Teasergrafik Altpapier vom 03. März 2020: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 03. März 2020 Herausfordernd

28. Februar 2020, 11:59 Uhr

Fabriken, die statt Fernsehern Gesichtsmasken herstellen. Mitgefühl für eine "abgehärtete" Hauptstadtzeitungs-Redaktion. Possen um und "Bärendienste" für Sachsens Meinungsfreiheit. Beugehaft für die, die ihre Passwörter nicht verraten wollen? Dazu Warnungen vor Uploadfiltern von äußerst unterschiedlichen Seiten – und der Appell, die Bundesregierung online bei neuen Gesetzesplänen zu beraten. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Echtzeitstimmung II (Coronavirus)

Das Coronavirus ist in der Hauptstadt nachgewiesen, und die Bundesregierung hat performativ ideal memefähige (schon ver-GIF-te?) Bilder fürs angemessene Verhalten produziert.

Zur Lage gehört eine Fülle von Nachrichten, die zum Teil die Medien auch unmittelbar betreffen, wie Homeoffice-Beschlüsse und Pressekonferenz-Absagen bei süddeutschen Medienkonzernen (dwdl.de) und Produktionsumstellungen asiatischer Fernsehgeräte-Fabriken, die nun Gesichtsmasken herstellen (Standard). Übertrieben? Angemessen? Zu spät und zu wenig? Das erst dann wirklich einschätzen zu können, wenn es im Einzelfall nicht mehr interessiert, ist ein wesentlicher Aspekt der "Echtzeitstimmung" (Altpapier gestern, wobei es den so treffenden Begriff übrigens mindestens seit 2013 gibt).

Unmittelbar in einer Medienkolumne erwähnenswert ist die Meldung "Erste öffentliche Schule in Berlin schließt". Die Berliner Zeitung hatte sie gestern als erste, weil diese Schule "Silke und Holger Friedrich, die auch Eigentümer des Berliner Verlags sind, in dem Berliner Zeitung und Berliner Kurier erscheinen" gehört. Da besteht selbstverständlich kein kausaler Zusammenhang. Es ist eine Korrelation. Bloß ist die BLZ, wie schon gestern an dieser Stelle, weiterhin ein eigenes Medienmedien-Thema...

Erleichtert bis abgehärtet? (Berliner Zeitung)

... auch weil sie aktuell keinen eigentlichen Chefredakteur hat. Rasch ein Blick ins Impressum: Dort sind Maier & Mayer, "Herausgeber: Dr. Michael Maier" und als "Verantwortlich i.S.d. § 55 Abs. 2 RStV": Margit J. Mayer (Mitglied der Chefredaktion). Nun haben weitere Berliner Zeitungen frische Einschätzungen der Lage. Für den Tagesspiegel hat Kurt Sagatz läuten gehört, dass Matthias Thiemes Kündigung im Berliner Verlag "sogar eher positiv und mit Erleichterung aufgenommen" worden sei:

"Der Weggang von Thieme sei zwar 'ein ordentlicher Knall', aber das könne beim Nachdenken darüber helfen, was man tut. Jetzt wünsche man sich, dass man in Ruhe miteinander klärt, wie man gemeinsam etwas Neues aufbaut",

zitiert er den Betriebsratsvorsitzenden. Sagatz' These, das Agieren des Herausgebers "als Ober-Chefredakteur" habe zum neuen Ärger geführt, teilt Steffen Grimberg in der taz zum Teil, findet aber auch den Rechercheeifer vor allem von Springers Welt übertrieben:

"Für den Berliner Verlag, der bei seinem Schlagzeilen produzierenden Eigentümer-Verleger-Paar mal ein ruhigeres Fahrwasser bräuchte, kommt die klare Kante zur Unzeit. Insider fürchten, dass die ohnehin erratisch reagierenden Friedrichs sich nun erst recht in der Opferrolle wähnen und unberechenbarer werden könnten."

Die "sehr abgehärtete" BLZ-Redaktion gegen "sehr scharfe" bis "schadenfrohe" Reaktionen in Schutz nehmen möchte auch Deutschlandfunks "@mediasres" (Audio, ab Min. 16.50 im rückwärts laufendem Countdown) ... Zumindest Hertha BSC-Witze, in die die Süddeutsche ihre Meldung einkleidet, hat sie wirklich nicht verdient.

