Teasergrafik Altpapier vom 18. Januar 2021: Porträt Autor Klaus Raab
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Das Altpapier am 18. Januar 2021 Der Unterschied zwischen Gießkanne und Wasserwerfer

18. Januar 2021, 09:28 Uhr

Nicht das Medium, sondern die Message ist die Message. Es ist trotzdem nicht egal, ob hetzerische Inhalte getwittert oder auf einem kleinen Blog veröffentlicht werden. Die Diskussion über die Macht der Social Media geht weiter: Wie ließe sie sich einhegen? Mit einem Roten Kreuz fürs Netz? Ein Altpapier von Klaus Raab.

Am Samstag meldete Associated Press, dass der US-amerikanische Alt-right-Aktivist Tim Gionet aus Alaska "wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung am Sturm auf das Kapitol festgenommen worden" sei. "Laut US-Justizministerium wird ihm vorgeworfen, sich gewalttätig und unangemessen auf dem Gelände des Kongresses verhalten sowie absichtlich und ohne Befugnis ein abgesperrtes Gebäude betreten zu haben." Das wäre an dieser Stelle nicht der gesonderten Erwähnung wert, wenn die Geschichte dieses Tim Gionet, den Wikipedia als Neo-Nazi charakterisiert, nicht mediale Zusammenhänge hätte.

Ben Smith, der früher Chefredakteur von BuzzFeed gewesen ist, hat diese Geschichte jüngst in der New York Times erzählt. Smith war bei BuzzFeed Gionets Chef. Er schreibt (hier übersetzt): "Bei BuzzFeed sind wir den Signalen der sozialen Medien gefolgt. Ein junger Mitarbeiter folgte ihnen bis nach Charlottesville und zum Capitol Hill."

Ob Gionet von den Social Media radikalisiert wurde oder nur eine Möglichkeit gefunden hat, nun auch mal den großen Maxe zu machen, sei dahingestellt. In einem Porträt zitierte ihn der Business Insider 2017 mit der Aussage, er sei "alt-right und immer alt-right gewesen", was eher für Möglichkeit zwei spräche. Interessanter als die Figur ist aber die Diskussion über Social Media im New-York-Times-Text. Simon Hurtz hat Smiths lesenswerten Artikel vor allem ihretwegen nun bei piqd empfohlen, vor allem also wegen der Absätze, in denen es um die Verantwortung sozialer Medien für die politischen Zustände in den USA und darüber hinaus geht. Etwa diesen Absatz:

"Seine" (also Gionets) "Geschichte lässt mich mit der Frage zurück, welchen Anteil an der Schuld diejenigen von uns tragen, die Pionierarbeit bei der Nutzung sozialer Medien zur Übermittlung von Informationen geleistet haben, und zwar in diesem Moment. Haben wir, zusammen mit den Machern dieser Plattformen, geholfen, die Büchse der Pandora zu öffnen?"

Ist das Medium die Message?

Das führt uns mitten hinein in die große Diskussion dieser Tage: Wie viel Macht haben Social-Media-Konzerne, und wie viel Macht sollten sie vor allem haben? Welche politische Verantwortung tragen sie dafür, dass der politische Diskurs in den USA und darüber hinaus in zwei Lager zu zerfallen scheint?

Damit zum größten Medienthema der vergangenen Woche: das Deplatforming des noch amtierenden US-Präsidenten, mit dem wir uns auch an dieser Stelle beschäftigt haben (Altpapiere vom Montag, Mittwoch, Freitag). Ralf Heimann hat hier am Freitag notiert, wie Twitter-Chef Jack Dorsey die Sperrung des Trump-Accounts begründet und hinterfragt hat. Die New York Times hat nun am Samstag nachgezeichnet, wie Twitter sich, zunächst gegen Dorseys Willen, auf die Sperrung zubewegt habe.

Darüber hinaus ging am Wochenende die Diskussion über die politische Rolle von Twitter und anderen Social-Plattformen auch in Deutschland weiter, mit interessanten Aspekten und Texten. Sie hält berechtigterweise an, denn es ist ja nun wirklich alles nicht so einfach. Trumps Deplatforming war schließlich – so klang es auch hier schon an – überfällig und ist doch sehr problematisch.

Einerseits: "Keine Journalismussimulation im Liveticker mehr mit eingebetteten Tweets der mächtigsten Heulboje der Welt, die ihre Lügen über den Wahlausgang ins Netz rotzt", wie sich Daniél Kretschmar in der taz eher freut. Er empfiehlt, die Digitalkonzerne zu zerschlagen, "damit nie wieder eine Handvoll CEOs allein" entscheidet, wer wann wo abgeschaltet wird.

