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Das Altpapier am 23. Oktober 2017Klasse, doch kein Weltuntergang!

Müssen die Öffentlich-Rechtlichen nun vor allem sparen, oder dürfen sie vor allem Dinge tun? Was die Ministerpräsidenten ausgeheckt haben, wird unterschiedlich gewichtet. Laura Himmelreich, die #aufschrei auslöste, kommt in der #MeToo-Debatte zu Wort. Und die Serie "Das Verschwinden" sammelt Rezensionen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

So, hätten wir’s. Die Rundfunkkommission der Länder hat getagt und Malu Dreyer als Vorsitzende am Freitag auch gleich die ersten Ergebnisse verkündet. Es können also jetzt erstmal wieder alle, die vorher raufgeklettert sind, von den Barrikaden runter.

Michael Hanfeld, Medienredakteur der FAZ, die sich vor solchen medienpolitisch bedeutsamen Zusammenkünften bisweilen als durchaus kampagnenfähig erweist, hat die Leiter nach unten bereits gefunden. Er hat schon am Samstag statt eines weiteren "FAZismus" (Juliane Wiedemeier am Freitag an dieser Stelle) einen ganz mandelkernzarten Text über die Vorgänge des Vortags veröffentlicht - und fast ist man geneigt, den Text einen Bericht zu nennen:

"Unter dem Strich können die Öffentlich-Rechtlichen (…) also für sich ein positives Zwischenfazit ziehen. Für ihre Wettbewerber sieht es nicht ganz so rosig, im Fall der unabhängigen Presse aber auch nicht rabenschwarz aus."

Kein Weltuntergang für die privaten Medien also? Mensch, klasse, damit hatte man zuletzt ja kaum noch rechnen dürfen.

Der AutorKlaus Raab

Wobei, man erkennt seine Pappenheimer schon noch, trotz der Grautöne, die da plötzlich wie aus dem Nichts auftauchen. Hanfeld, unter den deutschen Medienjournalisten wohl der bekannteste Mediensystemkritiker, sieht "im Kern" die Wünsche der Öffentlich-Rechtlichen erfüllt. Die sogenannte Sieben-Tage-Regel etwa, die die Verweildauer öffentlich-rechtlicher Angebote im Netz regelt, "soll weitgehend fallen", schreibt er und beginnt damit auch seinen Text.

Gesamtbotschaft: Sie haben’s also mal wieder gedeichselt.

Zum Vergleich nur mal Daniel Bouhs dagegen, der für das öffentlich-rechtliche NDR-Medienmagazin "Zapp" am Freitag gegen 13 Uhr als einer der ersten einen aktuellen Text online hatte. Er steigt mit dem Satz ein:

"Die Politik erhöht langsam aber sicher den Druck auf die öffentlich-rechtlichen Sender: Sie sollen mehr sparen, als sie bisher geplant haben, und sich auf Internetseiten und in Apps auf Audio- und Videobeiträge konzentrieren."

Botschaft: So hart rangenommen wurden sie noch nie.

Es gibt also eine gewisse Gewichtungsvielfalt. Oder wie es der Tagesspiegel in einem Überblickstext über das Aktuelle und die gesamte Debatte nennt: "Jeder und jede hört und sieht, was er und sie hören und sehen will. Filterblasen-Rundfunk."


"Es droht der Workshop"

Auch die Süddeutsche Zeitung, die sich in der ganzen Debatte insgesamt angenehm über den Dingen positioniert (deren Recherchekooperation mit WDR und NDR darin aber auch kurz mal Thema war, siehe Altpapier), findet freilich den Aspekt am entscheidendsten, dass "viel mehr Sparanstrengungen" von den Öffentlich-Rechtlichen gefordert werden.

Zu praktisch allem Weiteren befindet Claudia Tieschky dort (Samstagsausgabe): "Es droht der Workshop". Womit die deutsche föderale Medienpolitik nebenbei recht treffend beschrieben wäre.

