Teasergrafik Altpapier vom 13. August 2020: Porträt Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 13. August 2020 Wie? Bild lügt?!

13. August 2020, 10:00 Uhr

Funk drischt auf die Bildzeitung ein, weil sie so unseriös ist; Tatort-Kommissar Leitmayr auf den Tatort, weil er von 68ern unterwandert wurde. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Überraschender Hang zum Boulevard

So wie es die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim geschafft hat, ein supersmarter missing link zwischen "Social media ist Wichtigtuerei"- und "Herkömmliche Medien sind lame und 90s"- Fronten zu werden, indem die Frau einfach mit Inhalt überzeugt (bei Wikipedia heißt das gleichzeitig sachlich und irgendwie auch ein kleines bisschen bewundernd "Wissenschaftsvermittlung auf YouTube und im Fernsehen") so könnte man den "funk"-Kanal des Moderators Philipp Walulis ebenfalls als eine Art Bindeglied zwischen verschiedenen Welten sehen: Die eine Welt weiß, was die Bildzeitung ist, der anderen muss man es erklären. Der Tagesspiegel hat sich eine aktuelle, umfassende, zehnminütige Bildkritik auf "Walulis" angeschaut (die übrigens in diesem Fall ferienbedingt nicht von Walulis selbst, sondern von seiner Urlaubsvertretung Marcus Müller stammt), und eigentlich mit der Artikel-Überschrift ""Walulis" stellt "Bild" an den YouTube-Pranger" einiges schon wunderbar zusammengefasst: Es ist natürlich keine wirklich bahnbrechende, überraschende Investigativleistung, der Bildzeitung einen Hang zum Boulevard nachzuweisen, es sei denn, jemand wusste das noch nicht. Was durchaus sein könnte – vielleicht haben es manche Menschen einfach geschafft, die Bildzeitung mitsamt Schlagzeilen, Skandalen und Seite 3-Girls in ihrem Leben bislang komplett zu übersehen. Denen erzählt der funk-Beitrag bestimmt einiges Neues, er tut dies, wie der Tagesspiegel richtig anmerkt, übrigens ausschließlich durch fremde Quellen.

Friede Springer streichelt Pferde

Dass der Walulis-Vertreter Müller allerdings "eine weitere beliebte Methode der Bildzeitung" inkriminiert mit den Worten "sie verkürzt und übertreibt gerne mal" ist angesichts des Vermittlungsformats ulkig: Was gibt es Verkürzenderes und Übertreibenderes, als kurze Videoclipausschnitte inklusive Text im Bild collagenhaft aneinanderzuschneiden und mit Sounds zu versehen, darüber semiironische Sprüche zu klopfen, und zwischendurch ein bisschen gegen Friede Springer zu giften? (Es tue ihm im Herzen weh, "wenn Friede Springer, die arme Witwe von Opa Axel, sich schlimm aufregen muss", ätzt Müller, und dass sie aussehe, "als würde sie jede Nacht ihr Lieblingspferd in den Schlaf streicheln". Ein Glück für ihn, dass der Ageism der Aussage fast komplett vom Millionärsbashing geschluckt wird.)

Am Ende verweist der Tagesspiegel sympathisch milde auf ein Format, dem die Bildzeitung schon erheblich länger als Quell journalistischen Ärgers aufgefallen ist, und das diesen Ärger auch schon lange eloquent kundtut, fast ganz ohne Ironie.

"Ein aktueller Anlass oder eine sensationelle Enthüllung à la Wallraff ist im Youtube-Video des Walulis-Vertreters nicht zu finden. Hier hätte "Bild-Blog" weiterhelfen können. Dort wird aktuell beschrieben, wie "Bild" ohne Vorlage von Beweisen die Hisbollah für die Sprengstoff-Explosion in Beirut verantwortlich macht."

Tja. Genau.

50 Jahre Da-hii, da-hii, da-hii

Aber apropos Ageism: Die aktuelle Ausgabe der Zeit widmet sich dem 50jährigen Tatort-Jubiläum, und hat dazu 30 Regisseurinnen, Schauspieler, Produzentinnen und Autoren befragt, davon (naturgemäß, angesichts des Anlass’, aber dennoch in dem Zusammenhang nicht unwichtig) gerade mal eine unter 50 (die 31jährige Schauspielerin Jasna Fritzi Bauer). Menschen wie Dominik Graf (Drehbuchautor und Regisseur), Liane Jessen (ehemalige HR-Fernsehspielchefin), Klaus Doldinger (Da-hii! Da-hii! Da-hii! Daa-hii-daaaa-di-di-da-hiii!), Felix Huby (Drehbuchautor), Ulrike Folkerts (Schauspielerin) oder Nico Hofmann (Produzent) werfen mit Tatort-Erfahrungen, -Gedanken und –Apercus um sich, teilweise ist das sehr unterhaltsam. Udo Wachtveitls (der Münchner Kommissar Franz Leitmayr) Einsatz ist allerdings mehr als erstaunlich, was anscheinend auch die Welt so empfindet, die allein die Wachtveitl-Aussage aus der Zeit-Collage zitiert:

"Schauspieler Wachtveitl kritisiert zu viel "68er-Kitsch" im "Tatort""

knallt sie einem als Überschrift vor den Latz. Wachtveitl hatte in der Zeit Folgendes gesagt:

"Der Unterprivilegierte ist mit öder Regelmäßigkeit der bessere Mensch. Neulich hat mich ein Freund gefragt: Wie viele moralisch gute Charaktere gibt es eigentlich im Tatort, die reich waren? Gute Frage. Ich glaube, da ist ein bisschen 1968er-Kitsch dabei. Diese Leute sind jetzt alle in den Redaktionen in den entsprechenden Positionen. Bei denen darf der hart arbeitende Ausländer unter den drei Verdächtigen sicher nicht der Täter sein."