Medien- und Meinungsfreiheit in Sachsen

Nach Sachsen.

"Ich habe Sebastian Gemkow nach dem ersten Wahlgang im Neuen Rathaus zur Begrüßung kurz umarmt, wie das heutzutage oft üblich ist."

Huch, ist nicht eine der verbreitetsten (und dennoch berechtigen!) Binsen, dass man Umarmungen wie Händeschütteln vermeiden sollte? Okay, die Szene spielte sich Anfang Februar ab, als die Lage noch anders war oder schien. Da zitiert flurfunk-dresden.de aus der Leipziger Volkszeitung (€) deren Reporter Klaus Staeubert. "Oberbürgermeister verweigert Interview mit Lokalzeitung" lautet die Überschrift des Blogs (inzwischen auch €).

Der gegen den CDU-Rivalen Gemkow knapp wiedergewählte Oberbürgermeister Jung von der SPD hatte ein Interview angeblich 89 Minuten vor dem vereinbarten Termin abgesagt, da es von jenem Reporter mit geführt werden sollte, der "sich ... am Abend des ersten Wahlgangs (2. Februar) mit Gemkow 'in den Armen gelegen' habe."

Und es wird noch bunter. Medial gab es eine Menge ungewöhnliche Vorkommnisse um diese Wahl –  obwohl mitten in Sachsen die längst seltene Konstellation herrschte, dass Vertreter der jahrzehntelangen Volksparteien das Rennen unter sich ausmachten. In der "einzigen lokalen Tageszeitung", einem "Monopolmedium" also, sei der CDU-Kandidat unter anderem "durch offensive Werbebanner und massenweise Sponsored Content nahezu omnipräsent" gewesen, fasste uebermedien.de kurz vorm zweiten Wahlgang am Sonntag zusammen. Ja, diese Parteinahme sei zu kritisieren, doch das Verhalten des Wahlsiegers ebenso, kommentiert wiederum der Flurfunk-Blog:

"Die Ablehnung eines Interviews wegen der angeblichen Nähe eines Journalisten zum politischen Gegner ist aber nicht in Ordnung. Zumal es jede Menge andere Möglichkeiten gegeben hätte für Jung, zu reagieren: Etwa genau das Thema im Interview anzusprechen. Seine Reaktion ist nicht nur ausgesprochen dünnhäutig, sondern erweist der Pressefreiheit einen Bärendienst".

Wenn sich das noch als lokale Posse begreifen lassen könnte, die immerhin positive Aspekte besäße (schließlich ist die LVZ eine Madsack-Zeitung, gehört also zu 23,1 Prozent der SPD-eigenen DDVG, weshalb das Eintreten für den CDU-Kandidaten von einer Art Nicht-Parteigebundenheit zeugen könnte ...), beunruhigt die zweite aktuelle Meinungs- und Medienfreiheits-Geschichte aus Sachsen umso mehr: Der Leipziger Fernsehjournalist Arndt Ginzel, bekannt aus so einigen Altpapieren vor allem wegen der "Hutbürger"-Recherchen, wird wieder "massiv im Netz beschimpft und bedroht", berichtet der Tagesspiegel. Und zwar, weil Ginzel auf Facebook und Twitter die Teilnahme eines Stadtrats von der CDU aus dem ebenfalls sächsischen Radebeul an einer Pegida-Demonstration publik gemacht hatte, an der auch Björn Höcke teilgenommen hatte (während CDU-Ministerpräsident Kretschmer an einer Gegendemonstration teilgenommen hatte ... )

Aktuelle Was-mit-Medien-Gesetzespläne

Zurück zur SPD. Weder deren Bundestagsabgeordneter Florian Post, noch focus.de, das klickstarke Boulevardportal, kommen häufig im Altpapier. Dieser Beitrag aber, den jenes vorige Woche über diesen und seine Interviewäußerungen schrieb, verdient Aufmerksamkeit. Es geht um das "Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" und den für deutsche Rechtsstaats-Verhältnisse neuartigen Aspekt der Passwort-Sicherheit:

"Kritikern der Initiative, wonach Anbieter von Telemediendiensten wie WhatsApp, Gmail, Facebook und Tinder sensible Daten von Verdächtigen wie Passwörter und IP-Adressen an Sicherheitsbehörden herausgeben müssten, wirft er mangelndes Verständnis für die Opfer von Verbrechen und einen 'Hang zum Täterschutz' vor. ... ... Gegen Verdächtige, die die Herausgabe ihres Passwortes verweigern, sollten laut Post Geldstrafen verhängt werden können. 'Wenn es hart auf hart kommt, halte ich auch eine Beugehaft von bis zu sechs Monaten für absolut vertretbar', ließ der Bayer durchblicken",

fasste Stefan Krempl bei heise.de zusammen. (Und dass der stets alarmierte DJV sich frühzeitig "irritiert" zeigte von Posts kräftiger Wortwahl, verdient auch Erwähnung).

"Es ist nicht richtig, Bürgerrechte wie Privatsphäre aufs Spiel zu setzen, nur um Extremisten zu fassen. Diese Rechte sollen ja Menschen schützen, die besonders auf Anonymität angewiesen sind. Und für Sicherheitsbehörden gibt es eine Reihe anderer Möglichkeiten, Extremisten zu entdecken ..."

antwortet die Autorin Karolin Schwarz (im zeit.de-Interview zu ihrem Buch "Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus"). Die Frage lautete: "Nach dem Anschlag von Hanau forderte der Unionsfraktionsvize Thorsten Frei, dass Behörden auf verschlüsselte Kommunikation im Netz zugreifen können müssten. Halten Sie das nach allem, was Sie recherchiert haben, für eine legitime Forderung?" – und zeigt, dass der Groko-Regierungspartner die Haltung des Sozialdemokraten Post unterstützt. Chancen auf Realisierung hat der Gesetzes-Plan also.

In der neuen Digitalpolitik-Kolumne "Edit Policy" bei heise.de warnt die Ex-Europaparlamentarierin Julia Reda vor EU-Plänen, durch die "Uploadfilter vorgeschrieben werden, die mittels künstlicher Intelligenz versuchen, gänzlich neue und unbekannte Inhalte zu erkennen und zu sperren", auch weil "die Fehlerraten solcher KI-Filter" besonders hoch seien. In der FAZ hingegen warnte Michael Hanfeld vor neuem Passagen im (bei der Ankündigung nach langen Beratschlagungen auch von ihm begrüßten) Medienstaatsvertrag: Denen zufolge könnten die sog. Intermediäre wie Google, Facebook usw.

"sogar die von Urheberrechtsgegnern zum Kampfbegriff geformten 'Uploadfilter' einsetzen, diese gegen Urheber richten und Inhalte vor- oder aussortieren. So würde, wenn der Medienstaatsvertrag mit dieser Begründung unterschrieben wird, nicht nur das umstrittene Leistungsschutzrecht für Verleger (das der Verlag dieser Zeitung übrigens nicht wahrnimmt) vernichtet, sondern das Urheberrecht schlechthin."

Gut, am heutigen Dienstag ist Hanfeld wegen noch neuerer Formulierungen im offenbar laufend umgeschriebenen Staatsvertrags-Entwurf wieder euphorischer (Blendle). Wenn Reda und Hanfeld, die sich in den wenigsten Detailfragen einig sein dürften, beide vor Uploadfiltern warnen, beweist das nichts – außer eines: dass Uploadfilter, wenn sie eingerichtet wurden, von allen Seiten zu allen möglichen Zwecken verwendet werden können, darunter auch zu solchen, die ursprünglich niemand (inklusive der ersten Befürworter) vorhersah ...

Was in der Umschau zur Was-mit-Medien-Gesetzeslage daher auch noch Erwähnung verdient: der Appell "Die Bundesregierung fragt nach eurer Meinung – darum solltet ihr antworten". Da rät Ingo Dachwitz bei netzpolitik.org, den "manchmal herausfordernden" Fragebogen "zur Datenstrategie der Bundesregierung" online auszufüllen.

Weil er überzeugt davon ist, dass guter Rat hülfe? Na ja, weil sich ansonsten vor allem die Gegenseite einbringen würde.

"Unternehmen, Lobbyist:innen der Datenindustrie und Data Scientists werden von alleine in großer Zahl mitmachen. Doch es braucht die Perspektive von Menschen, die in erster Linie das Gemeinwohl und die Demokratie im Blick haben, Leute aus der Zivilgesellschaft oder einfach Bürger:innen, die hier ihre Prioritäten und Ideen einbringen."

