnert etwa die ProPublika-Reporterin Logan Jaffe: "You don‘t need fancy tools to listen". Statt die Nachrichtenflut mit weiter steigendem Input zu füttern fordert Sarah Alvarez, Gründerin des Detroiter Regional-Angebots Outlier Media, sich wieder stärker der eigenen Community verpflichtet zu fühlen. Dafür sei detailliertes Nachfragen wichtig:

"When you ask people what they want from their news (we have), they tell you more traffic and more weather. But if you ask people what they see as their biggest challenges and what information they need to meet those challenges, you get something else. You get stories and tips and more importantly a roadmap for how to create something of value. Few people want more news. But many, it seems, want more from those of us who work in the news."

Eine Art Gegenpol setzt Rasmus Kleis Nielsen, der mit Blick auf digitale Geschäftsmodelle darauf dringt, der Vergangenheit den Rücken zuzuwenden. Im Prinzip fordert er Medienhäuser dazu auf, nicht immer weiter den Einnahmen aus vergangenen Blütezeiten des Printjournalismus hinterher zu weinen, sondern realistisch in die Zukunft zu blicken. Seine Voraussage – eigentlich ist es eher eine Hoffnung – tägt den Titel "The business we want, not the business we had".

Er wirft dabei u.a. einen Blick nach Frankreich, Schweden und Norwegen: z.B. dürfte die Tageszeitung Le Monde mittlerweile im Digitalen mehr Abonnent:innen haben als bei der gedruckten Zeitung in den 90ern. Und Dagens Nyheter wächst ebenfalls stetig und die Abo-Zahl (digital und Print) hat wieder den Stand der frühen 00er Jahre erreicht. Auch Digital-Only Produkte wie das spanische El Diario, das dänische Zetland oder das slowakische Dennik N können Wachstum und eine stabile Finanzierungsgrundlage verzeichnen. Überschwängliches Feiern sei aber nicht angebracht:

"All of them are, in their different ways, editorial idealists as well as hard-nosed commercial realists, focusing on their own strategy and revenue streams. None of them are begging for hand-outs from politicians, relying on corporate charity from platforms or other large companies, or basing their journalism on philanthropic support. Nor will you find them wishing for the internet to go away and the 'good old times' to come back (times that those who print things for profit are probably the main ones to miss)."

Er plädiert dennoch keineswegs für einen überschwänglichen, sondern für einen knallhart realistischen und dennoch vorsichtig zuversichtlichen Blick in die Zukunft des Journalismus. Denn wenn fünf bis zehn Prozent der Onliner bereit sein, ein Abo bei einem oder höchstens zwei digitalen Nachrichtenangeboten abzuschließen, kann das natürlich nicht die Gewinne aus den Hochzeiten des Print anschließen. Der Wissenschaftler erwartet, dass die Einnahmen aus dem Nachrichtengeschäft weltweit mindestens für weitere zehn Jahre sinken werden und warnt:

"Past commercial glories won’t fund our future editorial mission."

Ja, der Markt ist alles andere als ein leichter und wird sich erst mal wohl auch nicht nennenswert entspannen, ebenso wenig wie das Wetteifern um Aufmerksamkeit und User-Einnahmen. Jeder Blick durch eine rosarote Brille scheint unangebracht. Vielleicht würde aber ein Blick durch ein Vergrößerungsglas helfen. Denn die erwähnten kleineren, digitalen Nachrichtenangebote scheinen sich ja einen einigermaßen profitablen Weg durch‘s Netz bahnen zu können. Mit dem richtigen System am richtigen Ort sei eine stabile und lukrative finanzielle Basis möglich, schreibt Kleis Nielsen – für solchen Journalismus, für den es sich auch lohnt zu zahlen. Und zum Schluss erlaubt er sich dann doch noch, ganz leise mit dem Sektkorken zu knallen:

"Very few will generate anything like the revenues or profits we saw in the past. But more and more are finding their own ways forward, on that basis they will be able to do important, independent, journalistic work, and we should recognize and celebrate that."


Altpapierkorb (Böhmi vorm BVerfG, Gehälter bei den ÖR, Gretas Bahnfoto, Ján Kuciak)

+++ Jan Böhmermann zieht in der Causa "Schmähkritik" vor‘s Bundesverfassungsgericht, berichtet u.a. die FAZ (via epd).

+++ "Bekommen Mitarbeiter bei den Öffentlich-Rechtlichen zu viel Geld?", fragt Elisa Britzelmeier bei der Süddeutschen mit Blick auf den Vorschlag der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten), die Gehälter zu kürzen und den Rundfunkbeitrag unten zu halten. Sie nimmt sich die deutlichen Unterschiede bei den einzelnen Rundfunkanstalten vor und zeigt Inkonsistenzen in der Argumentation des WDR.

+++ Warum hat die dpa Greta Thunbergs Bahn-Foto zwischenzeitlich bei Facebook als falsche Information markiert? Stefan Niggemeier geht dem Durcheinander bei Übermedien nach.

+++ Übermedien bekommt ab Februar 2020 einen Redaktionsleiter: Jürn Kruse. Das sei "auch ein großer Schritt, damit Übermedien weiter wächst", schreiben Niggemeier und Rosenkranz in einer Mail an ihre Übonnenten.

+++ In der Slowakei hat der Prozess gegen die mutmaßlich Verantwortlichen für den Mord an dem Investigativjournalist Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová begonnen, berichtet Viktoria Großmann bei der Süddeutschen: "Nach und nach kommen immer mehr Persönlichkeiten zu Fall, die Kočners (Anm. Altpapier: Marián Kočner, Geschäftsmann, der für den Mord verantwortlich sein soll) System gedient haben. Ein stellvertretender Parlamentspräsident trat wegen Vorwürfen besonders enger Kontakte zu Kočner zurück. Ein früherer Generalstaatsanwalt, der über Jahre Beweise in einem Korruptionsfall zurückhielt - zugunsten Kočners - gilt seit Mittwoch laut Polizei als offiziell Beschuldigter. Eine Staatssekretärin im Justizministerium gab ihr Amt auf - auch sie arbeitete für Kočner, der sie als 'Äffchen' bezeichnete. Andere waren für ihn einfach 'Schafe'."

+++ Mit der Lindenstraße hat die älteste deutsche Soap heute ihren letzten Drehtag. Hans Hoff wirft in der Süddeutschen einen Blick zurück.

Ein letztes aktuelles Altpapier für 2019 gibt‘s am Montag. Zwischen Weihnachten und Neujahr finden Sie hier fünf verschiedene Rückblicke auf das fast vergangene Medienjahr.

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