Kurt Sagatz und Joachim Huber bringen in ihrem besagten Tagesspiegel-Text im Zusammenhang mit der Struktur der Medienpolitik den Hinweis unter, dass der großen Reform der Öffentlich-Rechtlichen ja nun auch ein paar Dinge im Weg stehen, für die die Anstalten nichts können:

"Die föderale Rundfunkpolitik steht vor einer ihrer größten Herausforderung. Im Wissen, dass ein 'Weiter so' nicht reicht, muss eine Blaupause für einen zukunftsorientierten Rundfunk her. Für einen Rundfunk, der exzellent sein will und exzellent sein muss. Was eine exzellente Medienpolitik voraussetzt."

Ist das eine Forderung, auch mal an deren Reform zu denken? Würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk heute geschaffen, sähe auch sie jedenfalls wohl tatsächlich anders aus.


Zuckerbrot, Peitsche und Geeiere

Weitere Zwischenstände zum Fortgang der großen Reform, die sich nicht abzeichnet, finden sich vielerorts. Zitieren wir einfach mal DWDL, weil der Artikel zum Thema dort unter einer so megaausgewogenen Dachzeile ("Zuckerbrot und Peitsche") steht, dass man einfach draufklicken muss: Das "Verbot presseähnlicher Angebote" soll, heißt es dort zum Beispiel, laut Malu Dreyer "selbstverständlich erhalten" bleiben, allerdings müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk heutzutage die Möglichkeit haben, "auch online bestimmte Dinge zu tun".

Was nun tatsächlich noch ein ziemliches Geeiere ist. Denn die Frage bleibt hier ja völlig ungeklärt, wie "presseähnlich" genau definiert wird in Zeiten, in denen Text, Video und Audio eigentlich Unterfälle des Internets sind.

Erwartungsgemäß vom Tisch ist dagegen der am Dienstag auch hier vermeldete Vorschlag des sachsen-anhaltinischen Staatskanzleichefs Rainer Robra, die "Tagesschau" in ihrer jetzigen Form abzuschaffen und die ARD dem ZDF unterzuordnen ("Wir sollten das System zeitgemäß ausgestalten, indem wir das Zweite Deutsche Fernsehen als den nationalen Player betrachten. Die Landesrundfunkanstalten sollten sich stärker regional präsentieren").

Aber man kann’s ja mal vorschlagen. Wiederum der Tagesspiegel deutet in einem Absatz über die noch lange weitergehende Rundfunkbeitragserhöhungsdiskussion freilich auch noch an, woher in Sachsen-Anhalt der Wind auch weht:

"(I)nsbesondere Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder erwarten einen stabilen Beitrag. Sie spüren die Wahlerfolge der AfD im Nacken, die den Beitrag abschaffen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk spürbar stutzen möchte."

Passend dazu: eine Umfrage bei Welt Online, laut der "54 Prozent der Deutschen" die Rainer-Robra-Frage "Sollten die Fernsehsender von ARD und ZDF zu einem einzigen bundesweiten, öffentlich-rechtlichen Sender fusioniert werden?" mit Ja beantworten. Nebenbei beantwortet wird dabei auch endlich die Frage, wer "die Deutschen" sind. Es sind jene, die sich beim entsprechenden Umfrageinstitut registriert haben und an Umfragen teilnehmen - also sehr online-affine, auf einem recht ordentlichen Prokrastinationslevel befindliche Leser sehr ausgewählter Qualitätsmedienangebote. Ein tolles Land!


Was bringt #MeToo?

Ein weiteres großes Thema mit medialem Einschlag: #MeToo (siehe Altpapier) - also der von Alyssa Milano aufgegriffenen Hashtag Tarana Burkes, unter dem sich Frauen äußern, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Die in den USA gestartete Aktion hat etwa den Spiegel zu einem Titel über "Macht und Missbrauch" bewogen. Eine der Fragen mit medialem Bezug ist dabei immer noch: Was bringt’s?

