Teasergrafik Altpapier vom 28. Januar 2021: Porträt Autorin Nora Frerichmann
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Das Altpapier am 28. Januar 2021 Datensouveränität ist keine Herzensangelegenheit

28. Januar 2021, 13:00 Uhr

Springer-Chef Döpfner scheint eine Standarte für den Datenschutz einzupflocken – wenn es um Konzerne wie Google und Facebook geht. Denn Springers Umgang mit Nutzerdaten zieht ebenfalls Kritik auf sich. Das Sammeln von Informationen mit Cookies könnte bald veraltet sein. Aber das scheint nicht die Lösung für mehr Privatsphäre und Kontrolle über die eigenen Spuren im Netz zu sein. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Döpfners Datenschutz-Standarte

Europa hat sie noch, seine weißen Ritter, wenn es um die Verteidigung des Datenschutzes, pardon, ein Wiedererlangen der Souveränität über die eigenen Daten geht. Als solcher sieht sich offenbar Mathias Döpfner, Vorstandschefs von Axel Springer, der gestern einen offenen Brief mit dem Titel "Totale Transparenz endet immer totalitär" wie eine Standarte bei welt.de in den Boden rammte.

In dem umfangreichen Text an die "liebe Frau von der Leyen" in ihrer Funktion als "verehrte Frau Kommissionspräsidentin" der EU beschreibt Döpfner das Problem der Datensammelwut und sein damit verknüpftes Ansinnen so:

"Es geht darum, dass Technologieplattformen aus Amerika und China im Begriff sind, die Souveränität der Bürger infrage zu stellen, also den Souverän zum Untertan zu machen und damit Demokratie und offene Gesellschaft zu unterminieren. Es geht um Freiheit, Rechtsstaat und Menschenrechte. Es geht um die Idee des modernen Europas."

"Unternehmen wie Facebook, Amazon oder Apple erheben, sammeln und speichern Daten und nutzen sie zur Optimierung ihres Geschäftsmodells. Sie überwachen und analysieren unser Verhalten, damit wir mehr konsumieren."

So weit, so 2012 – aber natürlich nichtsdestotrotz dringlich. Die Lösung ist laut Döpfners Argumentation

"bestechend einfach. Die Daten müssen nur wieder und endgültig denen gehören, denen sie eigentlich immer gehörten. Den Bürgerinnen und Bürgern. Dem Souverän."

Deshalb fordert er, die EU müsse Plattformen gesetzlich verbieten, persönlichkeitsrelevante und sensible) Daten zu speichern und für kommerzielle Zwecke zu nutzen und geht dabei noch weiter:

"Jede Relativierung durch vermeintliche Freiwilligkeit muss ausgeschlossen sein. Eine Einwilligung zur Nutzung dieser Daten darf gar nicht erst möglich sein."

Während Döpfner von einigen Zustimmung erntet und von anderen Ablehnung (dazu später mehr), stoßen seine Vorschläge bei Sascha Lobo auf gemischte Gefühle: Dem Machbarkeits-Check in Lobos Spiegel-Kolumne hält Döpfners Vorschlag nicht stand. Die Speicherung aller persönlichen privaten sensiblen Daten zu verbieten halte er für "nicht für zielführend oder auch nur für machbar". Dennoch müsse

"die EU doch sehr, sehr dringend herausfinden, wie man Plattformen demokratisch im Zaum hält. Das ist essenziell, denn was Döpfner beschreibt, erscheint mir sogar nur als das Plattform-Problem von vor fünf Jahren."

Einen wesentlichen Punkt treffe der Springer-Häuptling in seinem Brief:

"Die EU hat nicht die geringste Ahnung, wie man Plattformen richtig reguliert. Die EU hat dafür außerordentlich viel Erfahrung darin, wie man Plattformen falsch oder unzureichend reguliert",

schreibt Lobo. Als sein "Lieblingsbeispiel" benennt er Facebook und die DSGVO (Datenschutzgrundverordnung). Die Regelung sei "nicht grundsätzlich schlecht", betont Lobo, aber greife eben nicht umfassend:

"Facebook hat die rechtlich notwendige Zustimmung seiner Nutzerschaft 2018 mit einigen Pop-ups eingeholt. Und wenn man – ist ja alles kompliziert – auf ‚alles akzeptieren‘ geklickt hat, dann gab man gleichzeitig die Zustimmung zur Anwendung der Gesichtserkennungssoftware von Facebook. Jener Funktion also, die Facebook nach massiven Protesten im Jahr 2012 in Europa deaktiviert hatte. Es wirkte wie ein Hohn, dass Facebook zum Anlass DSGVO die ungefähr überwachigste Technologie überhaupt durchgesetzt hat, wie ein Spottliedchen auf die stets bemühten Regulierungsversuche der EU. Nach zweieinhalb Jahren Datenschutzgrundverordnung sieht es nicht so aus, als seien Google und Facebook grundsätzlich in ihrer Datenradikalität erschüttert."