Andererseits findet Markus Reuter bei netzpolitik.org: "Bei aller Genugtuung, dass der reichweitenstärkste Hassprediger der Welt seinen Lieblingskanal verloren hat, bleiben doch erhebliche Bauchschmerzen, wie so etwas geschieht. Ich denke, dass die Debatte anders aussehen würde, wenn Twitter plötzlich deutsche Spitzenpolitiker:innen rauswirft oder Minister hierzulande mit Warnhinweisen versieht."

Und das ist beides bedenkenswert; genau wie die weiteren und unterschiedlichen Einlassungen, die bei Netzpolitik zu finden sind – als Auszug einer redaktionsinternen Debatte in Text und Podcast.

Unter der Überschrift "Rettet Twitter vor der Politik" macht Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Abo) – Stichwort "Zerschlagung der Digitalkonzerne" – allerdings darauf aufmerksam, dass Digitalkonzern nicht gleich Digitalkonzern sei. Es werde nun "wieder allseits erinnert", dass "die Übermacht der großen Tech-Konzerne streng reguliert" werden müsse, schreibt er. Und daran sei zwar "richtig, dass Amazon, Apple, Google und Facebook allesamt viel zu mächtig sind – jeder allerdings auf seine eigene, von den anderen sehr verschiedene Art. Daran ist aber auch richtig, dass Twitter, mit einem Zwanzigstel des Umsatzes von Facebook, nicht dazu gehört".

Die Differenzierung ist sinnvoll. Und ebenso ist der Hinweis zutreffend, dass Trump nicht nur auf Twitter Lügen, Hetztiraden und Aufrufe zur Gewalt veröffentlichen kann. Sondern, weil er als US-Präsident noch ein paar andere Möglichkeiten hat, seine Anhänger aufzustacheln, auch etwa als "echter, dreidimensionaler Präsident" im Fernsehen.

Nicht das Medium ist also unbedingt die Message, sondern die Message ist die Message:

"Dass das Medium schon die Botschaft sei; dass Twitter also seine Algorithmen so eingestellt habe, dass Affekte, Aggression und eine bösartige Gedankenschlichtheit mit Aufmerksamkeit belohnt werden, weshalb es die ideale Plattform für Hetzer und Demagogen und, schon wegen der Kürze der Botschaften, 280 Anschläge maximal, nichts für denkende und differenzierende Menschen sei: Das steht für alle Kritiker von Twitter ohnehin fest. Es lässt sich aber leider empirisch nicht belegen", schreibt Seidl.

Simon Hurtz vertritt in seinem erwähnten piqd-Text ebenfalls einen McLuhan-kritischen Ansatz: "Ich finde es zu einfach, die Schuld bei Plattformen zu suchen. Social Media radikalisiert nicht. Menschen radikalisieren sich selbst." Allerdings, so Hurtz, müsse man dennoch darüber reden, wie Digitalkonzerne dazu beigetragen haben, was am 6. Januar in Washington D.C. geschehen ist.

Kurz, es gilt, den Weg zu finden zwischen dem weit verbreiteten, auf einer verkürzten McLuhan-Lektüre beruhenden Mediendeterminismus, demzufolge nicht wir mit dem Hammer hämmern, sondern der Hammer mit uns. Und der Position, dass es eigentlich nicht ausschlaggebend ist, ob jemand twittert oder ein Blog bei Wordpress führt. Um es mal halbwegs anschaulich zu machen: Wenn sich jemand entscheidet, in einem Park Gift zu verteilen, dann ist nicht das Werkzeug schuld, mit dem er das macht. Aber ein Unterschied ist es halt doch, ob er eine kleine Handgießkanne oder einen Wasserwerfer einsetzt.

Andrian Kreye schreibt in der Süddeutschen Zeitung:

"Laut einer Untersuchung der Analysefirma Zignal Labs nahm die Zahl der Falschnachrichten über die US-Wahlen auf Twitter nach der Sperrung von Donald Trumps Konto um 73 Prozent ab. Die Kampf-Hashtags seiner radikalen Anhänger #FightForTrump und #HoldTheLine nahmen auf den Plattformen Twitter, Facebook und Instagram um 95 Prozent ab. Deplatforming funktioniert."

Wie könnte eine Kontrolle aussehen?

Worüber nun unter anderem von Kreye weiter diskutiert wird, ist, wie das Netz der Konzerne kontrolliert werden könne:

"Ein vernünftiges Kontrollorgan darf weder aus der Netzwelt selbst noch aus der aktiven Politik kommen. Nicht einmal die Vereinten Nationen oder die EU wären mit ihren endlosen Proporzkämpfen ein Vorbild. Nur eine wirtschaftlich unabhängige, nichtstaatliche Organisation könnte ein freies Netz garantieren. Das Rote Kreuz mit dem Roten Halbmond wäre ein Vorbild, eine Organisation, die einen so strengen Anspruch an die eigene Neutralität hat, dass sie sich in ihrer mehr als 150-jährigen Geschichte eine Autorität erarbeiten konnte, die fast alle Welt anerkennt. Politik und Wirtschaft müssten dieser Organisation ähnlich wie dem Roten Kreuz mit einer bindenden Konvention ein Mandat geben."