Eine Antwort gibt Laura Himmelreich (nicht frei online), die seinerzeit mit ihrem Porträt Rainer Brüderles im Stern die Aktion #aufschrei auslöste:

"#Aufschrei hat definitiv etwas gebracht. Damals, 2013, wurde immer wieder über die Grundsatzfrage diskutiert: Gibt es Sexismus in Deutschland? Das fragt jetzt niemand mehr. Nun geht es eher darum, wie weit Sexismus in der Gesellschaft verbreitet ist. Im Bewusstsein der Menschen hat sich etwas verändert."

Was also kann #metoo ändern? Florentine Schumacher meint in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zunächst einmal noch, an der Aktion

"stört irgendetwas, schämt man sich beim Scrollen durch die Timeline, auch für die Scham. Liegt es daran, dass #metoo Opfer versammelt, aus deren Posts oft die Resignation über eine sich nicht verändernde Machowelt spricht, während sich vor ein paar Jahren unter #Aufschrei noch Empörte äußerten, die etwas ändern wollten? Oder irritiert einen dieses Format Social-Media-Post, das noch den wichtigsten Beitrag trivialisiert, weil er womöglich zwischen Urlaubsselfies und Rasierschaumwerbung steht?"

Sie kommt dann zum Schluss:

"Vielleicht ist das (…) das Unangenehme, Störende, Scham Hervorrufende an #metoo: dass da etwas so laut nach Aufmerksamkeit schreien muss, das alle Aufmerksamkeit verdient."

Aber auch #aufschrei blieb ja keine Twitter-Aktion, sie ging in allen Medien, selbst in Talkshows, weiter. Eine oder einer aus dem 13 Autorinnen und Autoren umfassenden Spiegel-Titelgeschichten-Team wünscht sich das in diesem Fall auch:

"In Deutschland gibt es eine vergleichbare Kultur des öffentlichen Anprangerns nicht. #MeToo ist bislang nur eine Bewegung der Betroffenen; die Täter bleiben anonym. Das hat auch Vorteile: Wie groß wäre die Gefahr der unbelegten Diffamierung? Die Folge ist nur, dass sich die Männer aus der aktuellen Diskussion weitgehend heraushalten. Es ist deshalb wichtig, dass die Bewegung das Digitale verlässt und als Debatte zwischen Männern und Frauen, Angestellten und Vorgesetzten, Freunden und Bekannten fortgesetzt wird. (…) Das, was die digitale Bewegung nicht leisten kann, muss der gesellschaftliche Diskurs erreichen: differenzieren."


Altpapierkorb ("Das Verschwinden", Graf-"Tatort", New York Times, mit Rechten reden)

+++ Zahlreiche Rezensenten widmen sich der ARD-Serie "Das Verschwinden" von Hans-Christian Schmid. Hier einige Sätze für die Rückseite der DVD-Box - und auch einige von denen, die da nicht stehen werden: 1. "das Beste, was es in der ARD seit Langem zu sehen gegeben hat" (taz); 2. "ein grandioser vierteiliger Roman" (Tagesspiegel); 3. "große Erzählung über innere Dämonen und das Unvermögen, glücklich zu sein" (Spiegel Online); 4. "'Das Verschwinden' ist eine bittere Serie. Sie blickt auf ein Land, in dem immer häufiger immer dieselben verlieren. Wer nicht erkennt, wie herausragend sie ist, der sucht bloß große Gesten, Schauwerte und aufgeblasene Dramatik" (FAS); 5. "Die ARD ist ein komplexes Universum, und um für so ein Projekt mehrmals hintereinander einen Platz um 20.15 Uhr freizuräumen, ist die Liebe zum Unbekannten dann eben doch nicht ausgeprägt genug" (SZ); 6. "Und so endet dieser unkonventionelle achtstündige Film doch wie ein sehr schlechter Tatort" (Zeit Online).

+++ Der 3sat-Film "Der Preis der Anna-Lena Schnabel" handelt von einer jungen Jazzmusikerin, die einen Echo gewinnt - und bei der Preisverleihung nicht spielen darf, weil der NDR Angst habe, dass dann die Leute abschalten: Ulrich Stock bei Zeit Online über den Film (in der Mediathek).