Auch dazu ließe sich allerhand Für und Wider aufführen (wie es in den bei netzpolitik.org oft lesenswerten "Ergänzungen" unten drunter auch geschieht). Sich den Bundesregierungs-Fragebogen (hier als PDF) zumindest einmal anzusehen, schadet zumindest nichts in einer Zeit, in der allen Ecken und Enden, auch unabhängig von Parteipositionen,  seltsame bis potenziell gefährliche Entwicklungen hervorscheinen. 

Altpapierkorb ("Jiyan", Streaming-Stromverbrauch, Regisseurinnen-"Speeddating", erste deutsche Intimitätskoordinatorin, Faktenchecks, nationales Radio)

+++ Die FAZ-Medienseite widmet sich heute mit Besprechung und Interview dem Dokumentarfilm "Jiyan – Die vergessenen Opfer des IS" der Autorin Düzen Tekkal. "Dem Film aber kann gar nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt werden. Noch ist nicht klar, wo er ausgestrahlt wird. Demnächst soll er im EU-Parlament gezeigt werden ...", schreibt Hannah Betke.

+++ "Streamen doch nicht so klimaschädlich wie angenommen" meldete spiegel.de gerne. Zahlen, die vor allem der französische "Öko-Thinktank" theshiftproject.org nannte, seien einer neuen Studie zufolge "maßlos übertrieben". +++ Ja, viele "durch das Netz geisternden Zahlen und Vergleiche stellen sich bei näherem Hinsehen als fragwürdig ­heraus", allerdings nach allen Seiten hin, auch etwa, was "den viel höheren Stromverbrauch" streamender TV-Geräte betrifft, heißt's im Beitrag "Streamen ohne Schuldgefühle" des c't-Schwerpunkts IT und Klimawandel (heise.de).

+++ Apples Streamingdienst war zum Start "von großem Mediengetöse begleitet, seither ist es eher still geworden", meldet der Standard (um dann dem Milliardenkonzern mit einer Höhepunkte-Vorshow inklusive, wow!, Steven-Spielberg-Serie unter die Arme zu greifen ...). +++ Während Disneys Dienst hierzulande auch auf der Plattform der Deutschen Telekom landen dürfte. +++ Die SZ-Medienseite engagiert sich qua Gastbeitrag von Hans Hütt nochmals für die umstrittene Serie "Hunters" von Amazons Streamingdienst.

+++ Einem Regisseurinnen-"Speeddating" der ARD-Degeto in einem Penthouse am Berliner Gendarmenmarkt hat der Tagesspiegel beigewohnt. Die ARD-Filmfirma will ihre zahllosen Krimis und Schmonzetten weniger oft von Männern drehen lassen.

+++ "Wenn es am Filmset intim wird", also vor der Kamera, sind in angelsächsischen Ländern oft Intimacy Coordinators dabei. Tilmann Gangloff stellt in epd medien von "Deutschlands erste Intimitätskoordinatorin" Julia Effertz vor.

+++ Noch 'ne neue (US-amerikanische, aber bereits von deutschen Wissenschaftlern bewertete) Studie: "Die vielfach als Gegengift zu 'Fake News' gehandelten Faktenchecks erreichen laut der neuen Untersuchung ihr Zielpublikum kaum. Nur grob ein Viertel der Nutzer besuchte überhaupt Webseiten von Faktenprüfern und nur 2,7 Prozent lasen die dortigen Informationen zu einem von ihnen zuvor angeschauten Artikel mit falschen Informationen. Solche alternativen Quellen haben den Verfassern zufolge so eher begrenzten demokratischen Wert beziehungsweise sprechen eher die 'bereits Bekehrten' an", berichtet heise.de.

+++ Huch, "letzte Chance zum Einstieg in nationales Privatradio in Deutschland!"? Ist das Adjektiv denn nicht überall negativ besetzt? Auf national-german-radio.com muss man es sich eher englisch ausgesprochen denken. Was dahinter steckt (und die bislang weitgehend nach Bundesländern statt bundesweit strukturierte Radiolandschaft durchaus umpflügen könnte), berichtet der unermüdliche Michael Hanfeld bei faz.net.

Neues Altpapier gibt‘s wieder am Mittwoch.

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