Keine Daten für GAFA, aber für Springer?

Aber gehen wir nochmal zurück zu Döpfners Forderung, das Datenabsaugen durch die großen Plattformen wie die von GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple) im Sinne eines Surveillance capitalism (Shoshana Zuboff) zu verbieten:

"Sensible persönlichkeitsrelevante Daten gehören nicht in die Hände von marktbeherrschenden Plattformen (sogenannten Gatekeeper-Konzernen) und Staaten,"

schreibt Döpfner in seinem Brief. Ob diese Daten wiederum in die Hände von Springer (oder anderen Medienhäusern) gehören? Das lässt Döpfner eher offen. Konkret werden bei seinen Verbotsforderungen nur Plattformen aus Amerika und China genannt. Eine Reflexion oder auch nur ansatzweise Erwähnung der eigenen Datensammelpraxis bei den Springer-Angeboten sucht man in dem Text vergebens.

Dafür findet man sie bei dem Netzpolitik-Journalist Torsten Kleinz. In einem ausführlichen Twitter-Thread und in einem Interview bei Deutschlandfunks "@mediasres" sieht er in dem Döpfner-Appell auch eine gewisse Hybris. Um zu checken, wie die Seite, auf der Döpfner Datensouveränität fordert, es selbst mit den Daten der Besucher:innen hält, habe er sich

"einen frischen Browser installiert, bin auf die Webseite [Anm. Altpapier: welt.de] gegangen und hatte innerhalb von einer Minute über 170 Cookies auf dem Rechner. Ironischerweise waren darunter natürlich auch Cookies von Doubleclick, sprich Google, die dann von welt.de an Google weitergereicht werden",

berichtet Kleinz in dem Medienmagazin. Das gelte für die Cookies, die auf den Rechner strömen, wenn User:innen im Cookie-PopUp alles akzeptieren, erklärt er im Thread. Auch verschiedene Wege des Ablehnens hat der Journalist getestet und kommt zu dem Schluss, dass man gar nicht allen Cookies widersprechen könne. Taboola (€) und Ioam seien auch dann noch an Bord, wenn man all das in dem PopUp aufgebotene Nudging zur Einwilligung in die Datennutzung so weit es eben geht umschifft. 

"Wenn Herrn Döpfner die Datensouveränität der Bürger so am Herzen liegt, könnte er auf den eigenen Angeboten doch etwas mehr machen oder zumindest erklären, warum das so ist, wie es heute ist",

fordert Kleinz im Deutschlandfunk.

Springer und auch andere Medienhäuser würden wohl einwerfen, dass ihnen keine andere Möglichkeit bleibt, wenn sie vom am Werbemarkt, wie er aktuell gestaltet ist, noch ein paar Bröckchen abhaben wollen.

Aber statt Fakten zu den eigenen Angebote mit einzubeziehen, versteigt Döpfner sich in Andeutungen über ein Abhören von Gesprächen durch Tech-Konzerne zu Werbezwecken. Unter einem Tweet des ehemaligen FAZ-Redakteurs Hendrik Wieduwilt, der jetzt u.a. für die Kommunikationsagentur Faktor 3 arbeitet, ist dazu eine lesenswerte Diskussion entstanden.

Wer mehr zum Datenhunger deutscher Verlage, Werbevermakrtungszwang und anstehende Veränderungen durch verschiedene Gerichtsentscheidungen lesen will, dem sei auch nochmal Kleinz‘ "Cookie-Apokalypse"-Trilogie bei Übermedien aus dem August 2020 empfohlen.

Wäre eine Post-Cookie-Welt besser?