+++ Wie Daniel Erk einmal beinahe der Inszenierung des Identitären Martin Sellner auf den Leim gegangen wäre, wenn er ihr auf den Leim gegangen wäre, schrieb er am Freitag bei Übermedien. Harald Staun zitiert Erk ausführlich in der FAS - es geht dabei um die Frage, wie man mit Rechten rede: "Wer es dagegen mit anderen Themen probiere, etwa über konkrete Politik, merke schnell, dass sie nichts zur Debatte beitragen können, 'was über dünnstes Allgemeinwissen hinausgegangen wäre'. Mag sein, dass es für viele keine neue Erkenntnis ist. Aber solange sie in jeder zweiten Talkshow sitzen, ist der Versuch, sie zu entlarven, vielleicht doch wichtiger, als ihnen mit Empörung zu kommen."

+++ Peter Körte schreibt in der FAS über die Lesart, der Stammheim-"Tatort: Der rote Schatten" von Dominik Graf sei "RAF-Propaganda" und "gefährlicher Unsinn" (siehe etwa Altpapier vom Dienstag): "Zu behaupten, dass Graf eine klare These formuliere, wie das etwa Oliver Stone in 'JFK' (1991) zum Kennedy-Attentat tut, das ist 'gefährlicher Unsinn'. Es gibt bei Graf Versionen, Varianten, Lesarten, weil Verschwörungstheorien nun mal ein Treibstoff des Erzählens sind. Hätte man den Film nicht gesehen, könnte man allerdings zu dem Eindruck kommen, er habe ausschließlich aus der einen dargestellten Variante der Stammheimer Nacht bestanden."

+++ Neugierig machen können sie bei der SZ: "Web-Serie für Lammert" ist heute eine Medienseitenmeldung betitelt. Aber es geht doch nur um den zweiten Lammert, den man vielleicht kennt, die Figur des Gerichtsmediziners aus dem Dresdner MDR-"Tatort".

+++ Dass die Sieben-Tage-Regel, die dafür sorgt, dass öffentlich-rechtliche Inhalte nur begrenzt online stehen dürfen, eigentlich nur in Ausnahmefällen eine Sieben-Tage-Regel ist, zeigt DWDL in allen Details.

+++ Vor einer Woche ging es an dieser Stelle um die neue Direktive der New York Times, die den Hausjournalisten das Meinungstwittern untersagt. Claus Hulverscheidt stellt in der SZ (Samstagsausgabe) weitere Überlegungen zum Thema an: "Die Direktive ist eine Gratwanderung, denn selbstverständlich dürfen Journalisten als Bürger eine eigene politische Überzeugung haben (…). Anders als der Privatmensch, der seine Ansichten ohne jede Erläuterung verbreiten darf, muss der Journalist sein Urteil aber begründen. Er muss die Argumente der Gegenseite erwähnen, wägen und in seine Beurteilung einfließen lassen, will er nicht als parteiisch wahrgenommen werden. Auf 140 Zeichen, die etwa Twitter vorgibt, ist das kaum möglich."

+++ Die Süddeutsche und der Tagesspiegel besprechen "Der 7. Tag" (ZDF). In der SZ findet Hans Hoff, dass "ein paar sehr offensichtliche Schwächen das Thriller-Vergnügen" schwächen: Gemeint sind Kameraarbeit, Erzählstruktur und die Ungeklärtheit der Beziehung zwischen den Ermittlern. Thomas Gehringer schreibt im Tagesspiegel den Satz: "Der Hase hoppelt jedenfalls fernsehgemäß."

+++ Ein neues Surfermagazin, "Waves & Woods", und ihren Macher stellt Marc Baumann in der Süddeutschen vom Montag vor.

+++ "Wenn Journalisten negativ über Privatpersonen schreiben, dürfen sie sich nicht ausschließlich auf interne Polizeiberichte verlassen. Das hat jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall der deutschen Autorin und Mafia-Expertin Petra Reski entschieden." (taz)

Neues Altpapier gibt es am Dienstag.