Gleich "sieben Ideen, sie zu zähmen", stellen Patrick Beuth und Kollegen beim Online-Spiegel vor, vom "Digital Services Act" der EU-Kommission bis zu Plattformräten.

Ein Problem bleibt:

"Ein öffentlich-rechtlich eingehegtes Twitter wäre (…) der beste Grund, schnell eine neue Plattform ins Internet zu stellen", findet Claudius Seidl. Und Simon Hurtz, diesmal auf dem Social-Media-Watchblog, schreibt: "Trump und sein Publikum werden sich auf alternative Plattformen zurückziehen und eine sozialmediale Parallelwelt erschaffen, die noch weiter von der Realität abgekoppelt ist als die Echokammer, in der sie bislang auf Twitter und Facebook kommunizierten".

Das ist der Ärger mit der Büchse der Pandora, die New-York-Times Autor Ben Smith, wie eingangs zitiert, erwähnt: Falls die Geschichte von der Dose stimmt, geht sie, wenn sie erst einmal offen ist, nicht wieder zu.


Altpapierkorb (Deutschlandradios Tarifverträge, BBCs Chairman, Deutschlandkurs der NZZ, Unterhaltungsauftrag, Schlacht- und Kampffloskeln)

+++ Das Deutschlandradio kündigt die laufenden Tarifverträge, nachdem Sachsen-Anhalt die Erhöhung des Rundfunksbeitrags blockiert hat. "Bleibt die Erhöhung des Rundfunkbeitrags, welche die Sender vor dem Bundesverfassungsgericht einklagen, aus, fehlen dem Deutschlandradio nach eigenen Angaben in den nächsten vier Jahren rund 66,5 Millionen Euro", schreibt epd, zitiert nach der FAZ.

+++ Dass die BBC mit Richard Sharp einen neuen Chairman bekommt, stand am Donnerstag im Altpapier. Weil ich dort schrieb, die Nachricht sei an deutschen Medien "etwas vorbeigegangen", ist nun eine Ergänzung fällig: Das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet nun auch. Und epd Medien meldete die Personalie schon am 7. Januar in einem aktuellen Newsletter, dort auch mit einem Hinweis auf eine Einordnung durch den BBC-Medienredakteur Amol Rajan: Ob Sharp weiterhin die Lizenzgebühr "als Pfeiler einer zukünftigen BBC-Regelung unterstützt, ist unklar". Diskutiert wird auch ein Abonnement nach dem Vorbild von Netflix.

+++ Im Spiegel schreibt Anton Rainer über "die Eroberung des deutschen Markts" durch die Neue Zürcher Zeitung: "Seit Jahren kämpft die traditionsreiche Tageszeitung im eigenen Land mit sinkenden Auflagen. Ein Export der Marke nach Österreich endete in einem Millionendesaster. Für die 'Züryzitig' ist Deutschland die letzte Option, hier muss sie profitabel werden – und dafür aus der selbst gebauten Nische herausfinden." Gemeint ist die Wutbürgernische: "Die angepeilten Abonnentenzahlen sind in dieser Zielgruppe nicht zu holen, zumal sie längst von anderen Medien bedient wird."

+++ In der Auftragsdebatte schlägt Peer Schader in seiner DWDL-Kolumne vor, den Öffentlich-Rechtlichen nicht die Unterhaltung wegzunehmen, denn es ist nicht alles schlecht (Kai Pflaume, zum Beispiel). Aber Vox auch mal ein paar Cent rüberwachsen zu lassen.

+++ Der RBB-Moderator Max Zobel ärgert sich im Tagesspiegel "über Autoren in Printmedien, die in der aktuell schwierigen und emotional aufgeladenen Zeit vor allem durch übertriebene Formulierungen und Schlagworte die nötige Sorgfalt vermissen lassen". Er meint Formulierungen wie "offene Feldschlacht" zwischen SPD und CDU.

+++ Stefan Fries hat bei @mediasres zum gleichen Thema einen Formulierungsorschlag, der manchen wohl überraschen dürfte: "Statt von Kampfkandidatur können Medien von mehreren Bewerbern sprechen, von Gegenkandidaten, Herausforderern – oder einfach von einer Wahl."

+++ Apropos: Die Kanzlerkandidatenkandidatenkür der CDU ist beendet: Armin Laschet it is, aber die mediale Beschäftigung mit dem unterlegenen Friedrich Merz fiel auch nicht zu knapp aus. Und von den "Ideen des Merz" (FAZ) bis zum "Schmerz des Merz" (Spiegel) war einiges dabei, was sich mit dem Namen Laschet so einfach nicht machen lässt.

Neues Altpapier gibt es am Dienstag.

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