Vielleicht gehören Cookies auch bald schon der Vergangenheit an. Denn Google hat gerade erste Ergebnisse seiner Cookie-Alternative namens FLoC vorgestellt, ein Teil seines "Privacy Sandbox"-Pakets. Werbevermarktung soll so künftig ohne Cookies funktionieren, stattdessen setzt Google auf Kohorten:

"we started with the idea that groups of people with common interests could replace individual identifiers. Today, we're releasing new data showing how this innovation can deliver results nearly as effective as cookie-based approaches",

schreibt Google-Managerin Chetna Bindra im Unternehmens-Blog und bindet noch ein Privatsphären-Schleifchen drum:

"Federated Learning of Cohorts (FLoC) proposes a new way for businesses to reach people with relevant content and ads by clustering large groups of people with similar interests. This approach effectively hides individuals ‚in the crowd‘ and uses on-device processing to keep a person’s web history private on the browser."

Ob das die Lage für die Kontrolle der Nutzer:innen über die eigenen Daten verbessert ist aber fraglich. Die Maßnahmen aus der Sandbox seien

"am Ende keine Verbesserung im Vergleich zu Drittanbieter-Cookies, da sie Tracker mit einem massiven neuen Informationsstrom versorgen, den sie nutzen könnten, um ihre eigenen Benutzerprofile zu erstellen oder zu erweitern.",

heißt es z.B. bei t3n. Für mehr Tiefen-Lesestoff empfiehlt sich ein Blick in die Analyse der Electronic Frontier Foundation (EFF) und in eine weiterer Text von Kleinz bei heise, der auch eventuelle Auswirkungen für die Werbevermarktung von Verlagen beleuchtet.

Das Zukunftsszenario, das die bereits von Döpfner erwähnte Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff kürzlich im Interview mit Billy Perrigo im Time Magazin entwarf, scheint unter all diesen Voraussetzungen allerdings noch ziemlich utopisch:

"Instead of massive concentrations of data to manipulate our commercial and political behavior, data becomes a critical resource for people and society. We use it to enhance our cities, towns, and neighborhoods; to make sure everybody’s got food; everybody’s got a doctor and a teacher. We cure diseases and work on the climate crisis. We clear the space for new kinds of businesses that actually care about people and want to solve our problems. There’s no tweaking any of this to get us where we need to go. We need a fundamental reset."


Altpapierkorb (Clubhouse, Programmbeschwerden, Datenstrategie der Bundesregierung, Antisemitismus bei Twitter)

+++ Abmahnung für Clubhouse: Wegen "gravierender rechtlicher Mängel" ermahnt der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) die Anbieter der Audio-App Clubhouse, berichtet die dpa (hier bei FAZ.net). Welche Folgen das haben könnte, steht dort auch.

+++ Die Programmbeschwerden sind 2020 erneut gestiegen, heißt es auf digitalfernsehen.de (via dpa).

+++ Der Chefredakteur der Washington Post, Martin Baron, räumt Ende Februar seinen Posten bei der Zeitung. "Ist die Zeitung auch bereit für eine Zeit ohne ihn?", fragt Fabian Heckenberger auf der Medienseite der Süddeutschen und blickt zurück auf Barons Zeit bei der Post.

+++ In der Datenstrategie der Bundesregierung gibt es einige gute Ansätze, analysiert Ingo Dachwitz detailliert bei netzpolitik.org. Allerdings bremst er mögliche Euphorie auch direkt wieder: "Die klugen Analysen zu den Schattenseiten der Datenökonomie etwa übersetzen sich kaum in konkrete Maßnahmen. Nur ein Beispiel: Zwar wird im Text die Notwendigkeit benannt, Beschaffungsrichtlinien für die öffentliche Hand so anzupassen, dass datenschutzfreundliche Technik bevorzugt wird, eine konkrete Maßnahme findet sich dort aber nicht."

+++ Twitter reagiert zu halbherzig auf Antisemitismus, kritisiert Daniel Laufer ebenfalls bei netzpolitik.org mit Blick auf den Fall einer rechte Influencerin, die dort Parallelen zwischen angeblichen Corona-Maßnahmen und dem Holocaust gezogen habe.

+++ Die neue Tagesschau-Seite könnte auch neues Konfliktpotential bieten, schreibt Anne Fromm bei der taz: Die Zeitungsverleger schlössen einen Weg zur Schlichtungsstelle nicht aus.

+++ Argumente und Einstellungen rund um das Gendern hat die "Zapp"-Redaktion bei Youtube zusammengetragen.

+++ Digitalförderung für Medien in Österreich aussehen wird, skizziert der Standard.

Neues Altpapier gibt‘s am Freitag.

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