Der Mörder war nie der Ausländer

Der hart arbeitenden Ausländer darf nicht der Täter sein, gemein! Dabei war der das doch immer! Jahrzehntelang! Und man war ja auch so zufrieden mit den Rollen als Geflüchtete, Drogendealer, gebrochen Deutsch sprechende Taxifahrer, und Putzfrauen...

Bis diese himmelschreiende strukturelle Diskriminierung gegenüber nicht deutsch aussehenden Schauspielern und Schauspielerinnen, welche die (vermeintliche) Herkunft eines Menschen stets eng mit seiner Rollenfunktion verklebte und über eben dieses "anders sein" definierte, endlich mal ein wenig aufbrach, und die Diskussion über klischierte, eindimensionale "Ausländer"-Rollen eröffnete. Und jetzt hat Wachtveitl schon wieder genug davon? Und zudem findet er, dass Reiche moralisch zu schlecht dargestellt werden?! Uiuiui, das ist bestimmt gar nicht allen klar, welch ein subversives, kapitalismuskritisches, linkes Format dieser öffentlich-rechtliche Tatort ist.

Ein bisschen wird dann noch über Mainstream-oder-nicht-Mainstream philosophiert, wobei die meisten Befragten sich einig sind, dass man ein "winning team" ("vertikale Dramaturgie", seit 50 Jahren bekannte Struktur, keine "Psychoprobleme des Ermittlers sondern ein Fall, der gelöst wird") niemals "changen" sollte, schon um alle mitzunehmen und nicht blasiert zu werden:

"Nemec: Früher am Theater hieß es: Wenn es nur halb voll ist, haben wir was richtig gemacht. So eine überhebliche Kacke. Die Leute sollen doch mitgenommen werden, das gilt auch für den Tatort. Sonst wird es elitär."

Was genauso stimmt wie das Gegenteil: Menschen zu unterschätzen, und sie nicht überfordern zu wollen, kann genauso elitär sein... Eine Minderheit, darunter Dominik Graf, entpuppt sich jedoch als Fans "experimentellerer" Tatorte. Und die Frage stellt sich, wie experimentell die wohl in 50 Jahren wirken, die Murot-Geschichten – wir werden’s erleben.


Altpapierkorb (... mit Lisa Eckhart, Coronapartys, Blackfacing und den paar Kröten von Tom Buhrow)

+++ Der hinlänglich diskutierten Geschichte um Lisa Eckhart ist nicht ganz soviel Zitierwertes hinzuzufügen, was nicht schon gestern oder vorgestern oder vorvorgestern hier im Altpapier (und natürlich anderswo!) angesprochen wurde, oder um es mit dem Kollegen Jens Balzer zu sagen, der das Thema am Dienstag in seiner RBB-Kolumne behandelte: Nichts gegen Sommerloch-Possen. Eckhart selbst wird quasi überall mit ihrer Aussage zitiert, man habe sie böswillig missverstanden, hier in der Welt zum Beispiel. Und in der taz wird noch einmal der Aspekt der Sprecher*innenhaltung und die Distanz einer Kabarettistin zu ihrer Figur beleuchtet:

"Wenn Nichtjuden jüdische Witze erzählen, zucke ich innerlich immer ein wenig zusammen", schreibt der Autor, und später:

"Die Bühnenfigur Lisa Eckhart ist jedoch keine Jüdin. Sie macht in ihrem Programm Witze auf dem Niveau des Luft-Nasen-Witzes, nur etwas aktueller. Und ihr Publikum goutiert diese billigen Pointen, die sie auf Kosten der Juden, PoC, Homosexuellen und trans* Menschen sowie anderer Marginalisierter macht."

+++ Und hier in der FAZ ein weiteres Kapitel zu der Geschichte "Stimmen die Bilder?", das formal (nicht inhaltlich!) an die vielen, vorhergegangen Kapitel (angeblich jubelnde Palästinenser nach 9/11, falsche Bilder in der ARD zum Ukrainekonflikt, Delfine in Venedig, zugegeben letzteres hat eine andere Art von Relevanz...) erinnert:

"ARD und RTL haben in aktuellen Sendungen über Partys am bulgarischen Goldstrand berichtet, bei denen Corona-Regeln missachtet wurden. Hoteliers und Tourismusministerium meinen, die Bilder seien alt. Die Sender halten dagegen."

Es geht um eine vom RBB produzierte Sendung "Kontraste" und einen Beitrag bei RTL. Fake News scheinen die medialen Mücken des 21. Jahrhunderts zu sein.

+++ Hier noch eine Meldung aus dem Tagesspiegel über die Ankündigung Facebooks, "Blackfacing"-Fotos entfernen zu wollen, darunter würden dann angeblich auch Sternensinger-Bilder fallen.

+++ Und Tom Buhrow (ARD-Chef) verdient 395 000 Euro im Jahr, schreibt die FAZ, und hat das aus einer offizielle einsehbaren Liste auf der Homepage der ARD. Sehr beruhigend ist bei dieser Aufstellung folgender Satz:

"Selbstverständlich sind die tarifvertraglichen Regelungen in der ARD geschlechtsunabhängig gestaltet, sodass eine Lohndiskriminierung ausgeschlossen ist."

Na, da kann man aber froh sein, dass alles gerecht zugeht.

Und neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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